Press release · Flensborg · 28.03.2019 Wir wollen eine Kommissarin für Minderheitenfragen
40 Mio. Europäerinnen und Europäer sprechen eine Minderheitensprache. Die Rechte der Minderheiten und Volksgruppen in Europa würden durch einen Kommissar sicherlich sichtbarer und gestärkt.
Jette Waldinger-Thiering zu TOP 22,24,25 u. 35 - Anträge zur Wahl zum Europäischen Parlament 2019 und Europabericht 2018-2019 (Drs. 19/1371; 1372; 1368; 1370)
(Nr. 101-2019) Wenn auch noch keine Plakate an den Laternen hängen, so sind doch die Fülle der europäischen Themen auf der Tagesordnung der aktuellen Landtagssitzung ein unübersehbarer Anzeiger für die nahende Europawahl. Am 26. Mai haben die Bürgerinnen und Bürger bei uns die Wahl, wie die Zukunft der Europäischen Union aussehen soll.
Für mich als Demokratin ist klar, dass ich zur Wahl gehe. Das Wahlrecht ist ein hohes Gut. Gerade darum sollten wir das Wahlrecht nicht als Selbstverständlichkeit sehen. In demokratischen Systemen entscheiden wir alle gemeinsam über die politische Richtung.
Die folgenden Anträge von Jamaika und SPD machen die Unterschiede deutlich.
Für den einen Wähler sind die Rechte des Europäischen Parlaments viel zu weitreichend, weil die regionalen Besonderheiten untergepflügt werden. Andere Wählerinnen kritisieren, dass das Europäische Parlament noch immer nicht die vollen Machtbefugnisse einer Volksvertretung der Europäischen Union hat.
Die SPD möchte dem hohen Vertreter der EU, der ja durch den Lissabon-Vertrag zugleich Vizepräsidentin oder Vizepräsident und damit auch als europäischer Innen- und Außenminister fungiert. Dieses Amt möchte die SPD stärken und weiterentwickeln.
Bei der Stärkung dieses doch für die EU und ihre Mitgliedsstaaten so wichtige Amt, möchte die SPD, dass das Einstimmigkeitsprinzip bei außenpolitischen Entscheidungen abgeschafft wird.
Das können wir als SSW absolut nicht mittragen, da dies weder dem Vertrag von Lissabon entspricht noch unserem Verständnis von der Europäischen Union. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass der Vertrag von Lissabon genau definiert welche Themen für die EU so sensibel sind, dass sie nur durch eine Einstimmigkeit der noch 28 Mitgliedstaaten umgesetzt werden können.
Außen- und Sicherheitspolitik, Bürgerrechte, EU-Mitgliedschaften, EU-Finanzrahmen, Soziale Sicherheit und Sozialschutz. Diese Punkte sind nach Auffassung des SSWs so zentral für das gleichberechtige umsetzen der Entscheidungen und dem Zusammenhalt in der EU. Der Vorstoß der EU Kommission die Einstimmigkeit in der Steuerpolitik abzuschaffen, würde nicht nur Europa spalten, sondern auch die deutsche Politik. Der Bundesfinanzminister Scholz äusserte sich eher zurückhaltend, denn die Vorschläge der EU Kommission sollten doch im Kreise der EU-Finanzminister gemeinsam diskutiert werden. Sollte der Vier-Stufen-Plan der jetzigen EU Kommission die bisher verpflichtende Einstimmigkeit für Entscheidungen in der Steuerpolitik abschaffen, dann wird in Zukunft eine qualifizierte Mehrheit über alle weiteren steuerpolitischen Initiativen für den Binnenmarkt sowie für eine faire und wettbewerbliche Besteuerung entscheiden. Mit anderen Worten 55 Prozent der Mitgliedstaaten müssen zustimmen, die mindestens 65 Prozent der EU Gesamtbevölkerung repräsentieren. Deutschland könnte damit anders als bisher überstimmt werden. Das kann nicht gewollt sein.
Nicht nur als Angehörige einer europäischen Minderheit bin ich angewiesen auf ein Europa der Nationen und Regionen in dem europäische Entscheidungen so bürgernah wie möglich getroffen werden. Das, was vor Ort und in den nationalen und regionalen Parlamenten selbst geregelt werden kann, muss auch dort selbstbestimmt entschieden werden können; eine Beratung durch europäische Gremien ist aber nicht ausgeschlossen. Deshalb meine Damen und Herren sehen wir die von Jamaika geforderte Verkleinerung der EU Kommission nicht nur als Geschmacksfrage, sondern sie berührt den Kern europäischer Legitimität. Was wird passieren, welche Regierung darf dann keinen Kommissar nominieren? Was macht das mit der Legitimität des Europäischen Parlamentes? Gerade kleine Länder werden immens unter Druck geraten, wenn ihre Stimme gar kein Gewicht mehr hat und sie einfach überstimmt werden können. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass dann gerade die kleineren Mitgliedsstaaten Angst haben, dass ihre Interessen bei den Großen Vertretern keinen Gehör mehr finden. Das wäre der Anfang vom Ende einer europäischen Politik und Gemeinschaft.
Dabei lehrt aktuell eine Kommissarin aus einem kleinen Land den Internet-Giganten das Fürchten: Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager aus Dänemark ist bereit und wohl auch in der Lage, Google und Co. Regeln aufzuerlegen. Solche selbstbewussten Politikerinnen und Politiker, gingen dann der europäischen Politik verloren. Soweit darf es nicht kommen.
Dagegen steht der Vorschlag der europäischen Minderheit, dass die EU-Kommission einen zusätzlichen Kommissar bzw. eine Kommissarin ernennt und zwar für Minderheitenfragen. Damit würde dieses wichtige Thema den Stellenwert erhalten, dem es zukommt; schließlich sprechen 40 Mio. Europäerinnen und Europäer eine Minderheitensprache. Die Rechte der Minderheiten und Volksgruppen in Europa würden durch einen Kommissar sicherlich sichtbarer und gestärkt. Daneben sind nach der Europawahl von der neuen Kommission endlich die Forderungen der europäischen Bürgerinitiative Minority Safepack zum Schutz der nationalen Minderheiten umzusetzen.
Kleine Gruppen zu stärken ist ein wichtiges Ziel. Dazu gehört für mich die Stärkung der politischen Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger, indem beispielsweise die bürokratischen Hürden für europäische Bürgerinitiativen reduziert werden. Das zeigte nicht zuletzt das Minority Safe Pack. Die Verfahren müssen einfacher werden und das Quorum herabgesetzt werden.
Ich verstehe Europa als einen solidarischen Verbund; ein Europa des Miteinanders und nicht ein Europa der Stärkeren. Europapolitik muss sich daran messen lassen, dass gemeinsame Aufgaben auch gemeinsam gelöst werden. Ich denke da auch an die Geflüchteten, die Zuflucht in allen europäischen Mitgliedsstaaten finden sollten. Bislang haben es Ungarn, Tschechien oder Polen abgelehnt, Geflüchtete aufzunehmen. Das finde ich nicht richtig, weil damit der europäische Solidaritätsgedanke ad absurdum geführt wird. Nicht zuletzt durch die abgrenzende und polemisierende Politik dieser Mitgliedsstaaten hat in Europa der Rechtsextremismus wieder Oberwasser. Wir erleben eine steigende Ausländerfeindlichkeit, die die Politik vergiftet: der Antisemitismus wird salonfähig und rechtsextremes Gedankengut bemächtigt sich der Alltagssprache. Die nationalistischen Tendenzen in vielen europäischen Ländern hat die Situation vieler europäischen Minderheiten und regionaler Volksgruppen zunehmend verschlechtert. Hier müssen wir neue Bündnisse schmieden und europaweite demokratische Gegenkräfte organisieren.
Ich habe jetzt viel gesagt über die Gefahren. Europa ist aber auch eine Chance. Die europäische Freizügigkeit in Studium und Beruf hat die Europäerinnen und Europäer einander näher gebracht. Andere Mentalitäten und Bräuche bereichern das eigene Leben. Natürlich bleiben Ressentiments bestehen, sie werden aber durch Begegnungen und wirtschaftliche Kontakte abgebaut. Ein Auslandssemester ist nicht mehr länger einigen Privilegierten vorbehalten, sondern steht allen EU-Bürgerinnen und Bürgern offen. Dass der europäische Arbeitsmarkt heutzutage leicht zugänglich ist, ist eine besondere Errungenschaft, auf die wir nach Jahrzehnten schlimmer Kriege wirklich stolz sein können. Grundlage muss aber immer ein soziales Europa mit Mindeststandards für Löhne und soziale Leistungen sein. Wettbewerbsverzerrungen auf Kosten der heimischen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gibt es in vielen Betrieben, vor allem in den größeren, die sich in der Bestellung von Werksvertragsfirmen ja geradezu überbieten. Daher brauchen wir soziale Mindeststandards die konsequent eingefordert und umgesetzt werden. Hier sehe ich auch die Bundesregierung in der Pflicht sich dafür einzusetzen.
Die Landesregierung hat inzwischen einen guten Stand im europäischen Netzwerk. Eine besondere Rolle kommt dabei dem Hanse-Office zu, das ein effizientes Frühwarnsystem gewährleistet, wie der Bericht der Landesregierung ausführt. Wir haben einen guten Draht nach Europa. Ich hoffe sehr, dass noch mehr Unternehmen diesen Service auch tatsächlich nutzen.
Nur gemeinsam lassen sich die großen Aufgaben bewältigt. Ich denke da vor allem an den Klimawandel, den wir nur gemeinsam angehen können. Schließlich halten sich Abgase nicht an nationale Grenzen. Das gilt auch für Wasserverschmutzungen oder die allgegenwärtige Flut von Mikroplastik.
Zum Schluss möchte ich einmal mehr meine Forderung wiederholen, die Interreg-Förderung auch nach 2020 unverändert fortzusetzen. Der Bericht der Landesregierung führt aus, dass fast 90 Mio. Euro für deutsch-dänische Projekte in der Programmlaufzeit von 2014 bis 2020 zur Verfügung stehen. Nach Beratungen seien 67,5 Mio. Euro der für Projektförderung verfügbaren Fördermittel inzwischen gebunden, also 80%. Diese Strukturhilfe ist ein wichtiges Standbein für die Entwicklung im deutsch-dänischen Grenzland. Daran gilt es anzuschließen und aufzubauen, damit die Menschen im Grenzland weiterhin davon profitieren können.