Rede · 30.09.2022 Geburtshilfe ist Daseinsfürsorge

„Wir brauchen dringend ein Soforthilfeprogramm für die Geburtshilfe, um diesen wichtigen Bereich der Gesundheitsversorgung zu stärken“

Christian Dirschauer zu TOP 18 - Schließung von Geburtskliniken sofort stoppen - Unhaltbare Zustände beenden (Drs. 20/224 (neu))

Es ist hinlänglich bekannt, dass die Entwicklung in der geburtshilflichen Versorgung seit vielen Jahren rückläufig ist. In den letzten 10 Jahren wurde ein Viertel aller Kreißsäle in Schleswig-Holstein geschlossen. Wir sind längst in einer Situation, in der vielen werdenden Eltern zu viel zugemutet wird. Mancherorts sind die Zustände tatsächlich unhaltbar. Vor diesem Hintergrund ist es natürlich wichtig, dass wir wieder über dieses Thema debattieren. Entscheidend ist aber, dass wir endlich handeln und diesen Negativtrend stoppen. Bund und Land müssen in Sachen Geburtshilfe an einem Strang ziehen und wir müssen zu einem echten Paradigmenwechsel kommen: Weg von einer immer stärkeren Ökonomisierung und Zentralisierung und hin zu einer Versorgungslandschaft, die dauerhaft sichere Geburten in ganz Schleswig-Holstein ermöglicht. 

Es geht hier nicht um Schuldzuweisungen. Auch wir haben diese Entwicklung in Zeiten der Küstenkoalition nicht aufhalten können. Aber die Situation spitzt sich leider immer weiter zu. Die Hebammen im Land arbeiten wirklich am Limit und die Wege für viele werdende Eltern werden immer länger. Es lässt sich nicht leugnen, dass wir vor einer ganzen Reihe von gravierenden Problemen stehen. Und spätestens mit der besorgniserregenden Nachricht aus Henstedt-Ulzburg halten wir es für dringend nötig, ein Soforthilfeprogramm für die Geburtshilfe auf den Weg zu bringen und diesen wichtigen Bereich der Gesundheitsversorgung zu stärken. Für uns vom SSW steht fest: Wir dürfen nicht weiter dabei zusehen, wie immer mehr geburtshilfliche Angebote abgebaut werden. 

Wir haben oft betont, dass die Geburtshilfe für uns zentraler Bestandteil der Daseinsvorsorge ist. Deshalb setzen wir uns konsequent für ein möglichst flächendeckendes Angebot ein. Aus unserer Sicht ist es höchste Zeit, dass wir uns auch gemeinsam zu diesem Ziel bekennen und darauf hinarbeiten. Wir müssen die bestehenden Probleme mit tiefgreifenden Maßnahmen angehen und die Rahmenbedingungen grundlegend verbessern. Denn auch die Geburtshilfe ist zunehmend vom Fachkräftemangel betroffen. Gleichzeitig stehen nicht nur Krankenhäuser mit belegärztlicher Geburtshilfe oder Häuser mit weniger hohen Geburtenzahlen unter großem finanziellem Druck. Auch die Level-4-Perinatalzentren sind durch Nichtberücksichtigung der Vorhaltekosten deutlich unterfinanziert. Und unser Hebammenwesen ist nicht zuletzt durch die unverhältnismäßig hohen Prämien zur Berufshaftpflichtversicherung in seiner Existenz bedroht. 

Wir haben diese Probleme und Fehlanreize mehr als einmal diskutiert. Daher dürfte auch der absolut unsinnige Grund für die stetig steigende Kaiserschnittrate in Deutschland bekannt sein. Es ist doch völlig klar, dass hier wirtschaftliche und nicht etwa medizinische Interessen im Vordergrund stehen. Kaiserschnitte sind planbar und entzerren dadurch das Geburtsgeschehen. Dass dieser Eingriff aber nicht nur teurer ist, sondern auch zu einer längeren Verweildauer führt und das Risiko für Komplikationen erhöht ist, scheint immer weniger zu interessieren. Denn diese Kosten werden über andere DRG-Gruppen abgedeckt. Im Ergebnis erhalten Arzt und Krankenhaus bei einem Kaiserschnitt binnen 20 bis 30 Minuten erheblich mehr Geld als bei einer natürlichen Geburt, die häufig Stunden dauert. Aus unserer Sicht ist das der absolute Irrsinn. Und deshalb brauchen wir dringend eine Reform der Finanzierung. 

In der Geburtshilfe muss nicht der höchstmögliche Gewinn, sondern die bestmögliche Versorgung der Menschen im Vordergrund stehen. Deshalb brauchen wir ganz grundsätzlich eine Veränderung bei der Vergütung von Leistungen im Rahmen der Geburtshilfe. Wir müssen schnellstmöglich zu einem Personalschlüssel kommen, der eine 1:1 Betreuung durch Hebammen während der gesamten Geburtsphase ermöglicht. Mittelfristig brauchen wir mehr hebammengeleitete Kreißsäle und eine auskömmliche Vergütung ambulanter, aufsuchender Geburtsvor- und Nachsorge für angestellte Hebammen an Kliniken. Und wir brauchen eine langfristige Finanzierung der Boardingkonzepte, damit werdende Mütter, die beispielsweise auf den Inseln und Halligen leben und damit weite Wege zum nächsten Kreißsaal haben, die entsprechende Sicherheit haben. Wir erwarten, dass all diese Aspekte in der Planung des Landes berücksichtigt werden. Und wir erwarten, dass diese Planung deutlich verbindlicher ausgestaltet wird als bisher. 

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