Rede · 17.09.2015 Der FDP-Entwurf schränkt die freie Schulwahl ein und entmündigt damit die Eltern im Land
Jette Waldinger-Thiering zu TOP 10 - Entwurf eines Gesetzes zur Wiedereinführung der Schulübergangsempfehlung und zur Stärkung der Durchlässigkeit zwischen den Schularten
Ich kann diesem Gesetzentwurf der FDP auch mit viel gutem Willen wirklich nichts Positives abgewinnen. Die Gemeinschaftsschule soll offenbar zu einer Art Rumpf- oder Restschule degradiert und das Schulwesen von einem Aufstiegs- zu einem Abstiegsmodell umgewandelt werden. Damit macht die FDP genau das, was sie uns immer wieder vorwirft: Eine ideologisch motivierte und eben nicht am Willen der Eltern orientierte Schulpolitik. Ein konstruktiver Beitrag zur Weiterentwicklung unserer Schulen sieht aus Sicht des SSW ganz sicher anders aus.
Neben der eher formalen Frage, ob wir hier im Parlament überhaupt über die Änderung von Erlassen entscheiden können und sollen, sind vor allem inhaltlich einige große Fragezeichen angebracht. Zwar soll laut Begründung die Durchlässigkeit zwischen Gymnasien und Gemeinschaftsschulen verbessert werden - aber wenn überhaupt, dann geschieht das doch nur in eine Richtung: Zunächst einmal sollen auf Wunsch der FDP möglichst viele Schülerinnen und Schüler verbindlich in die Orientierungsstufe des Gymnasiums aufgenommen werden. Lediglich in Fällen, in denen der Erste allgemeinbildende Schulabschluss als erreichbar angesehen wird, soll es auf die Gemeinschaftsschule gehen. Damit würde also sehr früh und sehr radikal selektiert. Um den Preis, dass viele Kinder im Zweifel dann lieber eine Erfahrung des Scheiterns als eine des Aufstiegs machen. Und um den Preis, das wieder andere niemals auch nur in die Nähe des Gymnasiums kommen. Das ist mit dem SSW ganz sicher nicht zu machen.
Auch wenn es sich mancher oder manche vielleicht kaum vorstellen kann: Es gibt tatsächlich viele Eltern, die sich ganz bewusst und noch dazu völlig freiwillig für das Modell des längeren gemeinsamen Lernens entscheiden. Die den Weg zum Abitur an der Gemeinschaftsschule für den besseren für ihr Kind halten. Und die nicht zuletzt auch einen gesteigerten Wert auf die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung legen. Dass sich ein Gesetzentwurf, der - ich zitiere - „die Hochwertigkeit, Durchlässigkeit und Flexibilität des Bildungssystems“ stärken soll, nicht mit einem einzigen Wort mit dem wichtigen Thema Inklusion befasst, spricht wirklich Bände. Ich sage deshalb ganz deutlich: Die FDP hat gewiss nicht den Willen und schon gar nicht die größtmögliche Autonomie der Eltern, sondern wieder einmal die Wünsche einiger Weniger im Blick.
Wie wir sehen, soll die Schulübergangsempfehlung mit diesem Entwurf wieder eingeführt und damit schon in der 4. Klasse so mancher Bildungsweg besiegelt werden. Mündige Eltern, die diese Entscheidung durch unser Schulgesetz frei treffen können, würden damit faktisch entmündigt. Und die Kinder, die erst später - in den Klassen 5 und 6 - mitunter erhebliche Entwicklungssprünge machen, hätten schlicht und einfach Pech gehabt. Vermeintlich Schwache auszusieben und all die Kinder, die dem Druck in der Orientierungsstufe am Gymnasium dann doch nicht gewachsen sind, still und heimlich weg zu versetzen halte ich definitiv für den falschen Ansatz.
Übergeordnet gesehen ist doch völlig klar, dass Rot-Grün-Blau unverändert zum Zwei-Säulen-Modell aus Gemeinschaftsschulen und Gymnasien steht. Beide Wege sollen selbstverständlich auch in Zukunft zum Abitur führen. Jede Schülerin und jeder Schüler soll unabhängig vom finanziellen und sozialen Status der Eltern den bestmöglichen Abschluss erreichen können. Und mit Blick auf die Zukunft ist eigentlich auch völlig klar, dass wir mehr junge Menschen zu möglichst hochwertigen Abschlüssen führen müssen. Mit ihrer Initiative hier zeigt die FDP dagegen aber nicht nur, dass sie diese Notwendigkeit gar nicht sieht. Sie zeigt vor allem auch, dass sie sich lieber Gedanken darüber macht, wie junge Menschen möglichst effektiv von gewissen Chancen ausgeschlossen werden können. Rückwärtsgewandter kann ein Ansatz eigentlich kaum sein.