Rede · 23.05.2024 Gute Präventionsangebote sind enorm wichtig

„Prävention vermindert nicht nur Folgekosten für die Gesellschaft, sondern vor allem menschliches Leid für Betroffene“

Christian Dirschauer zu TOP 15 - Prävention in Schleswig-Holstein (Drucksache 20/1854)

Erst einmal möchte ich mich bei allen Beteiligten für die Beantwortung unserer großen Anfrage bedanken. Es ist gut und richtig, dass hiermit nun ein erkenntnisreicher Überblick über die Präventionslandschaft in Schleswig-Holstein vorliegt. Und es ist grundsätzlich natürlich auch erfreulich, dass sich in Sachen Prävention in Schleswig-Holstein schon so einiges bewegt. Übergeordnet betrachtet lassen sich ja eine ganze Reihe verschiedener Maßnahmen und Programme unter diesem Label subsummieren. Und auch wenn nicht nur die regionale Verteilung, sondern auch die jeweilige Reichweite stark schwankt, möchte ich diesen Einsatz gerne anerkennen. All diese Präventionsangebote sind aus unserer Sicht enorm wichtig. Denn sie vermindern oftmals nicht nur Folgekosten für die Gesellschaft als Ganze, sondern vor allem menschliches Leid für den oder die Einzelne. Und gerade dieser letzte Punkt spielt für uns vom SSW eine ganz wesentliche Rolle.

Doch so einleuchtend die Argumente für eine möglichst umfassende Präventionsarbeit auch sind. Irgendwie scheinen sie in der Breite nicht zu verfangen. In Gesprächen bekomme ich zumindest immer wieder den Eindruck, dass präventive Arbeit von vielen eher als „nice to have“ gesehen wird. Frei nach dem Motto: Falls noch irgendwelche Gelder zur Verfügung stehen, können diese dann ja für präventive Maßnahmen genutzt werden. Dieser Gedanke ist aber nicht nur aus sozialpolitischer Sicht grundfalsch, sondern in Zeiten knapper Kassen auch fatal. Denn im Ergebnis findet damit viel zu wenig präventive Arbeit statt. Und letztlich verschiebt man bestehende Probleme und gesellschaftliche Herausforderungen eben auch nicht nur in die Zukunft, sondern macht sie dadurch auch noch größer und Gegenmaßnahmen teurer.

Mit unserer großen Anfrage zur Prävention verbinden wir demnach auch das Ziel, mehr Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Thema zu lenken. Und ich persönlich verbinde mit dieser Debatte auch die Hoffnung, dass wir ein größeres Bewusstsein für das Thema insgesamt und für den Wert guter Präventionsangebote schaffen. Denn die sind nun mal aus verschiedenen Gründen extrem wichtig. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der riesigen Herausforderungen, vor denen wir im Gesundheitswesen stehen. Auch hier auf Landesebene sollten wir uns noch stärker bewusst machen, dass Prävention die ganz konkrete Chance bietet, der Krankheitslast in der Bevölkerung entgegenzuwirken. Damit können direkt und indirekt erhebliche Kosten eingespart werden. Allein wenn wir uns klar machen, dass 50 Prozent aller Krebserkrankungen durch Prävention verhindert werden können, wird das riesige Potenzial deutlich. Ich denke wir tun deshalb gut daran, wenn auch wir uns Gedanken darüber machen, wie die Prävention grundsätzlich gestärkt werden kann.

Diese Stärkung ist wichtiger denn je. Denn der genauere Blick auf die Ergebnisse der Großen Anfrage zeigt, dass es dann doch nicht ganz so rosig um die Präventionsstrukturen im Land bestellt ist. Das ist gar nicht in erster Linie als Kritik an dieser oder der Vorgängerregierung gemeint. Zumal ja auch stets auf die Hauptverantwortung der Krankenkassen und Kommunen verwiesen wird. Sei es drum. Im Ergebnis sind aber viel zu viele gute Ansätze nur als Projekt angelegt. Ein Angebot im Bereich der Suizidprävention durch den Verein Lichtblick aus Flensburg, das wir langfristig im Haushalt verankern konnten, bildet da eine der ganz weniger Ausnahmen. Der weit überwiegende Teil der vielen sinnvollen präventiven Maßnahmen bleibt leider zeitlich befristet und ist eben gerade nicht nachhaltig. Dabei betonen Präventionsexpertinnen und Gesundheitsexperten schon seit vielen Jahren, dass wirkungsvolle Prävention langfristig angelegt werden muss und eine durchdachte politische Strategie benötigt.

Der Definition nach umfasst Prävention alle Maßnahmen, die das Auftreten, die Ausbreitung und die negativen Auswirkungen von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen verhindern. Wie wir wissen, wurden in Deutschland mit dem Präventionsgesetz im Jahr 2015 zahlreiche gesetzliche Regelungen zur Umsetzung von Präventionsstrategien geschaffen. Hauptzielsetzung war und ist es, die Gesundheitsförderung im Alltag zu stärken. So enthält zum Beispiel der Paragraf 20 SGB V die Verpflichtung der Krankenkassen, in ihren Satzungen Leistungen zur Prävention und Gesundheitsförderung vorzusehen. Und im Paragraf 20d SGB V ist die zentrale nationale Präventionsstrategie geregelt. Zwar verweist die Landesregierung zurecht darauf, dass sie die Umsetzung des Präventionsgesetzes ausschließlich über die entsprechende Landesrahmenvereinbarung mitgestalten kann. Gleichzeitig ist sie durch diesen Rahmen aber nicht von Ihrer Verantwortung entbunden und hat durchaus Spielräume und zum Beispiel die Möglichkeit, eigene Schwerpunkte zu setzen.

Nehmen wir das Beispiel der Suchtprävention und hier ein ganz konkretes Thema, bei dem sich auch die Landesregierung dringend auf den Weg machen sollte: Die Cannabisprävention. Durch die wenig überraschende Freigabe im Rahmen des Cannabisgesetzes sind Präventionsangebote hier wichtiger denn je. Noch dazu war diese Notwendigkeit im Vorfeld lange absehbar. Aber auch in den Antworten zu einer entsprechenden Kleinen Anfrage von mir wurde deutlich, dass das Land hier wenig bis gar nichts auf die Beine stellt. Dabei wären Angebote zum Umgang mit und zur Aufklärung über die Risiken von Cannabis nicht nur für Jugendliche, sondern auch für MultiplikatorInnen der Jugendhilfe, Schulen und Betriebe enorm wichtig. Statt sich dieser dringenden Aufgabe zu widmen, beruft man sich aber lieber auf formale Zuständigkeiten und schiebt die Verantwortung damit weitestgehend von sich weg. Das ist aus meiner Sicht so ziemlich das Gegenteil von einer durchdachten und nachhaltigen Präventionsstrategie.

Auch bei einem verwandten Thema wie dem Drug-Checking, das wir per Antrag auch im stationären und ambulanten Setting gefordert haben, bewegt sich die Landeregierung kaum beziehungsweise nur im kleinsten denkbaren Rahmen. Dabei hat nicht zuletzt die Anhörung hierzu klar gezeigt, dass gerade stationäres, niedrigschwelliges und langfristig angelegtes Drug-Checking die Möglichkeit bietet, sehr frühzeitig mit Prävention zu beginnen. Noch dazu können solche Angebote im Zweifel sogar Leben retten und sind damit unendlich wertvoll. Doch hier drängt sich der Eindruck auf, dass die Landesregierung auch in diesem engeren Bereich der Suchtprävention die Chance auf nachhaltige Verbesserungen verstreichen lässt, um den Haushalt geringfügig zu entlasten. Dabei wäre es aus Expertensicht geboten, möglichst flächendeckend Präventionsfachkräfte vorzuhalten, um die notwendige Absicherung zu gewährleisten. Doch von einer solchen, postleitzahlunabhängigen Suchtprävention sind wir leider meilenweit entfernt.

Wenn wir grundsätzlich auf das Thema Prävention schauen, sollten wir uns eins vor Augen führen: Hier geht es vor allem darum, „vor die Lage“ zu kommen und rechtzeitig die politischen Weichen für die Zukunft zu stellen. Dazu müssen dann aber natürlich auch die in der Rahmenvereinbarung festgelegten Strategieforen zur Festlegung und Planung von gesundheitsbezogenen Zielen regelmäßiger stattfinden als bisher. Die Tatsache, dass es seit 2016 nur zwei solcher Foren gab, deutet für mich auf einen eher geringen Stellenwert des Themas hin. Und ähnlich bezeichnend finde ich, dass sich der Begriff der Prävention nicht mal im Organigramm des für Gesundheit zuständigen Justizministeriums findet. Wenn wir uns dann noch bewusst machen, dass es auch mit Blick auf Megathemen wie „gesundes Heranwachsen“ oder „gesundes älter werden“ keine explizite oder gar langfristige Strategie gibt, denke ich, dass wir in Sachen Prävention noch deutlich mehr tun können und tun müssen. Und zwar ausdrücklich auch auf Landesebene.
 

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