Speech · 07.05.2020 Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen
„Hartz-IV-Empfänger haben oft keine Möglichkeit zum Nebenverdienst mehr und trotzdem höhere Kosten. Hier sollte vom Bund Hilfe bereitgestellt werden. Das ist zumindest unser Ziel.“
Lars Harms zu TOP 2 u.a. - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines 2. Nachtrages zum Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2020 (u.a. Drucksache 19/2112, Umdruck 19/3896, 19/3896)
Die Corona-Pandemie wird uns noch lange begleiten und wirtschaftlich wie gesellschaftlich nachhallen – da machen wir uns alle keine Illusionen. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt Geld in die Hand nehmen, um drohende Härten zumindest abzufedern und noch dramatischeren Folgekosten vorzubeugen. Die Summen aus dem regulären Haushalt sowie den Nachtragshaushalten 1 und 2 sind gewaltig, aber notwendig. Der SSW unterstützt daher auch diesen zweiten Nachtragshaushalt insgesamt.
Lassen Sie mich dazu nun auf einige Punkte eingehen, die uns besonders wichtig sind:
Gleich vorneweg: Wir müssen stets die gesamten Landesfinanzen im Blick behalten und verantwortungsvoll planen, prüfen und entscheiden, wie diese krisenbedingten zusätzlichen Gelder effektiv und effizient eingesetzt werden sollen. Fakt ist: Die insgesamt eine Milliarde Euro der beiden Nachtragshaushalte ist ja größtenteils im Geiste bereits ausgegeben. Bisher sind 766 Millionen Euro verplant. Dazu kommen die grob geschätzten 125 Millionen Euro coronabedingten Kosten beim UKSH. Hinzu kommen mit dem nun kurzfristig eingereichten fraktionsübergreifenden Änderungsantrag weitere rund 65 Millionen Euro. Übrig bleiben derzeit noch rund 40 Millionen Euro frei verfügbare Masse. Da ist also nicht mehr viel übrig.
Dies sind gewaltige Summen. Allerdings müssen all diese Gelder ja auch erst einmal erwirtschaftet und dann abbezahlt werden. Die Schuldenbremse gilt nach wie vor und steht als solche für den SSW auch nicht zur Debatte. Wir wollen und müssen die in einer Notsituation erlaubten finanziellen Spielräume jetzt nutzen, um den Menschen in unserem Land zu helfen. Aber es ist auch klar, dass eben nicht unbegrenzt Geld zur Verfügung steht. Bei den Milliarden-Notfallprogrammen handelt es sich schließlich nicht um Wohltaten der jeweiligen Regierungen auf Bundes- wie Landesebene, sondern um sehr hart erarbeitete Steuergelder. Dies müssen wir uns ständig vor Augen halten.
Zum Stichwort UKSH: Durch die Krise und die dadurch entstehenden Einnahmeausfälle wird das UKSH als Maximalversorger viel Geld benötigen. Im Finanzausschuss wurde der Bedarf auf ca. 125 Millionen Euro geschätzt, womöglich mehr. Zu einer ehrlichen Einschätzung gehört hier meines Erachtens nach jedoch auch die schmerzliche Erkenntnis, dass wir einen Großteil dieser Summe wohl nicht als Kredite vergeben werden, sondern vielmehr als notwendige, aber quasi „verlorene Zuschüsse“ abbuchen werden müssen. Denn Kredite würden sich direkt auf die Bilanz auswirken und damit nicht nur das Geschäftsergebnis negativ beeinflussen, sondern wieder neue Sparzwänge auslösen. Das brauchen weder die Patienten noch die Beschäftigten. Dass das Land einspringen wird, ist also keine Frage – wir müssen uns eben darauf einstellen.
Bleiben wir im medizinischen Bereich: Der SSW unterstützt den Pflegebonus. Unsere Kernforderungen hierzu lauten: Keine Kostenbeteiligung der Träger und Ausbezahlung der Boni sowohl an die stationären als auch an die ambulanten Pflegekräfte. Sie alle haben sich diese Sonderzahlung verdient. Allerdings sage ich an dieser Stelle auch: Dies darf nicht das Ende der Diskussion um allgemein fairere Rahmenbedingungen in dieser Branche sein. Uns allen wird aktuell ganz klar vor Augen geführt, dass diese Berufsgruppen systemrelevant sind. Mit einer solchen Einmalzahlung kann diese Debatte daher nicht einfach vom Tisch gewischt werden. Seit Jahren drängen wir vom SSW auf angemessene Löhne und faire Arbeitsbedingungen für all jene, die trotz niedrigen Gehalts und wenig Anerkennung den Laden im Dauereinsatz am Laufen halten. Jetzt stehen diese Berufsgruppen im Fokus und wir werden ein ganz aufmerksames Auge darauf haben, dass es hier nun keine weiteren Ausreden mehr gibt.
Des Weiteren muss nach unserer Auffassung insbesondere das medizinische Fachpersonal Anspruch darauf haben, deutlich häufiger bzw. in regelmäßigen Intervallen auf das Coronavirus getestet zu werden. Und eine Herausforderung bleibt auch die konkrete Verteilung der Geldmittel und Güter für die medizinische Versorgung, sprich Mundschutz, Desinfektionsmittel, geeignete Kittel usw. Selbstverständlich müssen vor allem die Bestände der Krankenhäuser und Klinken fortlaufend aufgestockt werden, aber ich möchte gern darauf hinweisen, dass auch die niedergelassenen Therapiepraxen, wie beispielsweise Ergotherapeuten, weiterhin unter einem Mangel an entsprechender Ausrüstung leiden und daher bei der Verteilung mitberücksichtigt werden sollten.
„Berücksichtigung und Umsicht“ sind gute Stichworte, um nun auch einmal Lob auszusprechen: So freut es uns, dass die Minderheitenorganisationen weiterhin mitbedacht werden. Auch die Aufstockungen für Frauenhäuser und die entsprechenden Beratungsstellen heißen wir explizit gut und notwendig. Explizit begrüßen möchte ich zudem die angedachten Finanzhilfen in Höhe von insgesamt 200.000 Euro für die privaten Radiosender – insbesondere auch für die kleineren Lokalsender. Es ist und bleibt für unsere Gesellschaft und für den demokratischen Diskurs äußerst wichtig, dieses urdemokratische Gemeinschaftsmedium „Radio“ in der Krise zu unterstützen, so wie das Radio uns unterstützt, unterhält und informiert.
Unterstützung und Lob kann ich an dieser Stelle auch den Kollegen von der SPD aussprechen, deren Sammelanträge die Jamaika-Koalition und uns erfolgreich zu dem nun fraktionsübergreifenden zusätzlichen Corona-Hilfspaket „inspiriert“ haben. Insbesondere die Aufstockungen im Bereich „digitales Lernen“, die Befreiung von KiTa-Gebühren für Eltern für einen weiteren auf nun drei Monate sowie die eingeplanten Unterstützungen für Jugendherbergen finden seitens des SSW großen Zuspruch. Und gerade in diesen Zeiten zeigt sich, dass bedürftige Schülerinnen und Schüler, deren Eltern eben nicht die finanziellen Mittel für eine gute Bildung ihrer Kinder haben, verstärkte Aufmerksamkeit und Unterstützung erfahren müssen, um an Bildungsprogrammen partizipieren zu können. Dazu zählt heutzutage die Ausstattung mit einem geeigneten digitalen Endgerät, das man sich zu Hause eben nicht mit mehreren Geschwistern oder den im Homeoffice arbeitenden Eltern teilen muss. Natürlich ist der derzeitige Schulbetrieb nur eine vorläufige Notlösung, aber die Digitalisierung der Schulen kann und muss gerade jetzt vorangetrieben werden.
Wenn wir uns nun also das Gesamtbild anschauen, dann ist uns doch allen klar, dass nicht jedes Unternehmen und jede Einzelperson zu 100 Prozent unterstützt werden kann. Daher halten wir uns auch mit allzu großen Zusatzvorschlägen zurück und bringen nur einen weiteren Antrag in die Diskussion ein. Statt umfangreicher Pakete wollen wir vom SSW gern den Fokus auf einen spezifischen Kreis an Betroffenen und Bedürftigen richten, der keine allzu starke Lobby hat. Hierzu zählen die Obdachlosen sowie Menschen mit ganz geringen finanziellen Ressourcen – hier auch und insbesondere Familien sowie ältere Mitbürgerinnen und -mitbürger. Uns ist wichtig, dass diese Menschen bei all den sinnvollen und notwendigen Hilfsprogrammen nicht vergessen werden, sondern die Unterstützung bekommen, die sie dringend nötig haben. Obdachlose brauchen ein Dach über dem Kopf und sanitäre Einrichtungen – gerade in Coronazeiten. Und Hartz-IV-Empfänger haben oft keine Möglichkeit zum Nebenverdienst mehr und trotzdem höhere Kosten. Hier sollte vom Bund Hilfe bereitgestellt werden. Das ist zumindest unser Ziel.
Insgesamt haben wir nun in kürzester Zeit gewaltige Summen mobilisiert und umfangreiche Hilfs- und Förderprogramme aufgestellt. Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an diesen Hauruck-Aktionen, insbesondere bei der Investitionsbank und in den Ministerien, gilt unser allerherzlichster Dank. Gleichzeitig bleiben die Appelle an die Ehrlichkeit aktuell: Subventionsbetrug bei den Corona-Nothilfeprogrammen ist kein Kavaliersdelikt. Nur wenn wirklich sämtliche Rücklagen aufgebraucht sind und man keinerlei andere Finanzierungsmöglichkeiten findet, dann steht man in der ersten Reihe der Bedürftigen und dann ist eine Antragstellung gerechtfertigt.
Zum Schluss bleibt uns noch der allgemeine Ausblick: Den faktischen Lockdown und die Bereitstellung immer weiterer Hilfsgelder können wir nicht über Monate hinweg durchziehen, das ist uns allen klar. Deshalb ist es wichtig, die vorsichtige Wiederöffnung des gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Lebens vorzubereiten und rechtzeitig zu kommunizieren, damit sich die Menschen darauf einstellen können. Denkbar wären hier aus unserer Sicht konkrete Phasenmodelle, wie wir sie inzwischen ja auch aus anderen Ländern kennen. Die letzten Beschlüsse und Verlautbarungen gingen ja in die richtige Richtung – insbesondere auch in Hinblick auf die Gastronomie und den Tourismus. Je früher die Menschen wieder Geld verdienen können und ihrer Arbeit nachgehen, desto besser. Die Menschen in Schleswig-Holstein haben in den letzten Wochen vorbildlich mitgearbeitet, daher sind schrittweise Lockerungen nun verdient, gerechtfertigt und notwendig.