Speech · 17.07.2009 Vorzeitige Beendigung der 16. Wahlperiode
Seit über zwei Jahren, seitdem klar ist, dass diese Koalition inhaltlich am Ende ist, fordert der SSW im Landtag und auf Parteitagen Neuwahlen. Die Große Koalition hat uns wahrlich ausreichend Gründe gegeben, ein Ende des Bündnisses zu begehren. Ich lasse mal dahingestellt sein, ob die SPD jetzt gerade am Mittwoch wirklich den entscheidenden Impuls zum Bruch der Koalition geliefert hat, oder ob es nicht eher eine von langer Hand geplante Aktion der CDU ist, die kalendarische motiviert ist. Denn letztlich ist es gleichgültig. Diese Koalition ist am Ende, weil der eine Bündnispartner ausgestiegen ist. Das müssen alle im Landtag und im Land so zur Kenntnis nehmen.
Vor diesem Hintergrund unterstützt der SSW alle Initiativen, die vorzeitige Neuwahlen herbeiführen, und wir haben uns ganz selbstverständlich dem vorliegenden Antrag angeschlossen. Für das Land Schleswig-Holstein und seine Menschen bedeutet ein vorzeitiges Ende dieser Koalition keinen Verlust, sondern einen politischen Frühling, einen Neuanfang. Das, was Schleswig-Holstein in den letzten vier Jahren von der Großen Koalition geboten wurde, war mit Sicherheit nicht im Sinne der Wählerinnen und Wähler. Insofern ist es höchste Zeit, dass sie wieder das Wort erhalten. Das Parlament muss Verantwortung für das Land übernehmen und diese verkorkste Wahlperiode endlich beenden.
Denn es war weiß Gott eine verkorkste 16. Wahlperiode, deren Ende wir in der kommenden Woche besiegeln wollen. Am Anfang stand der hinterhältige Sturz der Ministerpräsidentin durch einen politischen „Heckenschützen“, der sich bis heute in diesem Saal versteckt hält. Es gibt viele Mutmaßungen über die Motive dieser Tat: neben persönlichen Beweggründen wurde auch über die Furcht vor der Instabilität einer sehr knappen Mehrheit spekuliert. Letztlich wissen wir es nicht. Aber was wir mit Sicherheit wissen ist: Das, was stattdessen folgte, war alles andere als handlungsfähig und stabil. Der SSW hatte seine Bereitschaft zur Tolerierung einer Minderheitsregierung 2005 damit begründet, dass wir eine Große Koalition verhindern wollten, weil diese nicht gut für das Land wäre. Die CDU und die SPD haben es auf herausragende Art geschafft, unsere Vorurteile voll und ganz zu bestätigen.
Die Große Koalition hat einen entscheidenden Webfehler: Sie kann sich nicht auf politische Lösungen für wichtige Probleme verständigen; sie bedeutet zumeist Stillstand und zuweilen faule Kompromisse. Dies wurde zuletzt paradoxerweise gerade dadurch deutlich, dass die CDU und die SPD sich beim letzten Koalitionsausschuss auf massive Einsparungen einigen konnten. Es klappte nur, weil die SPD durch ihre Angst vor Neuwahlen gelähmt war und deshalb dem Diktat der CDU wenig entgegenzuhalten hatte. Unter normalen Bedingungen einer Großen Koalition mit zwei starken Partnern wäre dies niemals möglich gewesen. Bei normaler Betriebstemperatur produziert eine Große Koalition keine großartigen Lösungen, sondern allenfalls Lauwarmes.
Ich gestehe zu, dass es seit 2005 auch Fortschritte gegeben hat. Die Intensivierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Dänemark ist richtig und wichtig. Auch das Verhältnis Schleswig-Holsteins zum Vatikan war seit der Reformation nicht mehr so herzlich wie heute. Aber der größte Teil der letzten vier Jahre ist mit Streitigkeiten vergeudet worden: Schülebeförderungsgebühren, Kostenlos-Kita, Haushaltssanierung, Nichtraucherschutz, Schuldenbremse, Beamtenbesoldung, Verwaltungsreform, Entbürokratisierung, HSH-Nordbank, Personalabbau, Atomenergie. Diese zentralen politischen Themen verbindet in Schleswig-Holstein ein gemeinsamer Nenner: Konflikt zwischen der CDU und der SPD. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzungen war in der Regel nur viel verschwendete Arbeitszeit. Das Leuchtturmprojekt des Scheiterns war die Kreisreform; das traurigste Beispiel ist das Aus für eine bundesweit vorbildliche Justizreform. Die Liste der verpassten Chancen ließe sich beliebig lang fortsetzen.
Die Landesregierung wird nun natürlich auf das neue Schulgesetz verweisen wollen, und damit hat sie auch Recht. Die Einführung der Gemeinschaftsschulen, für die sich der SSW seit Jahrzehnten einsetzt, ist der größte Erfolg dieser Wahlperiode. Aber die Schulreform ist gleichzeitig auch ein Paradebeispiel für das CDU-SPD- Elend, sie trägt den Makel der Großen Koalition. Weil man sich nicht einigen konnte, wurden SPD-Schulen (sprich: Gemeinschaftsschulen) und CDU-Schulen (sprich: Regionalschulen) eingeführt, und auch in der nachfolgenden bildungspolitischen Debatte - vor allem, wenn es um die Ausstattung der Schulen ging - vertrat jeder die Interessen der eigenen Schulform. Modern und zukunftssicher sieht anders aus.
Die glühenden Anhänger einer Großen Koalition, die 2005 von großen Taten träumten und deshalb nicht zuletzt auf den SSW einprügelten, wurden enttäuscht. Die Große Koalition hat keine großen Taten vollbracht und keine schwierigen Reformen bewältigt, im Gegenteil. Bei den allermeisten Problemen ist Schleswig-Holstein einer Lösung kein Stück näher als bei Regierungsantritt 2005. Das Gesamtwerk dieser Regierung trägt den Titel „Die Unvollendete“.
Eigentlich spricht es ja fast schon wieder für die beiden großen Parteien, dass sie sich kaum darauf verständigen können, dass ein Schimmel weiß ist. Eigentlich widerspricht es ja den üblen Stammtischparolen von „ist egal, wen man wählt, die sind doch alle gleich“. Aber dies ist keine Entschuldigung für fehlende politische Kompromisse, und dies ist zugegebener Maßen bei weitem nicht die einzige Erklärung für dieses Trauerspiel. Natürlich hat die persönliche Chemie auch eine Rolle gespielt – und natürlich gibt es nicht einen guten und einen bösen Jungen in diesem Spiel. Sowohl Peter Harry Carstensen als auch Ralf Stegner haben in den vergangenen Jahren ihre Schattenseiten offenbart und nach Kräften zum Scheitern beigetragen.
Der Chef der Regierung hat sich jahrelang damit begnügt, als Landesvater über Dörfer und Marktplätze zu tingeln, und Körperkontakt zum Bürger mit bürgernaher Politik zu verwechseln. Zu den wichtigen landespolitischen Themen schwieg er. Als die Finanzkrise und ihre Folgen entschlossenes politisches Handeln forderten, zauderte er und überließ die Arbeit anderen. Wir haben jetzt vier Jahre lang einen Ministerpräsident erlebt, der auf Volksfesten zur Hochform aufläuft, aber politisch versagt. Herr Carstensen hat gestern einen Rücktritt mit der Begründung zurückgewiesen, dies sei für einen erfolgreichen Ministerpräsidenten absurd. Angesichts der Bilanz seiner Regierung stellt sich allerdings die Frage, ob Herrn Carstensen eigentlich der Unterschied zwischen politischem Erfolg und persönlicher Popularität bewusst ist. Wenn wir Peter Harry Carstensen einmal politisch erlebt haben, dann ging es um die Vertretung seiner machtpolitischen Interessen in Partei und Koalition. Auch der vermeintlich friedvolle Ministerpräsident hat es nicht immer vermocht, den Schafspelz ganz zu schließen.
Der Chef der SPD seinerseits hat keine Gelegenheit ausgelassen, sich vom Koalitionspartner und insbesondere vom Ministerpräsidenten abzugrenzen. Spätestens seitdem die Große Koalition den Fehler beging, den Ministerpräsidenten in spe Ralf Stegner vom Innenminister zum SPD-Fraktionsvorsitzenden zu befördern, liefen die Dinge endgültig aus dem Ruder. Immer wieder sprach Ralf Stegner wie ein Oppositionsführer, griff den Bündnispartner CDU feindselig in den Inhalten an, um anschließend doch mit der Koalition zu stimmen. Immer wieder wurden die Bürgerinnen und Bürger Zeugen von undiplomatischen und teilweise überheblichen persönlichen Bemerkungen über den Ministerpräsidenten und andere Koalitionspartner. Stegner hat selbst dann weiter provoziert, als längst klar war, dass er damit einen Koalitionsbruch riskierte und das Klima belastete.
Wäre das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben, nur ein Film gewesen, dann würde man es als rabenschwarze Tragikomödie bezeichnen. Ein Werk, das vermutlich von der Kritik wegen seiner absurden und unrealistischen Elemente zerrissen worden wäre. Im wirklichen Leben nennt man es Große Koalition. Sie wird hoffentlich für sehr viele Jahre wieder vom Spielplan verschwinden, denn sie tut unserem Land nicht gut.
Ich möchte nicht verhehlen, dass ich in den letzten Jahren auch anderes gesehen habe. Ich kann verstehen, dass es unter diesen Bedingungen für diejenigen schwierig ist, die trotzdem noch versuchen, eine korrekte Politik zu machen und Ergebnisse zu erzielen. Denn diese Große Koalition besteht nun einmal aus mehr als zwei mimosenhaften Streithähnen. Aber ich werfe allen Großkoalitionären vor, dass sie an der Macht festgehalten haben, obwohl für die Bürgerinnen und Bürger kaum etwas herauskam und obwohl bei der Bewältigung wichtiger politischer Probleme wertvolle Zeit vergeudet wurde. Das hat Schleswig-Holstein nicht verdient, und das haben die Wählerinnen und Wähler bestimmt nicht so gewollt.
Eine Koalition, die sich nicht einig werden kann, und die diese Uneinigkeit wechselseitig durch mehr oder weniger persönliche Angriffe auf den Koalitionspartner zu Markte trägt, hat keine weitere Chance verdient. Seit vielen Monaten erleben wir nun einen unversöhnlichen Dauerkonflikt zwischen der CDU und der SPD, bei dem sich die Partner mit allem bewerfen und beschießen, was die politische Waffenkammer hergibt. Es reicht!
Mittlerweile kann sich niemand mehr der Illusion hingeben, dass die beiden Parteien wieder friedvoll miteinander leben, geschweige denn gemeinsam Projekte durchführen können. Nicht einmal die Beteiligten selbst glauben noch daran; das hat der Ministerpräsident ja schon deutlich gezeigt, als er am 24. April Neuwahlen offerierte. Die SPD hat diesen Scheidungsantrag ignoriert, aber nun legt die CDU-Landtagsfraktion nach und macht nochmals deutlich, dass der einzige Ausweg einen Trennung ist. Die Beziehung ist am Ende.
Leider haben das nicht alle Beziehungspartner verstanden. Die SPD benimmt sich gerade wie ein Ehepartner, der hilflos von einer rosenroten Zukunft träumt, während der andere schon die Umzugskisten aus der gemeinsamen Wohnung trägt. Im wirklichen leben wirkt so etwas bestenfalls Mitleid erregend, aber meistens nur peinlich. Wacht auf, liebe Kolleginnen und Kollegen, ihr seid verlassen worden!
Es gibt kein Zurück mehr. Selbst ein krankhafter Optimist kann sehen, dass es nur schief gehen kann. Angesichts der nahenden Wahlen werden sich die betreffenden Herren weniger denn je das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen. In der Großen Koalition würden die SPD und die CDU sich bis zum 9. Mai 2010 gegenseitig provozieren, sich geläutert zeigen, sich wieder bis aufs Blut gereizt, sich wieder zusammenrissen hätten und so weiter. Diese Spirale dreht sich schon seit zwei Jahren abwärts und die Bürger fragen immer mehr, wozu sie eigentlich eine Landesregierung benötigen, wenn diese keine Politik machen kann. Wir brauchen eine Landesregierung, aber diese Landesregierung ist nicht zu gebrauchen.
Man muss kein Politologe sein, um festzustellen, dass das Vertrauen in die Integrität der Landespolitik in den letzten Monaten auf dem tiefsten Punkt seit Jahrzehnten angekommen sein dürfte. Dazu hat das CDU-SPD-Bündnis nach besten Kräften beigetragen. Wir brauchen einen Neuanfang, jetzt! Deshalb appellieren wir nochmals an die Kolleginnen und Kollegen der SPD: Vergesst alle Träume von einer glücklichen Beziehung mit der CDU. Es reicht nicht einmal mehr für ein Zweckbündnis, deshalb gebt Eure Stimme für die Auflösung des Landtags!
Sollte die SPD sich einer Auflösung des Parlaments verweigern, dann erwarten wir, dass Peter Harry Carstensen die Konsequenz aus der CDU-Initiative zieht. Er muss dann den Weg zu Neuwahlen freimachen, indem er dem Landtag die Vertrauensfrage stellt. Wir SSW-Abgeordneten garantieren dem Ministerpräsidenten, dass wir ihm nicht unser Vertrauen aussprechen werden.