Rede · 29.06.2011 Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein

Nach 1998, 2003, 2004 und 2006 ist dies heute der fünfte Versuch, die Sinti und Roma in den Artikel 5 zum Minderheitenschutz in unserer Verfassung aufzunehmen. Die Diskussion ist also nicht neu, trotzdem müssen wir sie wieder führen. Es gilt nämlich, 20 Jahre nach der Aufnahme der Dänischen Minderheit und der Friesischen Volksgruppe auch der dritten anerkannten Minderheit hier im Land endlich Minderheitenschutz und Förderung in der Landesverfassung zuzusichern.

Sowohl die erste Lesung zu diesem Gesetzentwurf als auch die Ausschussberatung haben deutlich gemacht, dass die CDU zwar – wie die Kollegin Damerow es im September des letzten Jahres ganz richtig erkannte – Diskussionsbedarf hat, aber in Wirklichkeit nur die gleichen Argumente der letzten 20 Jahre gebetsmühlenartig wiederholte, um ihre Ablehnung der Sinti und Roma zu begründen. Das ist bitter, weil uns allen mittlerweile bewusst ist, dass es auch bei der CDU vermehrt Stimmen gibt, die sich für die Aufgabe dieser alt hergebrachten Positionen aussprechen. Sie führen eine Verliererdebatte, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und zeigen damit einmal mehr, dass Minderheitenpolitik bei Ihnen keinen ernst zu nehmenden Stellenwert hat. Unter dem Strich bleibt aber stehen, dass es völlig inakzeptabel ist, den Sinti und Roma nicht den gleichen Schutz der Landesverfassung zukommen zu lassen wie den Dänen und Friesen.

Wenn das Argument ist, dass die Minderheit der Sinti und Roma nicht landesspezifisch genug ist, weil es auch Sinti und Roma in anderen Bundesländern gibt, dann wissen wir, dass erstens auch die Friesen in Niedersachsen leben und dass zweitens das erste schriftliche Zeugnis auf die Ansiedlung von Sinti und Roma hier im Land auf 1417 zurückgeht. Seit mindestens 600 Jahren leben also Sinti und Roma hier im Land. Sie fühlen sich mit Schleswig-Holstein verbunden, leben hier seit Generationen, kennen die Kultur und die Lebensweise. Sie sind deutsche Staatsbürger. Es ist also völlig abwegig zu behaupten, Sinti und Roma seien nicht „landesspezifisch“. Sie sind genau so Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner wie Sie und ich, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU.

Wenn das Argument ist, dass als nächstes Polen und Türken in die Verfassung wollen, wie der Kollege Kalinka bei der ersten Lesung meinte, dann muss einmal mehr gesagt werden, worum es eigentlich geht. Es geht nämlich um den Schutz und die Förderung von autochthonen, nationalen Minderheiten. Davon gibt es bekanntlich vier in der Bundesrepublik: Dänen, Friesen, Sorben und die Minderheit der Sinti und Roma. Auch wenn wir vom Europarat wissen, dass es trotz der Verabschiedung der europäischen Minderheitenübereinkommen nicht gelang, sich auf eine Konsensus fähige Definition von nationalen Minderheiten zu verständigen, so sind sich alle Minderheitenforscher einig, dass es bestimmte Elemente gibt, die in jeder Definition enthalten sind. Laut Definition der FUEV sind autochthone, nationale Minderheiten Gemeinschaften, die im Gebiet eines Staates geschlossen oder in Streulage siedeln, zahlenmäßig kleiner als die übrige Bevölkerung des Staates sind; deren Angehörige Bürger dieses Staates sind, die sich durch ethnische, sprachliche und kulturelle Merkmale von der Mehrheitsbevölkerung unterscheiden. Die Minderheit der Sinti und Roma ist nicht nur eine anerkannte autochthone Minderheit in Deutschland und in Schleswig-Holstein, sie ist es auch im Sinne der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen und der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten in Europa.

Und auch das letzte - immer wieder vorgebrachte Argument der CDU, nämlich die Inflation der Staatszielbestimmungen - ist Unsinn. Zum einen hat die CDU selbst dazu beigetragen, dass weitere Staatszielbestimmungen in die Landesverfassung aufgenommen worden sind. Zum anderen geht es hier eben nicht um eine Überfrachtung der Verfassung, sondern schlichtweg darum, dass Sinti und Roma genau so akzeptiert werden wie Dänen und Friesen. Dass sie gesellschaftlich anerkannt sind und dazu gehören. Daher sage ich klar und deutlich: Auch vor dem Hintergrund unserer historischen Verantwortung für die Sinti und Roma ist es an der Zeit, dass die CDU ihre Vorurteile gegen diese Minderheit endlich ablegt, sie nicht weiter ausgrenzt und heute für ihre Aufnahme in die Verfassung stimmt. Wenn eine 2/3 Mehrheit zur Änderung der Verfassung heute nicht zustande kommen sollte, sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, schon heute zu, dass der SSW auch zum 6. oder 7. Mal mit einer entsprechenden Änderung unserer Landesverfassung kommen wird.

Weitere Artikel

Pressemitteilung · 07.11.2024 SSW bereit für die Bundestagswahl: Eine starke Stimme für den Norden in Berlin

Zum Bruch der Ampel-Regierung und der Aussicht auf vorgezogene Bundestagswahlen erklärt der Landesvorsitzende des SSW, Christian Dirschauer:

Weiterlesen

Pressemitteilung · Kiel · 08.11.2024 Chersons Tag der Befreiung: Unterstützung nötiger denn je

Am 11. November jährt sich der Tag der Befreiung von Kiels Partnerstadt Cherson von der russischen Besatzung zum zweiten Mal. Dazu erklärt Ratsherr Marcel Schmidt, Vorsitzender der SSW-Ratsfraktion:

Weiterlesen

Pressemitteilung · 07.11.2024 Seidler zum Ampel-Aus: Der SSW bleibt die starke Stimme des Nordens in Berlin

Nach dem Ampel-Aus gestern Abend kommentiert der SSW-Bundestagsabgeordnete Stefan Seidler:

Weiterlesen