Rede · 26.05.2011 Wiedereinführung von Grenzkontrollen an der deutsch-dänischen Grenze

Es gehört schon eine gewisse Fantasie dazu, es sich vorzustellen: Wer künftig nach Dänemark fährt, wird wieder eine „echte“ Grenze erleben, wie wir sie seit den 80er Jahren nicht mehr kennen. Es werden zwar keine Passkontrolleure mehr da sein. Dafür begegnen uns an den größeren Übergängen und im Hafen von Rødby schon bald feste, hochtechnologische Anlagen mit Videoüberwachung, automatischen Kennzeichenscannern, Röntgenscannern und Zollbeamten, die Fahrzeuge stichprobenweise aus dem Verkehr ziehen. Die neuen Grenzstationen werden so eingerichtet, dass eine Bemannung rund um die Uhr möglich ist. Auf der Autobahn wird der Verkehr verlangsamt und zumindest zeitweise, möglicherweise auch permanent, durch ei-nen sechsspurigen Kontrollbereich geleitet. In den Zügen nach Dänemark patrouillieren mobile Kontrollteams. Das Ganze soll durch einen verstärkten Polizeieinsatz unterstützt werden.

Die dänische Politik wird zwar nicht müde, zu betonen, dass die am 11. Mai beschlossenen ständigen Kontrollen kaum jemanden in der Region stören werden. Es bleibt aber eine Tatsache, dass Dänemark vor allem Personen stärker kontrollieren will – auch wenn dies als Zollkontrollen konzipiert wird, um nicht offen den Schengener Vertrag zu verletzen. Die neuen Grenzkon-trollen werden zwangsläufig den Grenzübertritt von Personen und Gütern verlangsamen und verzögern. Das berührt die Pendler, die in Dänemark arbeiten. Es beeinflusst den Warenverkehr über die Grenze, der langsamer und damit auch teurer wird. Und es wird auch die Dänemarkurlauber behindern, die selbst bei einer noch so effizienten Kontrolle zu Stoßzeiten einen erheblichen Rückstau erdulden müssen.
Noch schlimmer ist aber der enorme Rückschritt, den die Aufrüstung an der Grenze psychologisch für das Zusammenwachsen des deutsch-dänischen Grenzlandes bedeutet. Wir haben im letzten Jahrzehnt erlebt, dass Dänen und Deutsche enger zusammengerückt sind, weil Barrieren abgebaut und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit verstärkt wurde. Mit den neuen Kontrollen und Grenzanlagen werden neue Barrieren errichtet. Deshalb sind wir dagegen.

Trotzdem bringt es jetzt wenig, gegen Kopenhagen zu wettern oder gar der dänischen Regierung zu drohen. Denn das Unverständnis ist Gegenseitig. Es ist ja bezeichnend, dass selbst die oppositionellen Sozialdemokraten und Sozialisten den neuen Grenzkontrollen zustimmen wollen. Das sagt viel über die Stimmung im Land aus, und die ist eindeutig pro Grenzkontrollen und für die Abschottung gegen eine vermeintliche Flut von kriminellen Banden aus dem Ausland. Die dänische Entscheidung für Grenzkontrollen beruht auf rein innenpolitischen Erwägungen und blendet bewusst die außenpolitische Dimension aus.

Gerade deshalb ist es einerseits natürlich wichtig, dass die EU und die europäischen Länder, insbesondere die Nachbarn daran erinnern, dass offene Grenzen in vielerlei Hinsicht eine europäische Errungenschaft sind, die verteidigt werden muss. Es muss auch kritisiert werden, dass Dänemark mit seiner Entscheidung die vollkommen indiskutable, geschlossene Grenzpolitik legitimiert, die Frankreich und Italien gerade anstreben. Nur muss uns andererseits dabei auch klar sein, dass die dänische Entscheidung nichts mit den aktuellen Umwälzungen in Nordafrika zu tun hat und auch nicht mit der EU. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass eine außerordentlich breite Mehrheit in Dänemark den Wunsch hat, die Kriminalitätsbekämpfung um die Grenze effektiver zu gestalten. Dies ist nicht nur der Dänischen Volkspartei und dem Wahlkampf geschuldet, es ist auch die Konsequenz von starken Personalkürzungen beim Zoll und einer Polizeireform, die die Polizeipräsenz in der Fläche erheblich ausgedünnt hat. Dieses Problem kann nur von Dänemark selbst gelöst werden. Eine allzu massive Einmischung aus dem Ausland könnte angesichts der allgemeinen Stimmungslage sogar das Gegenteil erreichen.

Wir können nur appellieren und darauf hinweisen, dass die Ziele der dänischen Politik ebenso gut und mit weniger Schaden durch eine Verstärkung der bestehenden Instrumente erreicht werden könnte. Der Grenzraum wird bereits heute durch mobile Kontrollen von Polizei- und Zollbehörden überwacht. Eine Verstärkung dieses Einsatzes könnte die Grenzkontrollen – zumindest rein sachlich betrachtet – obsolet machen. Deshalb begrüßen wir auch das Angebot des Ministerpräsidenten an Dänemark, gemeinsam die grenzüberschreitende Kontrolle zu verbessern. Das ist der praktische Beitrag, den Schleswig-Holstein leisten kann. Darüber hinaus bleibt uns nur, an die dänische Regierung und alle Parteien zu appellieren, die Entscheidung zu überdenken, die innenpolitischen Alternativen zu erwägen und die außenpolitische Wirkung anders zu gewichtet.

Wir kommen aber nicht umhin, dass die schwarz-gelbe Landesregierung durch ihre Rückwärtsrolle in der Minderheitenpolitik leider viel Goodwill in Kopenhagen verspielt hat. Das wirkt nach.Deshalb ist es umso wichtiger, dass dieses Signal auch von einem einmütigen Parlament ausgeht, das nicht gleichermaßen in Misskredit geraten ist. Deshalb freut es uns, dass wir nun gemeinsam dafür werben, dass die dänische Regierung ihre Entscheidung überdenkt.

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