Speech · 18.06.2021 Gesundheitsversorgung und Pflege sind Kern der staatlichen Daseinsvorsorge
„Gesundheit und Pflege müssen Patienten und nicht Investoren dienen“
Christian Dirschauer zu TOP 36 - Daseinsvorsorge in der Gesundheitsversorgung und Pflege sichern (Drs. 19/3097)
Zuallererst möchte ich der antragstellenden SPD meinen Dank aussprechen. Einiges im vorliegenden Antrag mag der eine oder andere vielleicht als eher von „symbolischer Natur“ bezeichnen. Aber auch ohne die nie dagewesene Herausforderung der Coronakrise sind die zentralen Punkte des Antrags wichtig und absolut wert, intensiv diskutiert zu werden. Egal ob es um unseren Wunsch geht, dass sich das Gesundheitswesen tatsächlich immer am Patientenwohl orientiert und Renditeerwartungen nachrangig sein müssen. Oder um die Frage, ob wirklich alle Leistungen der Daseinsvorsorge in demokratischen Prozessen festgelegt werden und damit für alle zugänglich sind: Seit vielen Jahren gibt es Tendenzen, die mich befürchten lassen, dass längst nicht alle Bürgerinnen und Bürger immer und überall in der gleichen Qualität versorgt werden. Dabei muss aber genau das unser Anspruch sein.
In diesem Rahmen ist es kaum möglich, auf alle Punkte des Antrags einzugehen. Viele, wie beispielsweise die Forderungen im Pflegebereich, sind zwar nicht neu aber jede für sich genommen unheimlich wichtig. Natürlich muss Pflege für alle Menschen menschenwürdig sein. Das kostet Zeit und damit Geld, ist für uns aber niemals verhandelbar. Daraus folgt, dass Pflege solidarisch und gerecht finanziert werden muss. Doch leider entfernen wir uns tendenziell von diesem Grundsatz. Und deshalb muss bei der Frage der Finanzierung ohne Zweifel gegengesteuert werden. Die Pflegebürgerversicherung mag im bestehenden System die logische und sicher auch eine sinnvolle Weiterentwicklung sein. Angesichts der zukünftigen Herausforderungen halten wir es aber auch für geboten, dass wir uns ernste Gedanken über den Systemwechsel hin zur kompletten Steuerfinanzierung machen.
An dieser Stelle will ich aber unbedingt auch den Bereich der häuslichen Pflege nennen. Ich denke nur die wenigsten möchte gerne ihre letzten Tage oder gar Jahre in einer Pflegeeinrichtung verbringen. Möglich macht diesen Wunsch aber eine riesige Gruppe an pflegenden Angehörigen, die zwar tagtäglich einen großen Einsatz bringt, doch kaum eine Lobby hat. Wenn wir wollen, dass Pflege in der gewohnten Umgebung möglich ist und möglich bleibt, müssen wir diese Gruppe deutlich stärker unterstützen als bisher. Und deshalb schließen wir uns nicht nur der Forderung an, die Zahl der Kurzzeitpflegeplätze zu erweitern, sondern fordern auch, dass ambulante Angebote zur Entlastung pflegender Angehöriger ausgebaut werden.
Wenn wir über die Zukunft des Gesundheits- und Pflegebereichs reden, dann ist für den SSW eines entscheidend: Wir müssen diese Dinge vom Bedarf der Menschen aus denken und die Angebote konsequent am Wohl der Patientinnen und Patienten ausrichten. Und wir müssen vor allem dafür sorgen, dass im Sinne der schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft investiert wird. Soll heißen, dass vor allem die Strukturen zur Versorgung von psychisch Kranken, von Sterbenden oder zum Beispiel auch von Kindern sowie Menschen mit Behinderungen gestärkt werden müssen. Denn gerade für diese Gruppen sind die Angebote längst nicht immer auskömmlich. Und weil das mitunter auch daran liegt, dass diese Bereiche keine großen Gewinne abwerfen, sind Bund und Land hier ganz besonders in der Pflicht.
Gesundheitsversorgung und Pflege sind ohne jeden Zweifel Kern der staatlichen Daseinsvorsorge. Und für eine dauerhaft tragfähige und hochwertige Versorgung brauchen wir tatsächlich ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Aus aktuellem Anlass ist für uns besonders wichtig, dass wir den Öffentlichen Gesundheitsdienst gemeinsam mit den Kommunen deutlich schlagkräftiger aufstellen. Nach unserer Auffassung sollte hier nicht nur über Gehälter, sondern auch über den Aufgabenkatalog und im Zweifel auch über die Gesamtstruktur diskutiert werden. In jedem Fall werden wir aber sehr genau darauf achten, dass der Bund-Länder-Pakt für den ÖGD in diesem Sinne, und damit für die nachhaltige Verstärkung dieses enorm wichtigen Bereichs, eingesetzt wird.
Ähnlich viel Potenzial sehen wir auch beim Ausbau der sektorenübergreifenden Versorgung und bei der Stärkung des ambulanten Bereichs. Hier bietet die Digitalisierung gerade für uns als Flächenland große Chancen, die wir dringend nutzen müssen. Alle Menschen haben Anspruch auf eine hochwertige Begleitung, Beratung und Versorgung im Krankheitsfall. Auch diejenigen, die keine Klinik um die Ecke haben. Hierfür braucht es Angebote der Telemedizin aber auch mehr personelle Ressourcen vor Ort. Und neben den im Antrag erwähnten Pflegelotsen zählt für uns zum Beispiel weiterhin auch nichtärztliches Personal dazu. Denn nichtärztliche Praxisassistenten oder Gemeindeschwestern entlasten nicht nur Ärzte und Krankenhäuser, sondern vor allem auch Patientinnen und Patienten.
Es ist schlicht traurig, dass wesentliche Punkte in diesem Antrag wie eine Maximalforderung oder fast schon utopisch anmuten. Eigentlich sollte völlig klar sein, dass Gesundheit und Pflege einzig am Patientenwohl orientiert sein müssen. Und eigentlich sollte es zum Beispiel auch selbstverständlich sein, dass angehende Eltern den Geburtsort ihres Kindes frei wählen können. Leider sind diese sehr grundsätzlichen Dinge aber eben längst nicht mehr selbstverständlich. Und deshalb ist es richtig und auch wichtig, sich grundlegende Gedanken über die Zukunft der Gesundheitsversorgung und der Pflege zu machen. Sowohl mit Blick auf die finanzielle Basis, als auch mit Blick auf die Vor- und Nachteile öffentlicher oder privater Trägerschaft. Das sind große Themen. Aber wenn wir die gesundheitliche und pflegerische Versorgung langfristig auf hohem Niveau sichern wollen, müssen wir uns dringend mit ihnen befassen und zu Lösungen kommen. Und zwar im Sinne der Patientinnen und Patienten oder Pflegebedürftigen und nicht im Sinne irgendwelcher Investoren.