Rede · 26.09.2018 Geschlechtliche Selbstbestimmung für alle Menschen verwirklichen
Flemming Meyer zu TOP 15 - Geschlechtliche Selbstbestimmung für alle Menschen verwirklichen
„Vor dem Hintergrund dieser gemischten Signale wünschen wir uns ein deutliches Zeichen!“
Für mich ist es nach wie vor besonders wichtig, endlich voranzukommen, wenn es um die Rechte von transidenten und intersexuellen Menschen geht. Nun dachten wir ja erst, wir könnten uns freuen, als das Bundesverfassungsgericht mit einem Urteil im Oktober 2017 so deutlich entschieden hat, dass das Grundgesetz explizit auch die Rechte derjenigen Menschen schützt, die nicht der Einordnung in ein binäres Geschlechtersystem entsprechen. Also die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen. Wenn nach dem Personenstandsgesetz die Kategorie „Geschlecht“ erhoben wird, ohne dass ein weiterer positiver Geschlechtseintrag neben männlich und weiblich möglich ist, dann werden damit Grundrechte verletzt.
Nun hat das Bundeskabinett im August den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Personenstandsgesetzes beschlossen, der zwar nicht auf die Registrierung des Geschlechts verzichtet, aber eben auf den ersten Blick Besserung verspricht, indem er den dritten Eintrag „Divers“ vorsieht. Damit waren ja schon, nach dem ersten öffentlich gewordenen Referentenentwurfs, der noch „anderes“ als dritte Kategorie vorsah, Verbesserungen eingeflossen.
Und dann wurde sehr schnell klar, dass bei diesem Gesetz immer noch nicht von Selbstbestimmung gesprochen werden kann.
Weil es den dritten Eintrag eben nur für diejenigen Personen öffnet, die mit einer medizinischen Diagnose dokumentieren können, dass bei ihnen eine sogenannte „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt. Damit hätten wir ein Gesetz, das körperliche Merkmale wie beispielsweise Hormone oder Chromosome als ausschlaggebend für die Kategorie Geschlecht festschreibt und eben nicht die selbstbestimmte Entscheidung der Menschen. Hier wollen wir aber hin. Die Attestpflicht muss aus dem Gesetz gestrichen werden.
Natürlich ist jeder Eintrag eines Geschlechts bei der Geburt fremdbestimmt. Im Zweifel entscheiden hier nun einmal die Eltern im Sinne dessen, was sie für richtig halten und bleiben damit auch einem hohen Druck ausgesetzt, denn sie können auch ein ungewolltes Outing und damit einhergehende Diskriminierung fürchten.
Der SSW schließt sich der Auffassung an, dass dieser Vorgang nicht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird und unterstützt die Forderung, die Landesregierung möge sich auf Bundesebene für eine bessere Lösung einsetzen.
Das haben wir in der Vergangenheit auch deutlich gemacht, zuletzt mit dem Beschluss im Juni-Plenum, sich der Bundesratsinitiative für ein Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtsidentität von Transsexuellen und Intersexuellen Menschen anzuschließen.
Nun ist unser Sozialminister ausgerechnet nicht der, bei dem ich mir Sorgen mache, dass er sich ziert, sich für die Rechte trans- und intergeschlechtlicher Menschen einzusetzen. Ich habe seine Wortbeiträge in dieser Hinsicht immer als engagiert und empathisch empfunden und erinnere mich, wie er sich in der Plenardebatte enttäuscht über die vorgesehene medizinische Untersuchung zeigte. Und er hatte zugesagt, in den Gesundheitsausschuss des Bundesrates einen Präzisierungsvorschlag einzubringen, der vor nicht selbstbestimmten Zuweisungen zum männlichen oder weiblichen Geschlecht schützen und medizinisch nicht indizierte Operationen an intersexuellen Kindern verbieten sollte. Das fanden wir richtig.
Aber wir sehen eben auch, dass die Aufnahme der Merkmale "sexuelle und geschlechtliche Identität" in den Gleichbehandlungsartikel 3 des Grundgesetzes im Juli vorerst gescheitert ist und es keine Mehrheit für eine Verfassungsänderung gab. Und wir konnten lesen, dass unser FDP-Sozialminister zwar für Zustimmung geworben hat, er das CDU-geführte Justizministerium aber nicht überzeugen konnte und letztlich kein CDU-regiertes Bundesland den Antrag offiziell mitgezeichnet hat. Außerdem scheint die Bundesregierung die Reform des Transsexuellengesetzes weiter aufzuschieben.
Vor dem Hintergrund dieser gemischten Signale, wünschen wir beim SSW uns ein erneutes deutliches Zeichen für die Unterstützung all derer, die nicht der Vorstellung eines binären Geschlechtersystems entsprechen und stimmen mit voller Überzeugung für den Antrag, die geschlechtliche Selbstbestimmung für alle Menschen zu verwirklichen.