Rede · 24.01.1996 Psychiatrieplan des Landes

Eigentlich ist es schade, daß die Beratung des Psychiatrieplanes und des Landesbehindertenplanes heute getrennt stattfinden, denn es gibt hier viele Vernetzungen, die ansonsten deutlicher hätten hervorgehoben werden können.

Die wesentlichste Überschneidung ist sicherlich der große Anteil geistig Behinderter Menschen, die in den Langzeitbereichen der Fachkliniken leben. Diese Tatsache ist meines Erachtens mit den Psychiatrie-Zielsetzungen Dezentralität und Normalität unvereinbar. Wir haben darüber schon im Rahmen des Landesbehindertenplanes und des Fachklinikgesetzes gesprochen. Dabei wurde darauf verwiesen, daß der Psychiatrieplan des Landes der richtige Rahmen für solche Fragen wäre. Um so enttäuschender sind aber die Antworten, die hierzu im vorliegenden Bericht zu finden sind. Wir reden jetzt zwar über die bisherige Umsetzung des Planes, aber ich habe auch hierin klare Aussagen darüber erwartet, wie die Landesregierung sich die Rolle der Fachkliniken im Rahmen der Dezentralisierung vorstellt.

Von der SPD ist mehrfach angeklungen, daß man aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus und aus Rücksicht auf die Arbeitsplätze in den Fachkliniken nicht einfach rigoros dezentralisieren könne. Es kann aber nicht sein, daß man die Fortentwicklung einer humanen, dezentralen Psychiatrie im Namen der Arbeitsplätze an den Fachkliniken drosseln will.

Mir ist klar, daß es nicht nur an den Fachkliniken und der Regierung liegt, daß dort nicht mehr Plätze zugunsten dezentraler Lösungen abgebaut werden. Auch die freien Träger tragen maßgeblich dazu bei, wenn sie unerwünschte, schwierige Patienten in die Fachkliniken zurückschicken oder abschieben. Mit meiner Stimme kann immer zählen, wer auch für den psychosozialen Bereich eine Annahme- beziehungweise Versorgungs-verpflichtung schaffen möchte. Allerdings geht dies nur mit einer entsprechenden Personalausstattung in diesem Bereich. Ich meine, daß diese Investition notwendig ist.
Ich erwarte von der Landesregierung, daß sie jetzt den Beweis antritt, daß das Fachklinikgesetz nicht lediglich die Stellung der Fachkliniken zementiert. Wenn in den Fachkliniken rein betriebswirtschaftlich ohne politische Einmischung gerechnet werden soll, dann werden wir nie das gewünschte Maß an dezentraler Versorgung und Betreuung haben. Dann wird es immer für die Klinikleitungen rentabler sein, ihre Zimmer wieder aufzufüllen.

Ein Bereich, der im Bericht zu kurz kommt, ist die Situation von Kindern und Jugendlichen. Im letzten Jahr haben vor allem die Bielefelder Kinder- und Jugend-forscher Studien darüber veröffentlicht, daß bei Kindern bestimmte psychosomatische Beschwerden gehäuft auftreten. Es wäre schön gewesen, wenn der Bericht zur Umsetzung des Psychiatrieplanes auch diese Problematik aufgegriffen hätte. Allein angesichts der offensichtlichen Unterversorgung an niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiatern im Lande - in Flensburg haben wir zum Beispiel gar keine - ist dies ein wichtiger Planungsbereich. Ich hätte gern gewußt, wie die Landesregierung die Kassenärztliche Vereinigung dazu bringen möchte,
ihrem Sicherstellungauftrag nachzukommen.

Zu undifferenziert erscheint mir die Aussage, der Bedarf im stationären Bereich sei nach Abschluß der geplanten Maßnahmen gedeckt. Angesichts der Tatsache, daß Fachleute für diesen Bereich die Gemeindenähe propagieren und die Anbindung an Allgemein-krankenhäuser empfehlen, scheint es hier noch Dezentralisierungsbedarf zu geben. Dieses ist inbesondere im Rahmen der Bestrebungen um Normalität und gegen Stigmatisierung nachzuholen.

In Zusammenhang mit der Versorgung sollten wir auch über die große Diskrepanz zwischen dem Vorkommen psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen und der Zahl der Behandlungen sprechen - also über die Kluft zwischen Prävalenzraten und Inzidenzraten. Sie deutet darauf hin, daß der Versorgungsbedarf, vor allem im ambulanten und komplementären Bereich noch nicht gedeckt ist.
Für die Fortschreibung des Psychiatrieplans erwarte ich ebenfalls detailliertere Auskünfte über Bereiche wie interdisziplinäre Zusammenarbeit, Kooperation zwischen Trägern und zwischen Regionen, oder die Einrichtung von mobilen kinder- und jugendpsychiatrischen Diensten.
Letztere sind besonders für die Versorgung in ländlichen Regionen geeignet, und daher für Schleswig-Holstein besonders interessant.

Am anderen Ende des Altersspektrums, bei der Gerontopsychiatrie, sehe ich ebenfalls Ausbaubedarf. Für ältere, zuweilen demente Menschen ist es verhängnisvoll, aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen zu werden, um z. B. in einer fernen Fachklinik behandelt zu werden. Meiner Ansicht nach muß hier die Dezentralisierung verstärkt angegangen werden. Diesbezüglich sollten wir die Empfehlung der Expertenkommission der Bundesregierung von 1988 aufnehmen, regionale, interdisziplinär besetzte geronto-psychiatrische Zentren einzurichten.

Ein weiterer Bereich, den ich gern in dem Plan noch etwas ausführlicher gesehen hätte, ist die Auslastung der niedrigschwelligen Angebote. Betroffene aus anderen Bundesländern haben mir berichtet, sie würden bei den Beratungsstellen mit Terminen in 6 Wochen vertröstet, ein Therapieplatz ließe oft viele Monate auf sich warten. Auskünfte über die entsprechende Lage in Schleswig-Holstein habe ich mir vom Bericht erhofft.

Mit einigen Ausnahmen erfaßt der Bericht aber die wesentlichen Probleme der psychia-trischen Versorgung Schleswig-Holsteins. Er wirft viele wichtige Fragen auf, aber nicht alle. Fairerweise muß dem Sozialministerium zugestanden werden, daß die Schwerpunkte des Berichts von der SPD-Fraktion vorgegeben wurden.

Seitdem der Psychiatrieplan 1990 verabschiedet wurde, ist sehr viel erreicht worden, ich verweise nur beispielhaft auf die erreichte Zahl psychiatrischer Akutkrankenhäuser - wobei ich auf eine schnelle Entwicklung für Flensburg hoffe.
Ich kann vielen Zielsetzungen der Landesregierung zustimmen; auch hier sei lediglich exemplarisch auf die Bestrebungen verwiesen, über Planung und Versorgungs-verpflichtungen für die einzelnen Regionen eine größere Vernetzung der Hilfeangebote zu erreichen. Die Wirksamkeit der Hilfen hängt nämlich wesentlich davon ab, welche psychsozialen und medizinischen Einrichtungen in einer Region vorhanden sind, und in welcher Beziehung diese zueinander stehen.

Ich hoffe, daß der Landtag jetzt angemessen mit diesem Bericht umgeht; daß er nicht die gleiche Vorgehensweise wählt, wie beim Landesjugendhilfeplan. Ich bin für eine sehr baldige Fortschreibung des Psychiatrieplanes. Dafür ist eine Anhörung zur bisherigen Umsetzung des Planes unverzichtbar. Ohne eine vernünftige Bestandsaufnahme aller Beteiligten werden wir kaum die Fortschreibung angemessen diskutieren können.

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