Rede · 22.07.2016 Unsere Verfassung hat glücklicherweise jetzt schon eine sehr gute Präambel, die insbesondere regionale Besonderheiten beachtet
Lars Harms zu TOP 10+17 - Zweite Lesung des Gesetzentwurfs zur Änderung der Verfassung - Änderung der Präambel -
Schon in der ersten Lesung habe ich die Bewertung des Ursprungsvorschlages seitens des SSW erläutert. Die Schlussfolgerung seinerzeit war unsererseits, dass es sich bei einer Formulierung, die sich auf den Glauben an Gott und auf andere universelle Quellen bezieht, nicht um eine Demutsformel, sondern um eine Bekenntnisformel handelt, die sogar andere Glaubensformen und -richtungen ausschließt. Das gilt auch für den heute vorliegenden Vorschlag mit Gottesbezug. Wir haben ausdrücklich erklärt, dass man das so machen kann, wenn der Glaube an den christlich-jüdischen Gott für den jeweiligen Betreffenden eine herausragende Grundlage für die Entscheidungen, die man trifft, sein kann. Deshalb wird meine Kollegin Waldinger-Thiering einer solchen Formulierung auch zustimmen können.
Inzwischen haben uns ja mehrere Vorschläge erreicht. Wirklich neu ist der Vorschlag, der sich an der Präambel der europäischen Verfassung orientiert, den mein Kollege Flemming Meyer und ich mit unterzeichnet haben. Dieser Vorschlag ist ausdrücklich als Kompromissvorschlag zu sehen, für den Fall, dass sich keine notwendige Mehrheit für eine Gottesbezugsformel finden sollte. Auch diese Formulierung ist keine echte Demutsformel; also eine Formulierung, die die Begrenztheit menschlichen Wissens und Handels ausdrückt. Vielmehr weist die Formulierung darauf hin, dass man auf Grundlage des kulturellen, religiösen und humanistischen Erbes Europas handelt. Somit drückt man auch hier aus, dass man zwar nicht aus einer wie auch immer gearteten eingeschränkten Erkenntniskraft handelt, aber schon aus einem übergeordneten Wertegerüst heraus. Das ist keine klassische Demutsformel, genauso wenig im Übrigen wie die vorliegenden Gottesbezugsformeln, aber es ist eine Formulierung, die ein gemeinschaftliches Wertegerüst ausdrückt. Und dieses Wertegerüst hat bei uns eben dazu geführt, dass sich für uns die unveräußerlichen Menschenrechte, die Freiheit, die Demokratie und auch die Rechtsstaatlichkeit zu unabänderlichen Grundlagen unseres Gemeinwesens entwickelt haben. Ich glaube, es macht durchaus Sinn, in der heutigen Zeit diese grundlegenden Werte wieder an hervorgehobener Stelle in der Verfassung zu nennen, weil diese Werte auch heute noch immer wieder verteidigt werden müssen.
Ein wichtiger Vorteil dieser Formulierung ohne direkten Gottesbezug, die sich ja auch auf die religiösen Traditionen Europas bezieht ist, dass gerade diese Formulierung andere Glaubensrichtungen nicht ausschließt. Zum religiösen Erbe Europas gehört eben nicht nur die christlich-jüdische Religion, sondern auch der liberale Islam in Europa. Islamische Einflüsse gab es insbesondere in Spanien und Portugal bis zum ausgehenden Mittelalter, in Osteuropa bis zum heutigen Tag und beispielsweise in Bosnien ist der Islam traditionell die bestimmende Religion. Auch in Deutschland, wie in anderen mitteleuropäischen Ländern, lässt sich der Islam bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurück verfolgen, so dass auch hier bei uns mit Fug und Recht davon gesprochen werden kann, dass ein europäischer und liberaler Islam in unser gemeinsames kulturelles, religiöses und humanistisches Erbe eingebettet ist.
Im Übrigen erhebt die vorliegende Formulierung nicht den Anspruch, dass die genannten Werte ausschließlich in Europa tradiert sind. Im Gegenteil, auch andere Kontinente haben ähnliche Werte auf andere Art und Weise hervorgebracht. Der Wertekanon mag von Ort zu Ort unterschiedlich sein, aber die Menschenrechte sind universell und unveräußerlich. Auch das wird in der Formulierung ausdrücklich hervorgehoben. Somit kann man festhalten, dass die Formulierung wie sie mein Kollege Flemming Meyer und ich mit anderen Abgeordneten vorgelegt haben, integrativer in Bezug auf die Religionen ist als die Formulierungen mit Gottesbezug. Aber die Formulierung gibt auch das Wertegerüst unserer Gesellschaft besser wieder als es ein wie auch immer gearteter Bezug auf den Gottesglauben und beliebiger Werte jemals könnte. Deshalb ist dieser Vorschlag auch ein Vorschlag, der alle Strömungen in der Gesellschaft am besten vereinen kann.
Übrigens versucht ja auch ein weiterer Vorschlag alle Strömungen zu vereinen, indem er einfach die Ursprungsformulierung mit einem Gottesbezug und die Formulierung aus der europäischen Verfassung vereint. Dazu kommt dann noch eine echte Demutsformel, die die Unvollkommenheit menschlichen Handelns ausdrückt. Im ersten Moment könnte man glauben, hier einen weiteren Kompromissvorschlag vor sich zu haben. Allerdings enthält dieser Vorschlag ebenso wie der Ursprungsvorschlag auch einen Gottesbezug, der eben für manch einen nicht akzeptabel ist und Menschen, die nicht im christlich-jüdischen Glauben verankert sind, explizit nicht mit einschließt. Wer seine Entscheidungen grundlegend an seinem christlich-jüdischen Glauben ausrichtet, der kann das tun – wer dies aber nicht grundlegend oder sogar gar nicht tut, der kann hier eigentlich nicht zustimmen.
Zu allerletzt möchte ich noch darauf hinweisen, dass es kein Beinbruch wäre, wenn keiner der Vorschläge eine notwendige Mehrheit erhalten würde. Unsere Verfassung hat glücklicherweise jetzt schon eine sehr gute Präambel, die insbesondere regionale Besonderheiten beachtet. Und das wäre auch völlig ausreichend.