Rede · 19.06.2002 Änderung der Kommunalverfassung
Die Kommunen sind die Keimzelle einer lebendigen Demokratie. Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung bestimmen die Menschen, wie ihre nächste Umgebung aussehen soll. Dort im Alltag lernen schon die jungen Bürgerinnen und Bürger, was demokratische Teilhabe heißt. Deshalb haben wir alle ein Interesse daran, dass die Demokratie in Gemeinden, Städten und Kreisen gute Wachstumsbedingungen hat.
Der Landtag bereitet den Boden. Es ist unsere Aufgabe, die Rahmenbedingungen für die kommunale Demokratie zu setzen. Wir entscheiden, wie die Aufgaben und die Entscheidungskompetenzen in den Kommunen verteilt sind. Wir bestimmen, wie effektiv die Verwaltungen arbeiten können und wie viel Einfluss die Kommunalpolitikerinnen und -politiker haben. Obwohl die meisten Bürgerinnen und Bürger vermutlich nicht einmal wissen, was das kommunale Verfassungsrecht ist, tragen wir damit eine große Verantwortung für die Erhaltung und Weiterentwicklung der Demokratie in unserem Land.
Der SSW ist sehr unzufrieden mit dem bestehenden kommunalen Verfassungsrecht.
Denn mit der Reform von 1996 wurde ein Systemwechsel durchgeführt, der die bürgernahe Demokratie eher geschwächt hat. Damals entschied sich der Landtag für eine Reform der Kommunalverfassung, die zuerst den Verwaltungsleiter stärkte, um eine effektive und effiziente Verwaltung unserer Kommunen zu ermöglichen.
Diese Reform hat zu einem problematischen Machtgefälle zwischen Verwaltung und Politik geführt, und nicht zuletzt deshalb hat der Landtag ja auch dieses Thema wieder aufgegriffen. Das kam bereits im ersten Gesetzentwurf der CDU zum Ausdruck. Nach mittlerweile fast zwei Jahren der Ausschussarbeit in Enquetekommission und Sonderausschuss müssen wir aber leider feststellen, dass die Lösung nicht geglückt ist. Denn an den grundlegenden Problemen wird nicht gerüttelt.
Der Gesetzentwurf wird das gespannte Verhältnis von Hauptamt und Ehrenamt nicht verbessern.
Kern der neuen Kommunalverfassung von 1996 war und ist eine grundlegende Änderung der Machtverhältnisse in den Kommunen. Um ein besseres Management der Städte, Gemeinden und Kreise zu ermöglichen, wurde die Rolle der Verwaltungsspitze gestärkt. Die hauptamtlichen Bürgermeister und Landräte wurden zum Machtzentrum der kommunalen Demokratie ausgebaut. Die gleichzeitig eingeführte direkte Wahl durch die Bevölkerung sollten ihnen die demokratische Legitimation für weitgehende Entscheidungsbefugnisse verleihen. Die Reform bescherte ihnen neben der Verantwortung für die Umsetzung der Beschlüsse der Gemeindevertretung noch die Möglichkeit einer eigene politischen Amtsführung. Damit schwächte man aber gleichzeitig die Rolle der ehrenamtlichen Politikerinnen und Politiker, in dem das System der kollegialen Verwaltungsleitung aufgelöst wurde.
Die Folge dieser Entwicklung ist nicht zu übersehen: Die Kommunalpolitiker haben zunehmend weniger Entscheidungs- und Handlungsspielraum und sind überfordert. Sie sollen als Aufsichtsrat der Verwaltung agieren, der im Rahmen des Berichtswesens Soll-/Ist-Vergleiche anstellt. Damit werden demokratisch engagierte Menschen zu Controllern der Verwaltung umgeschult. Das ist nicht jedermanns Vorstellung von ehrenamtlichem politischem Engagement für die kommunale Gemeinschaft. Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass es unter den Gemeindevertreterinnen und -vertretern nicht besonders viele Freunde der Kommunalverfassung gibt. Die Mehrheit des Landtages hat aber abermals entschieden, nicht die eigene kommunalpolitische Basis zu stärken. Sie wertet offensichtlich ein effektives Management der Bürgermeister und Landräte höher.
Denn wer das Ehrenamt wirklich stärken will, kommt um die Beschränkung der Kompetenzen der Hauptamtlichen nicht herum. Die Machtposition der hauptamtlichen Bürgermeister und Landräte wird aber durch die jetzt vorliegende Änderung der Gemeindeordnung nicht angetastet. Es wird lediglich versucht, die ehrenamtlich tätigen Gemeindevertreterinnen und -vertreter mit Trostpflastern bei der Stange zu halten: Sie erhalten mehr Einsichtsrechte aber kaum mehr Entscheidungsbefugnisse. Der Hauptausschuss, der in den Beratungen eine zentrale Rolle spielte, kann mehr Aufgaben erhalten. Von einer Stärkung des Ehrenamts kann aber insgesamt nicht die Rede sein, denn es werden lediglich Kompetenzen innerhalb der ehrenamtlichen Vertretung verschoben. Die Aufgabenfülle der Hauptamtlichen bleibt grundlegend unangetastet. Der Landesrechnungshof hätte hier im übrigen sogar gerne die Position des Hauptamtlichen gestärkt, in dem dieser Vorsitzender des Hauptausschusses wird.
Wir halten nichts von den fragwürdigen Placebos zur Erhöhung der Freude am Ehrenamt. Der SSW hat mit eigenen Gesetzentwürfen zur Kommunalverfassung wesentlich weitergehende Änderungen zur Stärkung des politischen Ehrenamtes vorgebracht. Wir wünschen uns eine echte Kur für die kommunale Demokratie. Im Zentrum unserer Überlegungen steht - nicht überraschend - die Abschaffung der Direktwahl für Landräte und Bürgermeister.
Die Direktwahl ist 1996 als die große demokratische Revolution gefeiert worden, weil die Bürgerinnen und Bürger jetzt direkt ihre Verwaltungsleitung wählen können. Das ist eben so simpel wie falsch. Die Direktwahl mag die Verwaltungsführung straffen und schnellere Entscheidungen ermöglichen. Aber demokratischer ist es nicht, wenn eine Person jahrelang politische relevante Beschlüsse trifft, über die früher ein ganzes Parlament mit verschiedenen Parteien zu entscheiden hatte. Dies gilt umso mehr, als diese Personen in der Regel mit einer haarsträubend niedrigen Wahlbeteiligung gewählt werden. Unser Gesetzentwurf ist leider im Sonderausschuss abgelehnt worden.
Besonders ärgerlich ist es, dass zudem nicht einmal die Gelegenheit genutzt worden ist, das System der Direktwahl zumindest dort zu verbessern, wo es geht. Zum Beispiel haben konkrete Fälle im Land verdeutlicht, dass bei der Abwahl direkt gewählter Bürgermeister und Landräte erhebliche Probleme bestehen. Es ist heute so, dass ein Bürgermeister mit 10prozentiger Wahlbeteiligung gewählt werden kann, während für die Abwahl ungleich höhere Hürden bestehen.
Eine grundlegende Stärkung des gewählten Ehrenamtes findet mit der vorliegenden Änderung der Kommunalverfassung nicht statt. Stattdessen erhalten bürgerschaftliche Mitglieder und Beiräte noch ähnliche Rechte, wie die gewählten Vertreterinnen und Vertreter. Sie erhalten jetzt das Rede- und Antragsrecht in allen Sitzungen aller Ausschüsse. Das dürfte nicht nur das Verhältnis zwischen gewählten und ernannten Mitgliedern in den Ausschüssen problematischer gestalten. Damit wird das auch Wählervotum ausgehöhlt.
Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen wurde auch nicht wesentlich erweitert, obwohl die Praxis eben dieses verlangt.
Natürlich begrüßen wir, dass ab jetzt einmal jährlich eine Einwohnerversammlung durchgeführt werden muss, um die Bürger und Bürgerinnen über die wichtigsten Belange der Gemeinde zu informieren. Dies mag in kleinen Gemeinden nicht unbedingt immer erforderlich sein. Aber dieses Instrument der Bürgerbeteiligung ist bislang zu häufig nicht genutzt worden. Deshalb ist die obligatorische Einwohnerversammlung ein Fortschritt.
Positiv ist auch die Änderung des § 47f: Bisher sollten Kommunen Kinder und Jugendliche an Planungen beteiligen. Zukünftig müssen sie es tun. Das unterstützen wir, denn Schleswig-Holstein hat zwar die Nase vorn in Sachen Mitbestimmung, aber zu oft geht das kommunale Engagement nicht über eine Jugendratsversammlung hinaus. Das reicht nicht.
Es gibt noch einige weitere kleine Verbesserungen der Bürgerbeteiligung. Aber insgesamt reichen die Änderungen nicht aus. Die Möglichkeiten für einen Bürgerentscheid werden nicht erweitert. Lediglich die Quoren und die Darstellung der Argumente der Initiatoren von Volksinitiativen wurden geändert. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund unserer Debatte über Bürgerbegehren und Bürgerentscheide im letzten Monat hätte man weiter springen müssen: zum Beispiel mit klareren und einheitlicheren Regelungen der Bürgerbeteiligung, die auch die Bauleitplanungen umfassen.
Die Transparenz der Verwaltung und der Kommunalpolitik ist nicht verbessert worden.
Wir brauchen aber Verwaltungen und Politiker die so offen mit ihren Aufgaben umgehen wie möglich. Ein offener Umgang mit Informationen macht die Entscheidungen von Politik und Verwaltung transparent und nachvollziehbar, gibt den Bürgern bessere Möglichkeiten, sich aktiv einzumischen und ist das beste Mittel gegen Korruption. Deshalb müssen z. B. Sitzungen der politischen Gremien so weit wie möglich öffentlich abgehalten werden.
Leider ist die Chance zu Verbesserungen auf diesem Feld verpasst worden. Gemeinden können weiterhin beschließen, dass ihre Ausschüsse grundsätzlich nichtöffentlich tagen. Damit werden die Bürger von vornherein von der Beobachtung des Entscheidungsprozesses ausgeschlossen. Wir hätten es lieber gesehen, wenn die Gremienarbeit grundsätzlich öffentlich ist, und bei bestimmten Themen die Nichtöffentlichkeit einer Sitzung beschlossen wird so wie wir es auch im Landtag handhaben. Hier ist eine Chance vertan worden.
Die Regelungen für Kommunalwahlen wurden nicht geändert, obwohl dieses längst überfällig ist.
Der Sonderausschuss hat sich in seiner wechselvollen Geschichte in dieser Legislaturperiode noch mit weiteren Sachverhalten auseinandergesetzt. Hierzu zählte die Sperrklausel im Kommunalwahlrecht. Aufgrund eines Antrags der FDP und vor dem Hintergrund einiger Urteile zur 5 % Sperrklausel diskutierte der Ausschuss eine Senkung oder gänzliche Abschaffung der Hürde. Dabei wurde deutlich, dass die Vertreter von SPD und CDU keinerlei Veranlassung für eine Änderung sehen. Es zeugt wirklich von der Arroganz der großen Parteien, dass der Kollege Puls die 5%-Hürde zum Bollwerk gegen Anarchie und Extremismus hochstilisiert hat. Wir können dem entnehmen, dass nur die großen Volksparteien zu Stabilität und Demokratie in den Kommunen beitragen. Das ist eine maßlose Selbstüberschätzung und eine Beleidigung für viele politisch engagierte Bürgerinnen und Bürger.
Ähnliches gilt für die Diskussion über das Auszählverfahren bei Wahlen, zu dem bereits in der letzten Tagung eine Entscheidung getroffen wurde. Es kann keinen Zweifel geben: Am meisten demokratisch ist das Zählverfahren, welches das prozentuale Wahlergebnis am genauesten widerspiegelt. Deshalb hat der SSW im Innen- und Rechtsausschuss beantragt, die Mandatsverteilung zukünftig nach dem System Hare-Niemeyer statt nach dem dHondtschen Höchstzählverfahren vorzunehmen. Der Antrag wurde im Sonderausschuss behandelt und abgelehnt. Die einzige plausible Begründung hierfür lautet, dass die großen Parteien von der ungenaueren Auszählung nach dHondt profitieren.
Der Gesetzentwurf des Sonderausschusses zur Änderung der Kommunalverfassung bringt einige kleinere Verbesserungen, Verwaltungsvereinfachungen und redaktionelle Änderungen. Trotzdem wird auch die neue Kommunalverfassung nicht den Anforderungen einer anwenderfreundlichen, gut lesbaren Gemeindeordnung gerecht.
Die zentralen Forderungen des SSW an eine neue Kommunalverfassung sind nicht erfüllt. Wer wirklich etwas für einer bürgernahe Demokratie tun will, wer Menschen zu kommunalpolitischem Engagement motivieren will, muss mehr tun: muss die direkte Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern ausbauen, muss die Transparenz von Politik und Verwaltung herstellen, muss auch kleinen Parteien oder Wählergruppen eine Chance geben und muss vor allem das Ehrenamt stärken.
Man kann aber nicht das Ehrenamt wirklich stärken, ohne den Entscheidungskompetenzen der hauptamtlichen Bürgermeister und Landräte deutlicher Grenzen zu setzen. Die vom Sonderausschuss beschlossene Änderung der Kommunalverfassung ist der Versuch, einen Schwerkranken mit einem Pflaster zu heilen. Die bestehende Kommunalverfassung wird nicht verbessert. Die Ursache für dieses Vorgehen dürfte nicht zuletzt darin zu finden sein, dass die Parteien immer noch die Absicherung ihrer Machtposition in Gemeinden, Städte und Kreisen höher stellen als die kommunale Demokratie. Leidtragende sind die Bürgerinnen und Bürger, die sich eine lebendige, bürgernahe Demokratie in den Kommunen wünschen.
Der vorliegende Gesetzentwurf setzt konsequent die zentralen Fehler der geltenden Kommunalverfassung fort. Der SSW wird daher dagegen stimmen.