Rede · 25.09.2003 Bericht zur Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen

Im Mai 2001 nahm ich als Vertreterin der dänischen Minderheit an einer Fachtagung des Volkshochschul-verbandes des Saarlandes teil. Anlässlich des Europäischen Jahres der Sprachen ging es dort um „Sprachen und Grenzräume“ – Denn, wie der saarländische Kultusminister Jürgen Schreier in seinem Redebeitrag aus-führte: “Nicht Landesgrenzen, sondern mangelnde Sprachkenntnisse sind zukünftige Barrieren in Europa. Ziel einer Sprachenpolitik muss daher sein, dass die Bürger Europas neben ihrer Muttersprache die Sprache ihrer Nachbarn und eine andere weit verbreitete Sprache können. Denn nur, wenn wir uns gegenseitig ver-ständigen können, werden wir uns auch verstehen“.
Das ist natürlich so, könnte man sagen - dem ist im Grunde genommen nichts hinzuzufügen. Für das deutsch-französische Grenzland heißt dies wiederum im Umkehrschluss, dass es dort in erster Linie um den Erwerb der Nachbarsprache geht. Herr Schreier verwies dazu auf eine ganze Reihe von Initiativen seines Landes. „Vielleicht kann die geplante, teilweise auch schon realisierte Vorgehensweise zum europäischen Beispiel für andere Regionen werden“, lautete verständlicherweise seine Schlussfolgerung. Als Vertreterin eines anderen Grenzlandes mit einer ganz anderen Geschichte als das Saarland würde ich aber sagen, dass die Ziele so einer Sprachenpolitik zu kurz greifen. Sie tun es meines Erachtens auch aus europäischer Sicht. Laut Jørgen Kühl, Direktor des dänischen Instituts für Grenzregionsforschung, gibt es allein in der Europäi-schen Union 41 anerkannte Minderheitensprachen, was nicht heißt, dass jede Sprache einer Minderheit gleichzusetzen ist. Deutsch z.B. ist eine Minderheitensprache, weil es deutsche Minderheiten in Dänemark, Belgien, Frankreich und Italien gibt. Insgesamt gibt es 75 nationale Minderheiten in der EU – hinzuzurechnen sind weiterhin Länder wie Norwegen und die Schweiz, wo auch mehr als nur eine Sprache gesprochen wird. In Osteuropa sieht die Landkarte noch verworrener aus. Dort gibt es mindestens 200 verschiedene na-tionale Gruppierungen mit noch mehr eigenen Sprachen, die zusammen mehrere Tausend nationale Minder-heiten ausmachen. Ich habe bewusst etwas weiter ausgeholt, um deutlich zu machen, dass das Verhältnis von sprachlicher und kultureller Vielfalt vom Grundsatz her ganz viele Menschen in Europa betrifft. Die heutige Debatte muss vor diesem Hintergrund betrachtet werden.
Ansonsten trifft zu, dass wir heute also zum ersten Mal im Landtag einen Bericht über die Umsetzung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen in Schleswig-Holstein beraten. Unser Dank gilt daher den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Staatskanzlei und der Minderheitenbeauftragten, die diesen ausführlichen und aufschlussreichen Sprachenchartabericht über die vier Minderheiten- und Regio-nalsprachen in Schleswig-Holstein: Dänisch, Friesisch, Romanes und Niederdeutsch, ausgearbeitet haben. Für den SSW ist die zum 1. Januar 1999 in Kraft getretene Sprachencharta und die konkrete Umsetzung in Schleswig-Holstein ein wichtiges Signal dafür, dass die Förderung der Minderheitensprachen – auf die ich mich in meinem Beitrag konzentrieren werde – mit der Ratifizierung dieser Europäischen Charta eine ganz neue Qualität bekommen hat. Denn mit der Sprachencharta wurde erstmals ein konkretes Instrument ge-schaffen, woran die Minderheiten die Förderung ihrer Sprachen im Alltag und in der Öffentlichkeit messen können. Dabei gibt es für die einzelne Sprachen eine ganze Reihe gemeinsamer aber auch individueller Regelungen, die entsprechend als Verpflichtung angemeldet worden sind. Das sogenannte Monitoringverfahren, wodurch ein Expertenausschuss des Europarates die bisherige Umsetzung der einzelnen Bestimmungen der Charta prüfen konnte, sorgt dafür, dass die Ratifizierungsstaaten und die betroffenen Sprachengruppen in einem permanenten Diskussionsprozess über die bisherige und künftige Förderung der Sprachen eingetre-ten sind. Die Ergebnisse des ersten Monitoringberichts sind im vorliegenden Bericht mit eingeflossen und geben interessante Anhaltspunkte für die weitere Arbeit mit der Charta. Bevor ich auf einzelne Aspekte ein-gehe, möchte ich noch voranstellen, dass die Minderheiten in Schleswig-Holstein sich sehr wohl darüber bewusst sind, dass die Landesregierung bei der Aufnahme der vier in Schleswig-Holstein beheimateten Re-gional- und Minderheitensprachen in die Sprachencharta eine entscheidende Rolle gespielt hat - insbesonde-re im Teil III der Charta. Auch bei der bisherigen Umsetzung der Sprachencharta hat die Landesregierung eine sehr konstruktive Arbeit geleistet, beispielsweise mit der Herausgabe der Broschüre „Sprache ist Viel-falt“. Dort ist vieles nachzulesen über die Rechte und Möglichkeiten, die sich für die Betroffenen aus der Sprachencharta ergeben. Dennoch kommen wir nicht drum herum festzustellen, dass die Experten des Euro-parates in bestimmten Bereichen die Bestimmungen der Charta als in Schleswig-Holstein nicht erfüllt be-trachten. Dies gilt insbesondere für die Einhaltung vieler Bestimmungen hinsichtlich der friesischen Spra-che, aber auch einige Verpflichtungen für Dänisch sind nach Auffassung der Europaratexperten nicht erfüllt. Überwiegend geht es um Defizite bei den Schulen, bei der Medienpräsenz und bei einigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Auch wenn man Verständnis dafür haben kann, dass die Landesregierung die Kritik des Expertenausschusses nicht in allen Fällen teilt und für gerechtfertigt hält, so erwartet der SSW dennoch, dass sich Bundes- und Landesregierung Gedanken darüber machen, wie man in Zukunft bei den angespro-chenen Problembereichen die Verpflichtungen umsetzen kann.
Natürlich müssen auch wir von den Minderheiten und Sprachgruppen selbstkritisch eingestehen, dass unsere Wünsche und Forderungen oftmals deutlich über die mit den Bestimmungen eingegangene Umsetzungsverpflichtung des Staates hinaus gehen. In unserem Eifer unsere Sprachen zu fördern, was ja elementare Voraussetzung für das Überleben der Minderheiten ist, kann es schon mal passieren, dass wir über das Ziel hinausschießen.
Der Bericht geht sehr detailliert auf die Umsetzung aller Verpflichtungen und Bestimmungen der Europäi-schen Sprachencharta für alle vier Regional- und Minderheitensprachen ein. Ich werde wegen der Kürze der Zeit aber nur auf einige wenige - aus unserer Sicht wichtigen - Aspekte eingehen. Wenn man so will, dann kann die Bundesrepublik Deutschland jede einzelne der folgenden Organisationen der dänischen Minderheit - Dansk Skoleforening, Sydslesvigsk Forening, Dansk Centralbibliotek, Dansk Sundhedstjeste, Jaruplund Højskole, Flensborg Avis – dafür danken, dass sie die Erfüllung der Sprachencharta in Bezug auf die Minderheitensprache Dänisch möglich machen. Denn sie alle werden explizit im Sprachenchartabericht genannt, wenn es um die Umsetzung von Chartabestimmungen im schulischen und kulturellen Bereich sowie bei der Medienpräsenz geht. Ja, sogar der SSW trägt zur Erfüllung von Artikel 14 zum Grenzüberschreitenden Austausch bei, weil wir drei Vertreter im Regionalrat Sønderjylland/Schleswig sitzen haben. Auch wenn die genannten Organisationen mehr oder weniger von Land und Bund gefördert werden, so darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass Dänemark weit über 50% aller Zuschüsse für die dänische Minderheit zahlt. Man kann also sagen, dass das Königreich Dänemark auch dazu beiträgt, dass die Bundesrepublik ihre Verpflichtungen, im Sinne der Sprachencharta erfüllen kann. Dass der finanzielle Aspekt bei der Umsetzung der Sprachencharta ein nicht unwesentlicher Punkt ist, zeigt sich auch darin, dass der Experten-ausschuss die Verpflichtungen des Artikel 8 für den Grundschulunterricht für die Sprache Dänisch nur als bedingt erfüllt ansah, weil zum Zeitpunkt der Erstellung des Monitoringberichts im Herbst 2001 eine Kür-zung der Zuschüsse für die dänischen Schulen diskutiert wurde.
Seitdem haben wir zwar durch einen Kompromiss bei der Privatschulförderung Verbesserungen für die Be-zuschussung der Schulen der dänischen Minderheit erreicht, aber dennoch gibt es immer noch Probleme bei der Finanzierung der Schülerbeförderung. Wir hoffen, dass die gemeinsame Arbeitsgruppe des Bildungsmi-nisteriums und des Dansk Skoleforening hier tragbare Lösungen finden wird. Weitere Problembereiche für die Minderheitensprache Dänisch - insbesondere die fehlende Medienpräsenz - werden ausführlich in der beigefügten Stellungnahme unserer Kulturorganisation Sydslesvigsk Forening angesprochen. Dieses sollten wir bei der Ausschussberatung noch vertiefen.
Für die friesische Bevölkerung ist der Kindergartenbereich einer der wichtigsten Bereiche für die Sprach-förderung schlechthin. Die friesische Bevölkerung verfügt nicht über eigene Kindergärten, Friesisch wird vielmehr in Kindergärten als besonderes Angebot gegeben. Die Friesischvermittlung ist aber freiwillig. Im Gegensatz zu anderen Minderheiten gibt es zum Schutz und zur Förderung der friesischen Sprache in Kin-dergärten keine gesetzlichen Regelungen. Der Expertenausschuss bemängelt dies und fordert dazu auf, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der die friesischsprachige Vorschulerziehung absichert. Dieser mittel- und langfristigen Forderung können wir uns als SSW anschließen. Aktuell ist aber vor allem die Frage, wie unter den derzeitigen Bedingungen die friesische Sprache in den Kindergärten gefördert werden kann. Hier stellen wir uns ein Anreizsystem vor, wie es auch schon im Friesengremium angedacht wurde. Durch extra zur Verfügung gestellte Finanzmittel soll ein Anreiz für die Kindergärten gegeben werden, Friesisch anzubieten. Mit einem entsprechenden Schreiben hat sich der Friesenrat an das Bildungsministerium gewandt und wir meinen, dass dies eine gute Idee ist - zumal gerade ein Ausbildungsprojekt des Friesenrates angelaufen ist, das zum Ziel hat, mehr friesisches Kindergartenpersonal zu rekrutieren.
In den letzten Jahren hat sich für die Präsenz der friesischen Sprache an den Schulen in Nordfriesland und auf Helgoland eine Menge getan. Ich zitiere noch einmal aus dem Bereicht: „Wo immer bisher Friesischun-terricht gewünscht worden ist, sind die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung gestellt worden.“ Das ist richtig, und das ist auch ein sehr positiver Ansatz. Durch diese entgegenkommende Vorgehensweise ist es gelungen, den Friesischunterricht nachhaltig auszubauen. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass die Friesen ge-zwungen sind, aus einer Minderheitsposition heraus, Eltern, Schüler, Lehrer, Verwaltungen und die Umge-bung davon zu überzeugen, dass Friesischunterricht sinnvoll und notwendig ist. Manch guter Wille wird un-ter diesen Bedingungen nicht verwirklicht werden können. Deshalb ist der Weg, die Ressourcen bei Bedarf zur Verfügung zu stellen, zwar für den Übergang richtig und zu begrüßen, aber auf längere Sicht kommen wir nicht umhin, mit verbindlichen Regelungen dafür zu sorgen, dass Friesisch an den betreffenden Schulen obligatorisch wird.
Für die Förderung der Minderheitensprache Romanes in Schleswig-Holstein gelten besondere Bedingungen, weil ein großer Teil der Sinti und Roma bisher eine Förderung ihrer Sprache im öffentlichen Raum sehr skeptisch gegenüberstehen und die angestammte Sprache ohne staatliche Maßnahmen auf privater Ebene pflegen will. Auch eine Verschriftung der Sprache findet traditionell nicht statt. Die Minderheitensprache Romanes ist auch deshalb für eine Anmeldung von Teil III nicht in betracht gekommen, weil die Mindestanzahl der Schutzverpflichtungen von 35 durch den Bund und die Länder nicht übernommen werden konnte. Trotzdem gibt es vielfältige Bemühungen, die Sprache zu fördern. Als konkretes Beispiel können die Bemühungen genannt werden, die darauf abzielen, für die Sinti und Roma in Kiel eine Wohnsiedlung mit „eingebauter“ Begegnungsstätte zu bauen. Dadurch werden Rahmenbedingungen geschaffen, die es der Minderheit ermöglichen, die eigene Sprache unter eigenen Prämissen zu pflegen.
Ich fasse zusammen: mit der Europäischen Sprachencharta haben sich die europäischen – und internationa-len – Rahmenbedingungen für die Förderung von Regional- und Minderheitensprachen geändert. Ob es sich dabei um einklagbares Recht handelt sei im Moment dahingestellt. Wichtig ist das gesellschaftspolitische Signal und die daraus folgende Verpflichtung. Der Bericht zeigt auf, dass sich Schleswig-Holstein auf dem richtigen Weg befindet. Das ist nur gelungen, weil alle – Mehrheit und Minderheiten –an einem Strang ziehen. Gemeinsam haben wir erkannt, was an dem friesischen Spruch dran ist:
„Huum schal trååwe, weer e wäi schucht as“. Man muss traben, wo der Weg eben ist. – Soll heißen: Dort, wo man schnell etwas tun kann, muss man die Sache auch in die Hand nehmen. Auf Dänisch würde man - vielleicht - sagen: ”Bekæmp med al din kløgt og flid den tåge tåber spreder, thi visseligen: ting ta’r tid, men ævl ta’r evigheder” (Piet Hein).

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