Rede · 21.05.2021 Bei der Unterstützung gewaltbetroffener Mütter die Kinder mitdenken

„Die vorliegende Bedarfsanalyse ist ein gutes Handwerkszeug. Die aufmerksame Leserin bemerkt allerdings die lange Liste der Aufgaben, die Träger, Kommunen und Landesregierung noch vor sich haben.“

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 58 - Bericht zur Bedarfssituation des Hilfsangebotes für gewaltbetroffene Frauen (Drs. 19/2768)

Der vorliegende Bericht ist eine gute Bestandsaufnahme. Gut, dass die Finanzierung in diesem Bereich umgesteuert wurde. Der Bericht zeigt aber auch offen und transparent die Lücken im Hilfsangebot. Um es gleich zu sagen: die Dynamisierung ist der richtige Schritt, aber das Volumen reicht nicht aus, um gleichzeitig die qualitativen und quantitativen Zuwächse zu finanzieren. In den anstehenden Haushaltsverhandlungen müssen wir eine Schippe drauflegen, damit sich die Situation spürbar verbessert. Ich möchte da die Kommunen nicht ausnehmen; auch dort muss Geld in die wichtige Unterstützungsstruktur gesteckt werden. Gerade in Nordfriesland und im Landkreis Schleswig-Flensburg sehe ich gute Ansätze. In diesen Landkreisen entwickelt sich eine stabile Mehrheit dafür, sich der Verantwortung für Gewaltopfer zustellen. Ich kann das vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Bemühungen nur ausdrücklich loben. Die Kämpfe für ein eigenes Frauenhaus haben sich gelohnt.
Zurück zum Bericht. Vieles ist schon gesagt worden. 
Ich möchte aber auf einen blinden Fleck der Bedarfsanalyse hinweisen. Es dreht sich dabei um die Kinder; sie tauchen nicht einmal im Titel auf. Jedes Hilfsangebot für gewaltbetroffene Mütter betrifft eben auch ein oder mehrere Kinder. Die Kinder waren oftmals Zeugen der Gewalt in der Familie, bis die Mutter ins Frauenhaus zog. Sie haben gesehen, wie vertrautes Miteinander in angsteinflößende Gewalt umschlagen kann. Diese Kinder sind traumatisiert. Sie erlebten das eigene Zuhause als Angstraum. Sie haben mit dem Umzug der Mutter darüber hinaus den Kontakt zu Nachbarn und Freundinnen verloren.  
Ich möchte es an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Frauenhäuser sind in der Praxis Familienhäuser, in denen die Bewohner*innen, die jünger als 18 Jahre sind, oftmals sogar die Mehrheit stellen. Die Unterstützungsangebote für diese Gruppe sind aber im Bericht mit der Lupe zu suchen; nur sechsmal findet sich überhaupt das Wort „Kind“.
So verweist der Bericht auf die Traumaambulanzen, deren therapeutisches Angebot sich seit Beginn des Jahres auch an Kinder von gewaltbetroffenen Frauen richtet, weil ihnen ein Anspruch auf 15 Sitzungen eingeräumt wird. Ich möchte diese Neuregelung nicht klein reden, denn sie ist ein Meilenstein gegen die Gewaltspirale. Aus der Forschung wissen wir, dass Kinder, die Zeuge von Gewalt wurden, als Erwachsene selbst zu Gewalt neigen. Diesen Teufelskreis von Gewalt, Trauma und wieder Gewalt nach erfolgter Chronifizierung des Traumas wollen wir durchbrechen. Und der Rechtsanspruch für die Kinder und Jugendliche ist ein guter Anfang. 
Allerdings müssen die Strukturen entsprechend mitwachsen. Ich möchte hier nur auf die Traumaambulanzen verweisen, die die Anlaufstelle für die Therapieangebote sind. Ein traumatisierts Kind, dessen Mutter ins Flensburger Frauenhaus geflüchtet ist, muss zur Therapie nach Schleswig. Das ist die übrigens die einzige Traumaambulanz im Landesteil Schleswig; also viel zu wenig. Hier müssen wir nachlegen, wenn wir es ernst mit der Gewaltprävention meinen. 
Die im Bericht angeführte Schnittstelle von Frauenhaus zum Jugendamt ist ein weiterer wichtiger Baustein in der Arbeit, aber die Kinder und Jugendlichen im Frauenhaus haben doch wohl ein komplexeres Angebot nötig. Ich denke, dass auch hier nachgesteuert werden muss. Allerdings zeigt der Hinweis auf fehlende professionelle Standards für die pädagogische Angebote im Frauenhaus, dass das Problem durchaus erkannt wurde. 
Die vorliegende Bedarfsanalyse ist also ein gutes Handwerkszeug. Die aufmerksame Leserin bemerkt allerdings die lange Liste der Aufgaben, die Träger, Kommunen und Landesregierung noch vor sich haben. 

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