Press release · 07.04.2009 Gemeinsame Verfassungsklage von SSW und Grünen gegen die Amtsordnung

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Abgeordneten des SSW haben heute beim schleswig-holsteinischen Landesverfassungsgericht Klage gegen die Amtsordnung eingereicht. Dazu erklären der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Karl-Martin Hentschel und die Vorsitzende des SSW im Landtag, Anke Spoorendonk:

"Ursprünglich war ein Amt die Verwaltung mehrerer Gemeinden. Ämter waren eine Dienstleistung für kleine Gemeinden, die ihre Aufgaben nicht selbst ausführen konnten. Deswegen spricht man immer noch vom Amt als der "Schreibstube der Gemeinden". Heute hat dies mit der Realität nur noch wenig zu tun: Immer mehr Selbstverwaltungsaufgaben wurden von den Gemeinden auf die Ämter übertragen, immer mehr wichtige Entscheidungen fallen auf der Amtsebene.

Die Ämter sind längst zu Gemeindeverbänden geworden und agieren de facto wie Gebietskörperschaften. Nach der schleswig-holsteinischen Landesverfassung müssten sie deshalb unmittelbar demokratisch legitimiert sein. Dies ist aber nicht der Fall. Deswegen ist die Amtsordnung nach unserer Auffassung verfassungswidrig und auch undemokratisch.

Mit den Ämtern hat sich ein System der Intransparenz etabliert, mit dem man im Einzelfall zwar mehr oder weniger zurecht­kommt, das sich aber der Einsicht der Bürger und der politischen Steuerung durch die vom Bürger direkt gewählten Gremien weitgehend entzieht. Das ist Bürokratie und keine bürgernahe Demokratie.

Die demokratischen Defizite könnten dadurch nachhaltig behoben werden, dass in Zukunft entweder die Amtsausschüsse direkt gewählt oder dass die Ämter zu Gemeinden umgewidmet werden. Außerdem müssten möglichst viele Aufgaben von den Zweck­verbänden rückübertragen werden.

Die CDU und die SPD haben aber am 26. März in der Debatte zu unserer Großen Anfrage zu den Aufgaben der Ämter und Zweckverbände klar zu verstehen gegeben, dass sie nicht gewillt sind, an diesem Zustand etwas zu ändern. Deshalb haben wir heute unsere Normen­kontrollklage gegen die Amtsordnung beim Landesverfassungsgericht in Schleswig eingereicht.


Ämter ersetzen die Gemeinden – ohne entsprechende Vertretung der Bürgerinnen und Bürger

Die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage zu den Aufgaben der Ämter und Zweckverbände vom Dezember 2008 hat ergeben, dass die Ämter – derzeit bilden von 3 bis zu 35 Gemeinden ein Amt - in erheblichem Umfang Aufgaben der Gemeinden übernommen haben.

Schaut man sich die 17 wesentlichen kommunalen Aufgaben an (siehe Umdruck 16/4147, Auswertung der großen Anfrage, S. 3), ergibt sich, dass zirka 40 Prozent der Aufgaben der Gemeinden von den Ämtern ausgeführt werden. Beispiele für solche Aufgaben sind:

-> Ländliche Struktur- und Entwicklungsanalysen (62 % Wahrnehmung durch Ämter)

-> Klärschlammabfuhr (58 Prozent)

-> Sozialhilfeaufgaben (47 Prozent - vom Kreis übertragen)

-> Feuerwehr (42 Prozent)

-> Schulträgerschaft (40 Prozent)

-> Tourismusförderung (36 Prozent)

Auch die Aufgaben, die nicht auf die Ämter übertragen wurden, werden von den Gemeinden nicht selbst wahrgenommen, sondern auf Dritte – wie Zweckverbände oder kommunale Wirtschaftsunternehmen – übertragen.

Eine Übertragung auf Zweckverbände erfolgte typischerweise bei der Schulträgerschaft, der Wasserversorgung, der Abwasserentsorgung und beim Straßen- und Wegebau. Eine Übertragung auf Unternehmen erfolgte insbesondere bei der Energieversorgung.

Das bedeutet: Die Ämter führen heute bereits fast die Hälfte der gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben vollverantwortlich selbst durch und ein beträchtlicher weiterer Teil wurde auf Zweckverbände übertragen.

Diese Struktur ist verfassungswidrig: Denn die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien, wonach von einem Gemeindeverband auszugehen ist, wenn ein Verwaltungsträger nach Art und Umfang der Aufgaben einer kommunalen Gebietskörperschaft ähnlich sei, erfüllen die Ämter. Damit stellt sich nach Artikel 2, Absatz 2, Satz 2 der schleswig-holsteinischen Verfassung aber die Frage, nach der Legitimation durch eine eigene unmittelbar gewählte Volksvertretung.

Heute ist das höchste Beschlussorgan der Amtsausschuss, der überwiegend aus den BürgermeisterInnen der beteiligten Gemeinden besteht. Gemeinden über 1000 EinwohnerInnen schicken zusätzlich pro angefangene Tausend weitere Mitglieder in den Amtsausschuss (Auszählung nach d´Hondt).

Weil die meisten Gemeinden in Schleswig-Holstein jedoch unter 1000 EinwohnerInnen haben, bedeutet dies, dass immer nur die stärkste Partei oder Wählergemeinschaft im Amtsausschuss vertreten ist.

Außerdem muss jedes Dorf im Amtsausschuss vertreten sein, egal wie viele EinwohnerInnen es hat. Dadurch kommt es in vielen Amtsausschüssen zu einer dramatischen Verzerrung der Verhältnisse zu Lasten der Zentralorte. Die große Mehrzahl der Sitze in den Amtsausschüssen wird nämlich nicht nach d'Hondt auf die Parteien und Listen verteilt, sondern durch die BürgermeisterInnen der kleinen Dörfer besetzt. Von 1634 VertreterInnen in den Amtsausschüssen sind 1039, also 64 Prozent aller VertreterInnen BürgermeisterInnen, die qua Amt im Amtsausschuss sitzen. Nur ein Drittel sind die gewählten weiteren Mitglieder.

Dazu zwei Beispiele:

-> Im Amt Bordesholm gibt es zwei Orte mit über 2000 Einwohnern, nämlich Bordesholm und Wattenbek. In diesen beiden Orten wohnen fast drei Viertel aller EinwohnerInnen – genau 73 Prozent. Im Amtsausschuss dagegen haben die restlichen 12 Dörfer die Mehrheit der Sitze.

-> Im Amt Eiderstedt gibt es zwei Gemeinden mit über 2000 Einwohnern, nämlich St. Peter-Ording und Garding. In den beiden Orten wohnen 60 Prozent der EinwohnerInnen von Eiderstedt. Im Amtsausschuss sieht es aber völlig anders aus. Hier haben die 14 Dörfer sogar eine Mehrheit von 65 Prozent.

Noch problematischer aber ist die Struktur in den Gemeinden und Ämtern, die gar keine eigene Verwaltung mehr haben, sondern stattdessen eine Verwaltungs­gemeinschaft eingegangen sind. Sind schon die Entscheidungen der Amtsausschüsse undurchsichtig und nicht demokratisch legitimiert, dann gilt das für die Steuerungsgremien der Verwaltungsgemeinschaften umso mehr.

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