Speech · 24.11.2022 Das Land muss Long-Covid-Betroffene deutlich stärker unterstützen

„Natürlich ist es naiv zu glauben, dass wir die entstandenen Schäden vollständig rückgängig machen können. Aber wir können und müssen die politischen Weichen dafür stellen, dass den überproportional Betroffenen, und hier allen voran den Kindern und Jugendlichen aber auch älteren Menschen, zügig geholfen wird.“

Christian Dirschauer zu TOP 35+54 - Modellprojekt zur integrierten Versorgung von Patientinnen und Patienten mit längerfristigen gesundheitlichen Folgen einer SARS-CoV-2 Infektion („Long Covid“), Veränderte Lage, veränderte Herausforderungen (Drs. 20/379 und 20/413)

Um es gleich vorwegzunehmen: Wir halten beide vorliegenden Anträge für sinnvoll und diese Debatte für ungemein wichtig. Denn nicht nur die Auswirkungen der Pandemie auf die gesamte Gesellschaft, sondern auch die mitunter schwerwiegenden individuellen Folgen einer Corona-Infektion werden immer deutlicher und drängender. Ich gehe davon aus, dass nicht nur wir Mitglieder im Sozialausschuss viele Zuschriften von Menschen bekommen, die unter Long-Covid-Symptomen leiden. Und ich hoffe, dass nicht nur ich viele dieser Schilderungen für erschütternd halte. Natürlich sind nicht alle im gleichen Maße betroffen. Aber für manche Long-Covid-Patientinnen und -Patienten ist nichts mehr so, wie es vor der Infektion war. Sie standen mitten im Leben und wurden durch ihre Leidensgeschichte völlig aus der Bahn geworfen. Und als wäre das nicht tragisch genug, fühlen sich nicht wenige von ihnen zusätzlich allein gelassen und nicht zuletzt von der Politik zu wenig gesehen und unterstützt.

Es ist völlig klar, dass auch die aktuelle Landesregierung in vielerlei Hinsicht im Krisenmodus starten musste. Und doch können wir wohl alle selbstkritisch sagen, dass wir nicht nur beim Thema Long-Covid früher die notwendigen Weichen hätten stellen können. Denn bei der entsprechenden Forschung und auch bei der Versorgung der Betroffenen stehen wir heute, bald 3 Jahre nach Beginn der Pandemie, leider noch ziemlich am Anfang. Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht des SSW gut, aber eben auch überfällig, dass wir heute eine ganze Reihe wichtiger Maßnahmen aus diesem Bereich diskutieren und dann hoffentlich auch auf den Weg bringen. Denn wir müssen nicht nur Long-Covid-Betroffene deutlich stärker unterstützen, sondern auch die richtigen Antworten auf die vielen weiteren Auswirkungen dieser Pandemie finden. 

Wir haben die Frage der Versorgungsstrukturen in diesem Bereich gerade im Sozialausschuss bewegt. Auch hier wurde deutlich, dass es durchaus Schwierigkeiten bei der Abgrenzung dieser Erkrankung gibt. Denn die Symptome sind vielfältig. Doch Long-Covid-Fälle sind keine Randerscheinung: Selbst zurückhaltende Schätzungen gehen davon aus, dass um die 5 Prozenten aller Infizierten unter Spätfolgen leiden, die mitunter erheblich sein können. Gleichzeitig dürfte klar sein, dass wir noch keine adäquaten Versorgungsangebote für die Betroffenen haben. Und deshalb halten wir ist es für wichtig, zeitnah Modellprojekte auf den Weg zu bringen, die nicht nur auf diese Gruppe zugeschnitten sind, sondern auch einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen. Denn allein aufgrund der diffusen Symptome von Long-Covid zeigt sich, dass wir bereits bei der Diagnostik vor Problemen stehen. Von den entsprechenden Therapieansätzen oder hierauf spezialisierten Reha-Angeboten ganz zu schweigen. 

Wie angedeutet, können wir viele der Punkte, die die Koalition in ihrem Antrag aufführt, mittragen. Neben der Aufhebung der Isolationspflicht, die wir ja schon vor Wochen beantragt hatten, halten wir selbstverständlich auch verstärkte Forschung und Versorgungsangebote im Bereich Long- und Post-Covid für sinnvoll. Doch vor allem die Maßnahmen, die auf verbesserte Hilfen von Kindern und Jugendlichen zielen, haben unsere volle Zustimmung. Denn für uns ist nicht erst mit der gemeinsamen Anhörung des Innen- und Sozialausschusses deutlich geworden, wie stark vor allem junge Menschen unter der Pandemie und den entsprechenden Folgeschäden gelitten haben und bis heute leiden. Dass wir wichtige Maßnahmen, wie etwa die Stärkung des Kinderschutzes oder erweiterte Therapiemöglichkeiten auch aus der Opposition heraus unterstützen, ist für uns daher völlig klar. 

Ich denke, wenn wir den Blick ein wenig weiten, können wir mit aller gebotenen Vorsicht festhalten, dass wir den Weg in Richtung einer endemischen Lage guten Gewissens weitergehen können. Denn die Menschen sehnen sich nicht nur nach Normalität, sie brauchen sie auch. Gerade Kinder und Jugendliche sind durch den jahrelangen Alarmzustand einem Stressniveau ausgesetzt gewesen, das sie ohne entsprechende Resilienz und elterliche sowie fachliche Unterstützung gar nicht bewältigen können. Natürlich ist es naiv zu glauben, dass wir die entstandenen Schäden vollständig rückgängig machen können. Aber wir können und müssen die politischen Weichen dafür stellen, dass den überproportional Betroffenen, und hier allen voran den Kindern und Jugendlichen aber auch älteren Menschen, zügig geholfen wird. Hier sind uns Länder wie etwa Dänemark ein gutes Stück voraus. Und deshalb sollten auch wir hier endlich entschlossen handeln und die dringend nötige Unterstützung organisieren. 

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