Speech · 27.01.2022 Sinti und Roma gehören hierher. Punktum.
„Die Aufarbeitung der Geschichte wäre ein klares Signal, das der Landtag seinen verfassungsgemäßen Auftrag mit Leben erfüllt und eben nicht die ganze Arbeit den Verbänden der Sinti und Roma überlässt. Mit einer solchen Aufarbeitung würden wir auch hier wieder minderheitenpolitisch in Europa ein Zeichen setzen.“
Lars Harms zu TOP 22 - Geschichte der Sinti und Roma in Schleswig-Holstein aufarbeiten (Drs. 19/3558)
Latscho diewes. Guten Tag.
Nur die wenigsten Schleswig-Holsteinerinnen und Holsteiner kennen die Sinti-Kultur, wissen um die kulturellen und sprachlichen Schätze dieser Minderheit. Sie können, wenn es hochkommt, allenfalls Klischees benennen. Aber ein authentisches Bild abseits von Zuschreibungen von außen, kennt kaum jemand. Erstaunlich, wie diese Ignoranz sich hält. Sinti leben schon seit über 600 Jahren in Schleswig-Holstein, doch die Mehrheitsgesellschaft zeigt sich unbeeindruckt von diesen Nachbarinnen und Nachbarn und unwissend. Das hat schlimme Folgen. Was man nicht kennt, lehnt man nämlich in der Regel ab. Diskriminierung, Herabwürdigung und auch Gewalt gehören leider für viele Sinti und Roma auch in Schleswig-Holstein zum Alltag.
Viele Sinti halten dementsprechend ihre Herkunft vor den Nachbarn geheim aus Furcht vor Anfeindungen. Sinti und Roma haben sich teilweise abgeschottet, weil sie gelernt haben, wie oft sie Opfer gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit werden: bei Vermietern, Banken oder Versicherungen. Sie meinen, dass sie sich nur selbst helfen können. Das ist ein schlimmer Teufelskreis: Abschottung lässt Vorurteile geradezu wuchern. Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass der Landesverband der Sinti und Roma, neben seiner hervorragenden Arbeit in der Minderheit und der Integration von Roma, eine Ausstellung initiiert hat, die derzeit in den Schulen des Landes unterwegs ist. In der Ausstellung mit dem Titel „Der lange Weg – Aus Vergangenheit lernen – Zukunft gestalten“ werden Lebensbereiche und Lebenswelten der Sinti und Roma gezeigt und zur Diskussion gestellt. Das war ein sehr langwieriges, aber erfolgreiches Projekt, das vor wenigen Wochen in Kiel in der Max-Planck-Schule der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Ausstellung soll Gemeinsamkeiten mit anderen Schleswig-Holsteinern herausstellen. Sie ist ein gutes Gesprächsangebot, das hoffentlich viele Menschen annehmen werden und auf diese Weise die Geschichte und Kultur der Sinti und Roma kennenlernen werden.
Die Ignoranz gegenüber der 600jährigen Geschichte beinhaltet auch die Ausblendung der Verfolgungsgeschichte unter nationalsozialistischer Schreckensherrschaft, des sogenannten Porajmos, dem schätzungsweise eine halbe Million Sinti und Roma zum Opfer fielen. Erst durch die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma erhielt eine breitere Öffentlichkeit Zugang zu diesem Thema. Der Initiative des derzeitigen Vorsitzenden des Zentralrates Romani Rose ist es zu danken, dass es in den 1980er Jahren gelungen ist, Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma zur Zeit des Nationalsozialismus bekannt zu machen. Eine Verfolgung, die in den 1950er und 1960er Jahren fortgeführt wurde. Noch am 7. Januar 1956 lehnte der Bundesgerichtshof die Anerkennung der Verfolgung und damit die Anerkennung von Wiedergutmachung ab. Die Sinti und Roma, so steht es im Urteil, würden zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien neigen. Ihnen sei wie bei primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen. Darum sei ihre Inhaftierung zu Nazizeiten gerechtfertigt und eine Wiedergutmachung nicht begründet. Ein schreckliches Urteil, für das sich das Gericht erst 60 Jahre später entschuldigt hat.
Wie Akten der Kieler Verwaltung zeigen, änderte sich die Wortwahl der Sachbearbeiter auch in demokratischen Zeiten nur sehr langsam. Sinti und Roma wurden in der Landeshauptstadt in ungeheizten und ungedämmten Eisenbahnwaggons einquartiert und wurden von der Polizei drangsaliert. Wie haben andere Kommunen sich in Schleswig-Holstein verhalten? Was hat die Landesregierung unternommen? Es ist an der Zeit, diese Fragen zu beantworten und systematische Forschungen anzustoßen.
Der Landtag tut gut daran, an die Arbeit der Unabhängigen Kommission Antiziganismus des Bundesinnenministeriums anzuknüpfen, die im letzten Sommer einen mehr als 800 Seiten starken Bericht vorgelegt hat. Dessen Empfehlungen halte ich auch für Schleswig-Holstein für wegweisend. Die Aufarbeitung der Geschichte wäre ein klares Signal, das der Landtag seinen verfassungsgemäßen Auftrag mit Leben erfüllt und eben nicht die ganze Arbeit den Verbänden der Sinti und Roma überlässt. Mit einer solchen Aufarbeitung würden wir auch hier wieder minderheitenpolitisch in Europa ein Zeichen setzen.
Es wäre schön, wenn wir uns schnell mit dem Landesverband der Sinti und Roma und mit der Sinti Union zusammensetzen würden, um zu sehen, wie wir eine solche Aufarbeitung hinbekommen können.