Rede · 23.03.2007 Am Ausstieg aus der Atomkraft festhalten

Gehen nun ohne Atomstrom in Deutschland die Lichter aus oder nicht? Ich glaube es wäre zu einfach, sich auf eine Studie zu berufen und diese dann als Argument zu nutzen. Es gibt eine Vielzahl von Studien zu diesem Thema und damit auch eine Vielzahl von Ergebnissen und Schlussfolgerungen. Das zeigt, dass es hier einen hohen Grad an Unsicherheit gibt.

Allen Studien ist eines gemeinsam: Sie gehen von Szenarien aus. Einerseits wird der Energiebedarf der Zukunft hochgerechnet und andererseits wird in den jeweiligen Szenarien dann die Wirkung eines energiepolitischen Wandels – in welche Richtung auch immer – zugrunde gelegt. Den meisten Studien gemeinsam ist, dass sie zu dem Schluss kommen, dass selbst, wenn man Einsparpotentiale im großen Umfang verwirklicht, wir mindestens den heutigen Energiebedarf wohl auch in Zukunft haben werden, weil der Gesamtbedarf auch in unserem Land steigt. Das heißt, wenn ich die Lage betrachte, dann muss ich vom heutigen Energiebedarf als Mindestenergiebedarf ausgehen. Damit gibt es immer noch keine Festlegung auf eine Energieform, sondern dies ist nur eine sachliche Feststellung, welchen Bedarf wir haben.

Will man sich überlegen, welche Energieformen der Zukunft nun angestrebt und umgesetzt werden sollen, ist in erster Linie der Klimaschutz ausschlaggebend – aber auch Fragen der Verfügbarkeit und der Sicherheit spielen hier natürlich eine Rolle.
Sehen wir uns einmal die einzelnen Energieformen an und betrachten einmal deren Klimafolgen. Dabei betrachte ich aber nicht nur den Prozess der Nutzung der Energie, sondern auch die Auswirkungen der Gewinnung der Rohstoffe für die Energieherstellung. Denn diese Rohstoffe werden teilweise unter sehr umwelt- und klimaschädlichen Bedingungen gewonnen. Fasst man alle Faktoren zusammen, so ist zum Beispiel die Atomkraft eben nicht so klimafreundlich wie immer gedacht. Im Schnitt führt die Kernenergie zu einem CO2-Ausstoß von 60 Kilogramm pro Megawattstunde. Deutlich niedriger sind die Werte bei biomassebefeuerten Dampfkraftwerken mit 15 Kilogramm oder auch bei der Windkraft mit 24 Kilogramm pro Megawattstunde. Am günstigsten nach heutigem Stand der Technik sind in diesem Bereich Wasserkraftwerke, die nur rund 10 Kilogramm CO2 pro Megawattstunde auslösen.

Vor diesem Hintergrund ist klar, dass Atomkraftwerke technisch nicht unbedingt als der „letzte Schrei“ gelten können und sie auch nur eine Übergangstechnologie sind. Andere Energieformen sind definitiv zukunftsweisender. Und es wird deutlich, dass wir Synergieeffekte auch in der Energiegewinnung anstreben müssen. So ist die thermische Behandelung von Abfall eben nicht nur unter den reinen abfallpolitischen Gesichtspunkten zu sehen, sondern eben auch vor den Hintergrund der Nutzung dieser thermischen Abfallbehandlungsanlagen für die Strom- und Wärmegewinnung. Überhaupt ist es wichtig, dass wir die Wärme, die im Prozess der Stromgewinnung entsteht, mit nutzen. In Großkraftwerken wird diese Abwärme immer wieder nicht genutzt, was dazu führt, dass der Wirkungsgrad von solchen großen Anlagen beschämend niedrig ist. Das gilt im Übrigen für alle Großkraftwerke – nicht nur für Atomkraftwerke. Großkraftwerke sind somit die Technik des vergangenen Jahrhunderts und allenfalls für den kurzfristigen Übergang hin zu neuen Energieträgern noch sinnvoll.

Sehen wir uns nun einmal die Energieträger unter dem Aspekt der Verfügbarkeit an. Wind, Wasser und Sonne sind unbegrenzt verfügbar. Biomasse ist ebenfalls reichlich verfügbar und kann jederzeit nachgepflanzt werden. Das sind also die Energieträger der Zukunft, die nicht nur unbegrenzt zur Verfügung stehen, sondern auch bei uns hier vorkommen. Anders ist dies mit den anderen Energieträgern. Kohle mag es noch fünfzig oder hundert Jahre geben und Erdgas sowie Öl wird es sicherlich auch noch in einem ähnlich langen Zeitraum geben. Für eine Übergangstechnologie also durchaus lang genug. Bei Uran sieht dies schon schlechter aus. Die Vorkommen sollen in zwanzig bis dreißig Jahren so weit abgebaut sein, dass dann die Gewinnung nur noch unter erschwerten Umständen möglich ist. Das spricht nicht für eine dauerhafte Investition in die Atomtechnik.

Außerdem müssen wir, wenn wir die Verfügbarkeit betrachten, sehen, dass hundert Prozent unseres Urans aus dem Ausland stammt und viele Herkunftsstaaten eben politisch instabil sind. Damit begibt man sich in eine energiepolitische Abhängigkeit, wenn man auf diesen Energieträger setzt. Gleiches gilt für Erdgas. Wir beziehen unser Erdgas aus Norwegen und zu einem großen Teil aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion – und hier vornehmlich aus Russland. Weil Gas ja nun einmal nur in Leitungen transportiert werden kann, begibt man sich hier ebenfalls in eine starke Abhängigkeit. Man kann nicht einmal so eben seinen Lieferanten wechseln. Kommt es zu politischen Krisen oder zu unangemessenen Preisabsprachen, hat man kaum eine Chance, seinem Lieferanten zu entgehen. Deshalb ist es für einen Staat wichtig, den Übergang zu sauberen Energieformen mit Hilfe eines Energieträgers zu bewältigen, der sicher verfügbar ist. Das ist die Kohle, wenn ich auch zugeben muss, dass diese nun wirklich nicht die sauberste Energieform ist. Aber wir haben Kohle in heute sicheren Ländern und wir haben sogar Kohle im eigenen Land. Für den Übergang aus der Atomwirtschaft stünde somit ein sicherer verfügbarer Energieträger zur Verfügung.

Betrachtet man nun noch den Sicherheitsaspekt, so ist völlig klar, dass Atomstrom nicht im Entferntesten eine Alternative für die Zukunft ist. Dort wo Menschen arbeiten passieren Fehler. Wenn in Atomanlagen Fehler passieren, kann es zur Katastrophe kommen. Deshalb müssen wir am Atomkonsens festhalten und alle Atomanlagen so schnell wie möglich abschalten. Wenn wir Forschung betreiben wollen, müssen wir die erneuerbaren Energien erforschen und die Finanzmittel dorthin lenken. Nur wenn wir es schaffen, dezentrale Energieformen zu entwickeln, die unseren Energiebedarf decken können, werden wir in eine energiepolitisch sichere Zukunft steuern.

Es darf aber nach meiner Meinung auch der wirtschaftliche Aspekt nicht zu kurz kommen. Nicht nur wir zahlen Steuern, damit die Atomindustrie subventioniert wird und konkurrenzlos billigen Strom liefern kann. Nein, auch zukünftige Generationen werden riesige Steuersummen aufwenden müssen und damit noch in hundert Jahren die Gewinne der Strombosse von heute subventionieren. Versicherungsrisiken werden den Atomkonzernen heute schon genommen und die Entsorgung ihres strahlenden Mülls wird auch von der Gesamtgesellschaft und damit vom Steuerbürger der Zukunft getragen. Wer hundert Milliarden Euro Subventionen erhält und dann sagt, das EEG würde zu Wettbewerbsverzerrung führen, der hat Wirtschaft definitiv nicht verstanden. Wir müssen sofort aufhören, diese Subventionen zu leisten und auf dem Markt der Stromerzeuger für gleiche Bedingungen sorgen. Dann würde schon heute jedes Atomkraftwerk umgehend abgeschaltet werden, weil der Strom zu teuer wäre.

Wer am Atomstrom festhält, sichert nur das Oligopol der Stromriesen in Deutschland. Nur diese haben die Technik in ihren Händen und nur diese können dann diese Technik in ihrem Sinne einsetzen. Wer diese Marktmacht brechen will, muss andere Energieformen stützen und auch für den Übergang andere Großkraftwerke zulassen. In meinen Augen ist es energiepolitisch durchaus sinnvoll, in begrenztem Umfang kurzfristig auf Kohlekraft zu setzen und dann mittel- und langfristig auf dezentrale Energieversorgungssysteme umzustellen. Wir könnten so die Marktmacht der Stromriesen brechen und für mehr Wettbewerb sorgen und gleichzeitig für Versorgungssicherheit auf dem Energiemarkt und für Sicherheit vor Atomunfällen sorgen.

Was muss nun also in Zukunft getan werden. Nach Auffassung des SSW sind folgende Schritte notwendig:
1. Wir müssen am Atomausstieg festhalten und die Subventionen in diesem Bereich massiv abbauen.
2. Wir müssen in die Erforschung der erneuerbaren Energien investieren, damit wir hier schnell weitere Energiealternativen erhalten und unsere Marktposition ausbauen.
3.Wir müssen auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass subventionierter Atomstrom aus dem Ausland nicht unsere Bemühungen um eine umweltgerechte und klimafreundliche Energiegewinnung zunichte macht.
4. Wir müssen auf Bundesebene dafür sorgen, dass endlich eine konkrete Planung erstellt wird, die verbindliche Aussagen darüber trifft, wie der Energiemix in zwanzig und in fünfzig Jahren aussehen soll.
5. Wir müssen auf Bundesebene dafür sorgen, dass der dezentrale Ausbau des Stromnetzes vorangetrieben wird. Voraussetzung hierfür ist und bleibt, die Trennung von Netz und Betrieb bei den Stromerzeugern.
6. Und wir müssen in Schleswig-Holstein eine Strategie entwickeln, wie der Wegfall des Atomstroms kurzfristig durch andere Kraftwerke kompensiert werden kann. Hierbei ist insbesondere daran zu denken, dass Großkraftwerke mehr Sinn machen, wenn man ihre Abwärme nutzt. Dabei bieten sich zum Beispiel Standorte in der Nähe der chemischen Industrie an, die oft große Mengen Prozesswärme benötigt. Dieses sollte auch bei der Unternehmensansiedlungspolitik des Landes eine Rolle spielen.
7. Und zu guter letzt brauchen wir auch auf Landesebene schon jetzt eine konkrete Planung, welche Energieformen in Schleswig-Holstein in zwanzig und in fünfzig Jahren genutzt werden sollen. Hierauf aufbauend muss dann ein Förderinstrumentarium auf Landesebene entwickelt werden, das es ermöglicht diese gesteckten Ziele zu erreichen.

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