Rede · 25.03.2022 Jamaika hinterlässt viele Baustellen in der Familienpolitik
„Familien brauchen tatkräftige Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie. Und zwar nicht erst im Herbst oder irgendwie nach Kassenlage, sondern hier und jetzt!“
Christian Dirschauer zu TOP 46 - Familien in Schleswig-Holstein in den Mittelpunkt stellen (Drs. 19/3738)
Eins muss ich vorab deutlich sagen: Nichts wäre uns vom SSW lieber gewesen, als dass Anträge wie dieser am Ende der Wahlperiode überflüssig wären. Denn egal ob es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, den vereinfachten Zugang zu familienpolitischen Leistungen oder um Entlastung für Eltern und pflegende Angehörige geht: all diese Dinge sind nicht neu und wurden hier schon vor Jahren diskutiert. Und doch ist offensichtlich so wenig passiert, dass wir uns hier mit einem ganzen Katalog an legitimen familienpolitischen Forderungen beschäftigen. Natürlich konnte am Anfang dieser Legislatur niemand vorhersehen, dass wir eine Coronakrise und sogar einen Krieg in Europa erleben. Aber von den Ankündigungen der Jamaika-Koalition, Schleswig-Holstein zum familienfreundlichsten Bundesland zu machen, ist auch vor diesem Hintergrund herzlich wenig übriggeblieben.
Deshalb halten wir die im Antrag aufgelisteten Punkte natürlich für sinnvoll. Gleichzeitig wird uns damit aber auch deutlich vor Augen geführt, wie viele Baustellen wir im Bereich der Familienpolitik haben. Noch dazu haben wir vom SSW große Sorge, wenn es um die Frage der Finanzierbarkeit geht. Denn wir brauchen die beitragsfreie Kita, den Ausbau der Ganztagsbetreuung oder die Kindergrundsicherung dringender denn je. Und wir wissen, dass gerade Familien unter den Corona-Beschränkungen stark gelitten haben und Unterstützung brauchen. Aber in Berlin wird derzeit sehr viel Geld für andere Dinge ausgegeben. Geld, das im Zweifel für familienpolitische Maßnahmen fehlt. Deshalb muss die antragstellende SPD vor allem selbst ein Auge drauf haben und dafür sorgen, dass Familie nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern bundesweit im Mittelpunkt steht.
Eins kann ich als Ehemann und Vater von drei kleinen Kindern klar sagen. Der Alltag in der Familie dreht sich seit langer Zeit vor allem um die Frage, wie man möglichst unbeschadet aus der Corona-Krise rauskommt. Mir fällt es daher unheimlich schwer, diese Debatte losgelöst von Corona zu sehen und zu führen. Fakt ist doch, dass längst erhebliche Schäden in den Familien entstanden sind. Seit einer gefühlten Ewigkeit reden wir davon, dass viele von ihnen am Limit und immer mehr Eltern und Kinder akut belastet sind. Und deshalb ist für uns vom SSW klar, dass Familien nicht nur den im Antrag erwähnten Dreiklang aus Zeit, Geld und Infrastruktur brauchen. Sie brauchen vor allem auch tatkräftige Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie. Und zwar nicht erst im Herbst oder irgendwie nach Kassenlage, sondern hier und jetzt!
Wir halten es für bitter nötig, auch die Effekte der Pandemie in den Blick zu nehmen. Und deshalb haben wir die entsprechenden Ergänzungen beantragt. Wir fordern ein echtes Erholungs-Programm für Familien, die keine großen finanziellen Spielräume haben. Schon vor einem Jahr hat der wissenschaftliche Beirat für Familienfragen der Bundesregierung dringend zu einem Marshall-Plan, und damit zu gezielten Investitionen in Familien, geraten. Das was mit der Familienferienzeit auf Bundesebene läuft, geht zwar in die richtige Richtung. Aber es erreicht noch viel zu wenig Menschen. Hier müssen wir auch als Land unseren Teil beitragen und die entsprechende Landesrichtlinie ausweiten. Insgesamt muss mehr getan und mehr investiert werden. Und zwar mit besonderem Augenmerk auf bildungsbenachteiligte Familien und diejenigen, die von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit betroffen sind. Aber auch mit Fokus auf Kinder mit Fluchthintergrund und auf Alleinerziehende.
Uns allen dürfte klar sein, dass nicht erst mit dem Krieg erhebliche Herausforderungen auf die öffentlichen Haushalte zukommen. Und doch hoffe ich, dass ich eins deutlich machen konnte: Wir vom SSW sehen den dringenden Bedarf, mehr für Kinder, Jugendliche und Familien zu tun. Neben Corona-Aufholprogrammen mit Fokus auf Bildung brauchen wir zeitnah spezifische Erholungsprogramme gerade für besonders belastete Familien. Und wir werden wohl leider auch längerfristig mehr Sozialarbeit und mehr psychologische Beratung brauchen. Es geht also nicht zuletzt darum, unsere soziale Infrastruktur insgesamt zu stärken.