Rede · 01.09.2005 Nachtrag zum Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2005

Die heutigen Beratungen zum Haushalt des Landes stehen im Schatten der Bundestagswahl. Aus Sicht des SSW ist in diesem Bundestagswahlkampf insbesondere die Diskussion über eine mögliche Große Koalition in Berlin interessant. Teilweise dieselben Politiker und Medien, die sich in Schleswig-Holstein noch im Frühjahr energisch für die Bildung einer Großen Koalition eingesetzt haben, sind nun entschiedene Gegner einer solchen Konstellation auf Bundesebene. Die Argumente gegen eine Große Koalition sind dieselben, die der SSW seiner Zeit hier im Lande vorgebracht hat. Nämlich, dass eine Große Koalition „großen Stillstand“ bedeutet und das Land nicht wirklich voranbringen kann, weil die beiden Partner dazu neigen, sich gegenseitig in Schach halten. Dieses Beispiel zeigt, dass in der politischen Auseinandersetzung nichts so vergänglich ist wie das „Geschwätz von gestern“, und dass es eben doch viel zu oft um die pure Macht geht und nicht um politische Ziele oder Inhalte.

Obwohl sich SPD und CDU im Bundestagswahlkampf erbittert bekämpfen, hat dies noch keine negativen Auswirkungen auf die Große Koalition in Schleswig-Holstein gehabt. Von dem wechselseitigen „Getöse“ aus dem Landtagswahlkampf ist in Schleswig-Holstein nichts mehr zu vernehmen. War das also auch nur die übliche „hohle Rhetorik“ der Politik? Wenn man will, kann man also doch zusammenarbeiten. Wir sagen, es wäre wichtig, diese Zusammenarbeit zwischen politischen Gegnern endlich als Normalfall zu begreifen, und sie nicht nur als etwas sieht, wozu man in einer Koalition verdammt ist. Mit anderen Worten: Der SSW wird sich weiterhin für eine neue demokratische Kultur in Schleswig-Holstein einsetzen – mit dem Ziel, dass die Parteien lernen, dass Regierung und Opposition vernünftig miteinander reden und wenn nötig gemeinsam Reformen zum Wohle der Menschen im Lande anpacken können.

Die neue Landesregierung mit Ministerpräsident Peter Harry Carstensen ist seit April im Amt und steht mit dem Nachtragshaushalt 2005 und dem Haushalt 2006 vor ihrer ersten wirklichen Bewährungsprobe. Die Erwartungen der Menschen an die große Koalition in Schleswig-Holstein sind turmhoch, und nach den ersten Umfragen scheint die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ja auch mit der Landesregierung zufrieden zu sein. Das liegt sicher auch daran, dass Ministerpräsident Carstensen auf die Menschen zu geht und sowohl in den Medien als auch vor Ort sehr präsent ist. Im großen und ganzen ist es Ministerpräsident Peter Harry Carstensen bisher gelungen, seinen Laden zusammen zu halten. Dafür hat er unseren Respekt. Wir bleiben allerdings auch bei unserer Einschätzung, dass seine Regierung den Beweis, dass sie mehr kann als gut zu repräsentieren, den Bürgern noch schuldig bleibt.

Der Nachtragshaushalt für 2005 ist auch der erste Haushalt, den der neue Finanzminister Rainer Wiegard dem Landtag vorlegt. Auch wenn uns die Zahlen im einzelnen nicht begeistern können, begrüßen wir, dass er einen Nachtragshaushalt vorgelegt hat – und im Klammern bemerkt auch einen Entwurf für den Haushalt 2006 – der in schonungsloser Offenheit das ganze Ausmaß der Finanzmisere des Landes verdeutlicht.

Denn sieht man sich die Zahlen des Nachtragshaushalts für 2005 an, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass die Lage der Finanzen des Landes Schleswig-Holstein noch nie so dramatisch war wie heute. Das Defizit des Haushaltes beträgt in 2005 sage und schreibe rund 1,7 Milliarden Euro. Und das bei einem Haushalt mit einem Volumen von insgesamt 8,2 Milliarden Euro. Die Neuverschuldung des Landes liegt damit drei mal so hoch wie in den 90´ziger Jahren und die Verfassungsgrenze gemäß Artikel 53 der Landesverfassung wird mit diesem Nachtragshaushalt um 1,15 Milliarden Euro überschritten. Die Schulden des Landes werden auf rund 22 Milliarden Euro ansteigen.

Die Ursachen dieser Entwicklung sind ja schon oft in diesem Landtag angesprochen worden: Genau wie in der übrigen Bundesrepublik ist die Einnahmeentwicklung in Schleswig-Holstein seit Jahren stagnierend und das Wirtschaftswachstum nur mäßig. Gleichzeitig sind die Arbeitslosigkeit und damit die Ausgaben extrem angestiegen. Diese unheilvolle Entwicklung hat dazu geführt, dass die jährlichen Kredite im Landeshaushalt schon seit 2002 jedes Jahr höher waren als die Summe der Investitionen des Landes. Laut Landesverfassung darf das Land aber nur soviele Schulden machen wie es an Investitionen getätigt hat.

Der Landesrechnungshof (LRH) hat in seiner Stellungnahme zum Nachtragshaushalt 2005 darauf hingewiesen, dass die Höhe der Schuldenaufnahme dieses Jahr jenseits von allem steht, was in der  Landesverfassung erlaubt ist, und er hat darauf verwiesen, dass seiner Meinung nach die extreme Überschreitung der Kreditaufnahmegrenze einer zusätzlichen Grundsatzberatung im Parlament bedurft hätte. – Wir hätten also zwei Lesungen im Landtag durchführen müssen und, wie im Jahre 2003, gleichzeitig die grundsätzliche Erklärung zur Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes feststellen sollen. - Nach Meinung des LRH’s ergibt sich dies auch aus einem Urteil des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 7.7.2005, wo der Haushalt des Landes für teilweise nicht verfassungskonform erklärt wurde. Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat so entschieden, weil seiner Ansicht nach im Gesetzgebungsverfahren zum Haushalt 2004/2005 nicht hinreichend dargelegt wurde, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist. Und genau diese Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes ist ja notwendig, um eine Kreditaufnahme jenseits der verfassungsmäßigen Grenze zu ermöglichen.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Schleswig-Holsteinische Landtag dieselbe Diskussion im Verlauf der Haushaltsberatungen zum Haushalt 2003 und  2004/2005 geführt hat - mit der Folge, dass die CDU-Landtagsfraktion mit dem damaligen finanzpolitischen Sprecher Rainer Wiegard an der Spitze sogar eine Verfassungsklage gegen den Landeshaushalt einreichte.
Diese Klage hat die CDU allerdings nach der Landtagswahl im Zuge der Koalitionsverhandlungen zurückgezogen. Die CDU musste erkennen, dass die Realität einer Regierungspartei anders aussieht als man es sich aus der Opposition heraus verbal vorstellen kann. 

In einem Kommentar zur Präsentation des Nachtragshaushalts 2005 und des Haushaltsentwurfs 2006 sagte ich deshalb bereits im Juli dieses Jahres, dass die Große Koalition „finanzpolitisch auch nur mit Wasser kocht“. Denn die großspurigen Forderungen und Versprechungen zur Sanierung des Haushaltes aus dem Wahlkampf musste die CDU wieder einsammeln. Das heißt, auch die neue Landesregierung kann das Land nicht mit der Brechstange und ohne Rücksicht auf Verluste sanieren. Das ist aus Sicht des SSW auch gut so, denn die finanzpolitische, aber auch die gesellschaftspolitische Realität machen eine Sanierung der Landesfinanzen nur im Schneckentempo möglich. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Probleme und insbesondere der Krise am Arbeitsmarkt gilt weiterhin, dass eine Verbesserung der Finanzen Schleswig-Holsteins nur mit langem Atem zu erreichen ist.

Der SSW hat 2003 sowohl dem Nachtragshaushalt als auch dem Haushalt 2004/2005 der rot-grünen Landesregierung zugestimmt. Wir haben damals schon die Klage der CDU-Landtagsfraktion gegen den Haushalt für überflüssig gehalten, weil es die finanzpolitische Arbeit der Landesregierung und des Landtages nur erschweren würde. Denn es ist weiterhin eine Tatsache, dass über 90% der Ausgaben des Landes durch gesetzlich festgelegte Ausgaben gebunden und nicht mittelbar vom Land beeinflussbar sind. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass wir bereits seit Jahren jeweils weniger Steuereinnahmen eingenommen haben als die Steuerschätzer erwarten hatten - auf dessen Prognosen diese Haushalte ja beruhen. So haben wir allein 2005 rund 630 Millionen Euro weniger Steuereinnahmen zu verzeichnen als noch bei der Haushaltsaufstellung prognostiziert worden waren. Dazu kostet die Arbeitsmarktreform „Hartz IV“ Schleswig-Holstein fast 230 Millionen Euro zusätzlich. - Unter anderem, weil die Fallzahlen zu niedrig eingeschätzt wurden. - Durch diese zusätzlichen Ausgaben steigen die Nettoausgaben in 2005 mit über 4%.

Leider geht es den anderen Bundesländern auch nicht besser, und so müssen wir damit rechnen, dass Schleswig-Holstein im Länderfinanzausgleich fast 60 Millionen Euro weniger bekommen wird als erwartet. Diese Zahlen zeigen also eindrucksvoll, dass der Spielraum jedweder Landesregierung, um die Finanzen zu verbessern, sehr gering ist. Das hat der SSW übrigens schon seit Jahren in den finanzpolitischen Diskussionen angeführt, und bei dieser Einschätzung bleiben wir. Wenn man das Land nicht kaputt sparen will, muss man die aktuelle Deckungslücke überwiegend mit neuen Krediten finanzieren, und das führt zwangsläufig dazu, dass die verfassungsmäßige Kreditobergrenze nach oben hin überschritten wird. Selbst der LRH führt ja in seiner Stellungnahme aus, dass der Spielraum der neuen Landesregierung im laufenden Haushalt namhafte Einsparungen zu erzielen, sehr begrenzt ist. Dazu würde die Höhe der erforderlichen Einsparungen die konjunkturelle Lage in Schleswig-Holstein noch weiter verschlechtern. Das kann kein verantwortlicher Politiker ernsthaft wollen.
Vor diesem Hintergrund ist es müßig zu diskutieren, ob der Landtag und die Landesregierung wieder offiziell eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes erklären sollen, wie es der LRH empfehlt. Wichtiger ist es aus Sicht des SSW, dass die Landesregierung deutlich macht, wie sie das Land langfristig wirtschaftlich und sozial voranbringen will.

Das ist aber nicht das Thema des Nachtragshaushaltes. Darüber werden wir heute noch bei der 1. Lesung des Haushalts 2006 im einzelnen diskutieren können. Jetzt will ich mich darauf beschränken festzustellen, dass die Landesregierung aus Sicht des SSW im Nachtragshaushalt das gemacht hat, was nötig ist, um die wirtschaftliche Situation in Schleswig-Holstein zu verbessern. So werden durch die Errichtung des so genannten Schleswig-Holstein Fonds in diesem Jahr 35 Millionen Euro zusätzlich für wirtschaftliche Investitionen bereitgestellt. Das begrüßt natürlich auch der SSW, weil wir diese Investitionen für die private Wirtschaft oder für die Kommunen zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung in Schleswig-Holstein dringend benötigen, auch wenn diese Mittel durch Kredite finanziert werden. Der Schleswig-Holstein Fonds wird ja bis 2009 laufen, deshalb werde ich auf die berechtigte Frage der regionalen Verteilung dieser Investitionen später noch bei der Debatte über den Haushalt 2006 und den Finanzplan 2006-2009 zurück kommen.

Die Einsparungen im Nachtragshaushalt sind hauptsächlich durch die Haushaltsperre entstanden, und auch wenn wir nicht mit allen Vorschlägen der Landesregierung, z.B. im Sozial- und Umweltbereich übereinstimmen, so halten wir das Gesamtvolumen der Einsparungen angesichts der finanziellen Lage des Landes für vertretbar.

Die Landeszuschüsse für die Organisationen der dänischen Minderheit und der Friesen im Nachtragshaushalt sind im Wesentlichen nicht gekürzt worden. Wir werten dies als Signal dafür, dass auch diese Landesregierung sich bemüht, die Minderheitenpolitik ernst zu nehmen.
Dennoch gibt es genug zu tun. Wir bedauern, dass der Baukostenzuschuss des Dansk Skoleforening wegen der Haushaltssperre um 41.000,- € gekürzt wurde. Der SSW hatte dazu einen Änderungsantrag in den Finanzausschuss eingebracht, der leider abgelehnt wurde. Wir bleiben aber am Ball und werden Dansk Skoleforening und das zuständige Ministerium zu einem gemeinsamen Gespräch einladen – mit dem Ziel die Kürzung rückgängig zu machen im 
Rahmen der Haushaltsberatungen für 2006.

Ausgangsbasis des Nachtrags 2005 ist der von der rot-grünen Landesregierung mit den Stimmen des SSW im Dezember 2003 verabschiedete Haushalt. Die neue Landesregierung hat aus Sicht des SSW einen Nachtragshaushalt vorgelegt, der nicht wesentlich von den politischen Schwerpunkten des Ursprungshaushalts abweicht. Die vorgenommenen Anpassungen kann der SSW überwiegend mittragen, und deshalb werden wir für den Nachtragshaushalt 2005 stimmen. Schließlich braucht das Land einen Haushalt.

Wir machen eben keine Fundamentalopposition und sind bereit, mit der Großen Koalition zusammenzuarbeiten, wenn es inhaltliche Gemeinsamkeiten gibt. Dies ist gute parlamentarische Tradition in den skandinavischen Ländern, und so hat es der SSW in seiner über 50-jährigen Landtagsarbeit immer gehalten. Allerdings ist unsere Zustimmung heute kein „Freibrief“ für den Haushalt 2006. Wir werden die Große Koalition weiterhin an den Inhalten ihrer Arbeit messen und nicht an öffentlichen Versprechungen.

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