Rede · 17.06.2021 Zwei Wochen freiwillige Lernangebote im Sommer reichen nicht aus
„Wir brauchen gute Perspektiven, die über eine Ferienzwischenlösung hinaus gehen.“
TOP 14+21+22+23+31+40+49 Leseförderung weiterentwickeln und weitere Anträge zum Thema Schule und Impfen
Drs. 19/2983, 19/3058, 19/3064, 19/3065, 19/3085, 19/3102, 19/2864, 19/2891, 19/3094
Der Titel dieses Tagesordnungspunktes ist ja ein wenig irreführend, weil sich hinter „Leseförderung et cetera“ noch ein sehr guter Antrag von SSW und SPD versteckt, in dem wir ein Konzept für eine nachhaltige Unterstützung der Schulen im Sommer 2021 und vor allem im Schuljahr 2021/22 vorlegen.
Zu diesem möchte ich mich zuallererst äußern.
Uns sollte doch allen klar sein, dass wir langfristige Lösungen brauchen, um den Folgen der Pandemie begegnen zu können. Zwei Wochen freiwillige Lernangebote im Sommer reichen nicht aus. Wir brauchen gute Perspektiven für unsere Schülerinnen und Schüler und auch Lehrkräfte, die über eine Ferienzwischenlösung hinaus gehen.
Schon jetzt sollten wir einen ehrlichen Umgang damit finden und für das nächste Jahr planen. Im Sinne eines ganzheitlichen Lösungsansatzes schlagen wir einen Weg vor, der auch nachhaltig für Verbesserungen sorgen soll.
Dafür ist uns vor allem eines wichtig: unsere Schulen brauchen zusätzliche Mittel für Förderangebote, Gemeinschaftsprojekte und soziales Lernen. Ein Lernsommer ist sicherlich ein guter Start. Aber unsere Schülerinnen und Schüler brauchen langfristige und vor allem niedrigschwellige Angebote für das gesamte nächste Schuljahr. Und diese sollten am besten räumlich in den Schulen selbst stattfinden oder zumindest in Absprache mit ihnen. Das Angebot privater Honorarkräfte in Anspruch zu nehmen stellt für viele eine Hürde dar, vor allem, wenn erst noch ein Bildungsgutschein A) oder B) benötigt wird, der vorher durch verschiedene absegnende Hände gehen muss. Stattdessen sollten aus unserer Sicht die guten Schulbegleitprogramme, die wir bereits im Land haben, weiter ausgebaut werden. Dabei kann man gut auf die Expertise unserer Volkshochschulen und Träger des Ganztags setzen. Mir ist nach wie vor nicht klar, warum sich das Ministerium bisher so schwer damit tut.
Gestern haben wir schon Beiträge zur Rolle der Klassenlehrkräfte gehört – wir brauchen eine Strategie vom Land, um sie zu entlasten und ihnen mehr Raum für pädagogische Arbeit einzuräumen. Dafür werden die bisherigen Landesmittel nicht ausreichen. Aus unserer Sicht müssen wir uns besser früh als spät mit dem Gedanken anfreunden, dass mehr Planstellen an den Schulen eingerichtet werden müssen. Das betrifft Lehrkräfte genau so wie Schulsozialarbeiter oder Schulassistenzen. Langfristig muss unser Ziel bleiben, Lerngruppen zu verkleinern und mehr Stunden doppelt zu besetzen.
Und dabei ist mir ganz wichtig, dass wir eines nicht vergessen: es geht hier nicht nur um das Aufholen von Lernrückständen. Es geht wirklich an vorderster Stelle darum, den Sommer zu nutzen, um den Blick auf die psychosoziale Situation zu richten, in der sich unsere Schülerinnen und Schüler befinden.
Erst gestern hat uns alle eine Pressemitteilung des Kinderschutzbundes erreicht, in der noch einmal deutlich darauf hingewiesen wird, wie viele Ängste unsere Schülerinnen und Schüler in die Sommerferien hinein begleiten. Sie brauchen Ansprechpersonen und Anlaufstellen, an die sie sich vertrauensvoll wenden können. Das geschieht in den Familien, aber genauso eben auch in der Jugendarbeit fernab von zu Hause.
Und wenn alles nicht hilft, ist auch ein bisschen Eskapismus erlaubt. Deswegen finde ich es heute doch ganz passend, dass wir uns noch über die Leseförderung austauschen wollen.
Astrid Lindgren hat mir mit Pippi Langstrumpf als Kind eine Orientierungsfigur geschenkt, die mir zeigte, dass auch Kinder schon eigenständig ihr Leben steuern können. Ich weiß noch jetzt, wie mutig und stark mein damaliges Idol feststellte: „Ich komm schon zurecht.“
Oder wie ich durch Krumme in meinen dänischen Lieblingsbüchern von Thøger Birkeland von Konflikten las, die ich aus meiner eigenen Familie kannte und die auch heute noch aktuell sind, wie etwa die gerechte Verteilung der Hausarbeit oder auch der nahezu unvermeidbare Familienstreit, wenn alle aufeinander hocken.
Hinter der Leseförderung in Schleswig-Holstein stecken mit „Lesen macht stark“, dem FerienLeseClub oder Leseförder-Angebote im außerschulischen Kontext mit Büchereien und Lesepatenschaften tolle Projekte.
Ich hätte mir von Ihnen aber ein klares Bekenntnis zum Lesen über Bücher in Papierform hinaus gewünscht. Digitale Leseförderung wird im Jamaika-Antrag nicht benannt und auf Online-Bibliotheken wird nicht hingewiesen.
Aus Dänemark wissen wir aber, wie insbesondere auch Kinder mit Legasthenie von digitalen Programmen profitieren. Sie bekommen dort über ein gratis Portal Zugang einer Vielzahl an Übungsbüchern, Hörbüchern, IT-Hilfsmitteln wie einem Vorleseprogramm oder auch Handlungsempfehlungen für Eltern.
Auch DaZ-Kinder, für die Lese-Übungen online besonders hilfreich sein können, finden im Antrag keine Erwähnung. Was ich dementsprechend vermisse ist, dass die verschiedenen Inklusionsziele im Antragstext gesondert herausgestellt werden.
Wir als SSW unterstützen aber generell die Verbesserung und Ausweitung der Leseförderung und so auch diesen Antrag.
Zur Leseförderung gehört für uns als SSW aber vor allem auch eine Säule, die bei Jamaika nur in Klammern gesetzt im Begründungstext steht - die Bibliotheken.
Bibliotheken haben bei uns traditionell einen hohen Stellenwert. Anke Spoorendonk hat als Ministerin für Kultur den Bibliotheken mit dem ersten Büchereigesetz in der Geschichte des Landes 2016 viele Steine aus dem Weg geräumt.
Eine Weiterentwicklung nach skandinavischem Vorbild, besonders im Sinne der Leseförderung, hätte daraufhin sein können, endlich die kostenlose Entleihe für Alle umzusetzen. Wir haben Ihnen dafür 2018 einen Gesetzentwurf zur Gebührenfreiheit und uneingeschränkten Zugang zu den Beständen der Bibliotheken für alle vorgelegt, den Sie leider abgelehnt haben. Dabei sind gerade Bibliotheken der Ort, an dem wir aus eigenem Verlangen heraus den Zugang zu Bildung, Kultur und Forschung über Bücher und andere Medien finden. Und dem sollte, das ist nach wie vor unsere Überzeugung, keine finanzielle Hürde im Weg stehen.
Das wichtigste an der Leseförderung ist doch vielleicht, dass Menschen, egal in welchem Alter, sich die Freude am Lesen erhalten.
„Lesen ist ein grenzenloses Abenteuer der Kindheit.“, sagte Astrid Lindgren und bestenfalls gilt das ein Leben lang.