Rede · 17.10.2001 Verdachtsunabhängige Personenkontrollen (Schleierfahndung)
Gegenwärtig läuft ein aufrichtiger konservativer Mensch schon richtig Gefahr, dass sein gesamtes Weltbild durcheinander gerät. Da redet die CDU von Innerer Sicherheit, aber wenn sie zum Sturm auf die Bundesregierung bläst, war der vermeintlich rote Bundesinnenminister Schily immer schon da, wo die strammen Konservativen gerade erst hin wollten. Die CDU gerät aufgrund der stockkonservativen Haltung des SPD-Innenministers immer mehr in argumentative Notlagen. - Wohl der einzig wirklich konkrete Notstand, den wir in Deutschland derzeit haben. - Während dem SSW in solchen Situationen immer noch der pädagogisch wertvolle Blick gen Norden bleibt, ist der Rettungsanker der CDU in Berlin nur noch eine Politik aus Absurdistan: Grundgesetzänderung und Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Das ist ein mehr als traurig stimmender Vorschlag, meine Damen und Herren.
Mit dem Antrag der CDU zur Einführung der Schleierfahndung in Schleswig-Holstein unternimmt jetzt auch der Kollege Wadephul einen verzweifelten Versuch, Herrn Schily zu überholen. Das ist um so betrüblicher als bislang gerade vom designierten CDU-Fraktionsvorsitzenden Zeichen der Öffnung der CDU Schleswig-Holstein gesetzt wurden. Und das meine ich wirklich so. Was aber jetzt von Ihnen kommt, Herr Kollege Wadephul, ist ein Rückschritt in längst vergangene Zeiten.
Die Schleierfahndung ist kein geeignetes Mittel um die neue Gefahr des Terrorismus zu verhindern, auch wenn die zeitliche Nähe zu anderen Initiativen dieses unterstellt. Noch mehr als bei anderen Maßnahmen wie der Rasterfahndung wird mit der Schleierfahndung im Trüben gefischt. Gerade weil mit der Schleierfahndung unschuldige Bürgerinnen und Bürger belästigt werden, aber kaum große Fische oder Schläfer ins Netz gehen, ist der SSW gegen diese Maßnahme.
Das scheint die CDU auch erkannt zu haben, denn als Begründung für ihren Antrag gibt sie nicht an, Terroristen jagen zu wollen, sondern begründet die Notwendigkeit der Schleierfahndung mit der Vergrößerung des Schengenraumes und der Öffnung der Grenze nach Dänemark.
Zum ersten: Schengen hat das Ziel die Grenzen und Regionen innerhalb der EU offener zu machen. Mit der EU-Osterweiterung werden die Außengrenzen der EU verschoben. Will man Kontrollen, so muss man diese an den Grenzen der EU ermöglichen. Hieran wird gerade intensiv gearbeitet, wovon sich eine Gruppe von Parlamentariern aus unserem Hause erst kürzlich in Polen und in der Ukraine überzeugen konnte. Wenn Sie also davon sprechen, die Polizei für die zukünftige EU-Erweiterung rüsten zu wollen, so sollten Sie nicht die Schleierfahndung einführen, sondern die Strukturen in den EU-Beitrittsländern und in deren Nachbarländern stärken.
Die zweite Begründung ist, dass die Grenzkontrollen zu Dänemark weggefallen sind. Ich verweise wieder darauf, dass Schengen das Ziel hat, die Grenzen und Regionen innerhalb der EU offener zu gestalten. Die Polizei in Schleswig-Holstein und die Polizei in Dänemark beginnen Strukturen zu schaffen, die ihnen eine noch bessere Zusammenarbeit ermöglichen. Die kriminalistische Zusammenarbeit im Grenzland ist sehr gut. In jedem Fall darf aber die Zusammenarbeit der Polizeien nicht zum Ziel haben, verdachtsunabhängige Personenkontrollen durchzuführen. Würden wir das wollen, hätten wir die Grenzhäuschen auch stehen lassen können. - Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass die Grenzen zur Niederlande, Belgien und nach Frankreich seit vielen Jahren offen sind und dies niemals zum Anlass genommen wurde, die Schleierfahndung in den dortigen Grenzregionen zu fordern.
Wenn man die wieder entfachte Diskussion um die Innere Sicherheit verfolgt, dann kann man schon den Eindruck gewinnen, dass jetzt alles aus dem Hut gezogen wird, was greifbar ist. Auf der nach unten nur begrenzt offenen Sinnhaftigkeits- und Vernunftsskala ist ihr Vorschlag, Herr Wadephul, nur ganz unten angesiedelt.
Der SSW bleibt auf dem Standpunkt, dass der Staat nur mit solchen innenpolitischen Instrumenten in die individuelle Freiheitssphäre der Menschen eingreifen darf, wenn die Maßnahmen auch wirklich dazu taugen, das angestrebte Ziel zu erreichen, wenn sie den Einzelnen möglichst wenig belasten und die Vorteile insgesamt die Nachteile überwiegen. Die Schleierfahndung erfüllt diese Kriterien nicht.