Rede · 22.03.2007 Ausbau der Betreuung unter Dreijähriger
Den vorliegenden Antrag sollten wir vor dem Hintergrund der Erfahrungen der letzten Anhörung diskutieren. Im Sozialausschuss haben wir uns mit Familienzentren beschäftigt. Der Tenor bei allen Trägern war in meinen Ohren zweifelsohne die Bitte an die Politik, sich auf ein Thema zu konzentrieren. Nicht zu viele Baustellen im Kinderbetreuungsbereich, ansonsten ist überhaupt bald kein Durchkommen mehr.
Ich möchte noch einmal die politischen Initiativen nennen: verpflichtender Kindergartenbesuch, kostenfreies letztes Kindergartenjahr, längere Öffnungszeiten, Sprachförderung im Kindergarten, integrierte Familienberatung im Kindergarten, Bildungs- und Fremdsprachenangebote für die Kleinen und nicht zuletzt eine bessere Berufsausbildung der Erzieherinnen und Erzieher. Da bekommt man schnell den Eindruck, dass das, was in den letzten Jahren versäumt wurde, innerhalb einer Legislaturperiode nachgeholt werden soll. Kein Wunder, das sich die Betroffenen vor Ort oftmals überfordert und allein gelassen fühlen.
Andererseits ist der Entscheidungsdruck durch das neue Elterngeld enorm. Bereits in zwölf Monaten läuft für die ersten Bezieher das Elterngeld aus. Diese Eltern haben nur zwei Möglichkeiten: die Erwerbstätigkeit auch nach Ende des Elterngeldbezuges weiterhin ruhen zu lassen, ohne dafür einen Cent zu bekommen oder wieder arbeiten zu gehen und zuzusehen, dass man das Kind irgendwie untergebracht bekommt.
Auf Geld zu verzichten wird jedenfalls für die wenigsten in Frage kommen. Wie die ersten Daten zeigen, erhalten die Bezieher von Elterngeld weit weniger Geld als erwartet. Das Elterngeld beträgt durchschnittlich nur 58% des Nettoeinkommens, meldet die Presse am Montag und eben nicht 67%, weil Weihnachts- und Urlaubsgeld unberücksichtigt bleiben sowie die Werbungskostenpauschale abgezogen wird. Das ist leider nicht das erste Mal, dass die Nutzer von Leistungen erst spät merken, dass die Wahrheit der Pressekonferenz nichts mit ihren Ansprüchen zu tun hat.
Die Eltern können nach Ende der Elterngeldbezugs die Betreuung von Sohn oder Tochter privat organisieren oder, und das halte ich natürlich für die beste Lösung: das Kind in eine liebevolle, zuverlässige, professionelle Obhut geben.
In den meisten Dörfern des Landes fällt die letzte Option allerdings flach: es gibt schlicht und einfach keine Krippenplätze. Aber auch in den Städten sieht es nicht so gut aus. Daran wird sich in den nächsten zwölf Monaten nichts Grundsätzliches ändern. Kein Landespolitiker kann seriöser weise bis dahin eine Betreuungsgarantie für Kinder unter drei Jahren geben.
Auf dieses Problem hat der SSW bereits im Entscheidungsprozess um das Elterngeld aufmerksam gemacht. Leider ist inzwischen wertvolle Zeit verstrichen. Die Eltern müssen sehen, wie sie Betreuung organisieren.
Im Laufe eines Jahres werden wir keine ausreichenden Strukturen zur Verfügung stellen können: es fehlen die qualifizierten Pädagogen, um neue Gruppen einzurichten. Der SSW hat in der Vergangenheit immer betont, dass eine professionelle Kinderbetreuung hohen Qualitätsstandards genügen muss. Eine Standardverschlechterung, wie die Ausweitung der Kinderzahl pro Gruppe, ist mit uns nicht zu machen. Auch das Thema Tagesmutter haben wir im Landtag schon häufig angesprochen. Tagesmütter müssen selbstverständlich pädagogischen Kriterien genügen. Sie müssen qualifiziert werden, fachlich begleitet und unterstützt werden. Alles andere läuft auf ein Kinder-Parkhaus hinaus: Kinder rein und aufpassen, das sie weder geklaut noch beschädigt werden. Solche Zustände will, so hoffe ich, niemand.
Die demografischen Daten sollten keineswegs zum Aussitzen ermutigen, nach dem Motto: mit sinkenden Kinderzahlen regelt sich das Problem von ganz alleine. Was wir hier vorhaben, ist eine qualitative Ausweitung der Betreuungsstruktur, in die wir auch die jüngeren Kinder mit einbeziehen.
Wir wissen aber aus Berichten des Sozialministeriums, dass vor allem finanzschwache Kommunen so lange rechnen, bis bei ihnen kein Bedarf an Krippenplätzen mehr vorliegt. Sie können sich schlichtweg den Ausbau der Kinderbetreuung nicht leisten. Eltern, die keinen Krippenplatz finden, sind dementsprechend zwangsläufig sehr erfinderisch bei der Organisation der Kinderbetreuung und gehen dabei aber meistens alleine vor. Auch wenn es in einer Stadt oder in einem Dorf viele kleine Kinder gibt, finden sich nur in den seltensten Fällen eine private Initiative zur Gründung einer Krippe. Die Hürde, finanziell und bürokratisch, ist einfach zu hoch. Es gibt also einen enormen Schattenbedarf für alle Eltern, die ihre Kinderbetreuung nur notdürftig organisiert haben. Das merkt man spätestens, wenn eine Krippe aufmacht: innerhalb von Tagen füllt sich die Anmeldeliste.
Elternbefragungen bringen da kaum etwas. Wen will man auch befragen: Eltern mit kleinen Kindern, die aufgrund der Vorlaufzeit einer Krippe diese gar nicht mehr nutzen können? Potenzielle Eltern kann man schlecht befragen.
Krippenplätze sind also angebotsinduziert. Findet sich ein Träger und öffnet eine Krippe, sind die Plätze im Handumdrehen vergeben.
Das alles führt zur Forderung eines Voucher-Systems. In Hamburg hat man sehr gute Erfahrungen gemacht. Zwar möchte ich niemandem die enormen Anfangsschwierigkeiten des dortigen Gutscheinssystems zumuten, wo es monatelang völlig unklar war, wie die Gutscheine gehandhabt werden. Aber jetzt zeigt sich, dass die Eltern, die einen Gutschein haben, diese nutzen. Die Träger haben verlässliche Daten und bauen die Angebote zügig aus.
So etwas muss es auch in Schleswig-Holstein geben: Eltern bekommen mit der Gewährung des Elterngeldes eines Gutschein für einen Krippenplatz. Mit dem können sie zu Gemeinde oder Kindergarten gehen. Sie können es aber auch lassen und die Betreuung anders organisieren.
Diese Wahlfreiheit bleibt beim Gutschein-System bestehen.
Gleichzeitig bekommen wir erstmals belastbare Zahlen, die über Absichtserklärungen hinausgehen.
Der SSW unterstützt die Bemühungen, ein verlässliches Finanzierungssystem zu etablieren. Aber ich möchte klarstellen, wie es nicht geht: Die Kommunen können wir mit den Belastungen nicht allein lassen. Auch eine Finanzierung von Familien für Familien beispielsweise durch die Senkung des Kindergeldes oder die Änderung des Steuerrechtes kommen für den SSW nicht in Frage. Bei so einer Umverteilungsmaschinerie geht in der Regel sogar noch Geld verloren.
Dagegen erscheint mir die Steuerfinanzierung als die beste Lösung. Steuergeschenke an große Unternehmen sind da aber fehl am Platze. Das Geld sollte man lieber in die Kinderbetreuung investieren.