Rede · 11.05.2023 Der Norden kommt auch bei den Krankenhäusern zu kurz

„Ich befürchte, dass sich bei dem, was man sich bei Lauterbach im Ministerium erdenkt, die Lage in Schleswig-Holstein massiv verschlechtern wird. Die flächendeckende Versorgung mit wohnortnahen stationären Strukturen - ein Kennzeichen unseres Landes - ist in Gefahr“

Christian Dirschauer zu TOP 14, 34, 39+42 - Stationäre Geburtshilfe in Schleswig-Holstein absichern, Mündlicher Bericht zur Umsetzung der Krankenhausreform in Schleswig-Holstein, Krankenhäuser unterstützen – Tarifabschlüsse refinanzieren, Gute und flächendeckende Gesundheitsversorgung sicherstellen (Drs. 20/800 (neu), 20/956, 20/964 und 20/968)

Selbstverständlich scheint in Berlin vor allem eines zu sein: Schleswig-Holstein wird übersehen. Ob in der Hafenpolitik, der Autobahnplanung oder eben bei den Krankenhäusern: wenn in Berlin geplant wird, fällt Schleswig-Holstein meistens hinten runter. Was in der Verkehrspolitik ärgerlich ist und ein ökonomischer Hemmschuh, ist in der Gesundheitspolitik gefährlich. 

Ich befürchte, dass sich bei dem, was man sich bei Lauterbach im Ministerium erdenkt, die Lage in Schleswig-Holstein massiv verschlechtern wird. Die kleinen Krankenhäuser in Schleswig-Holstein drohen die Mindestkriterien zur Eingruppierung in Versorgungslevel, wie sie im Bundesgesundheitsministerium erdacht wurden, nicht zu erfüllen. Wenn sie aber aus dem Raster fallen, bedeutet das das Ende der Strukturen, wie wir sie kennen. Die flächendeckende Versorgung mit wohnortnahen stationären Strukturen - ein Kennzeichen unseres Landes - ist in Gefahr. 

Für den SSW muss ich daher ganz klar sagen, dass es nicht darum gehen kann, Geld umzuverteilen, sondern durch gezielte Investitionen die flächendeckende Versorgung dauerhaft zu sichern und die Häuser aus der Zwangslange zu befreien. 
Ein paar Schräubchen zu drehen, wird dieses grundsätzliche Problem nicht beheben. Eine mögliche strukturelle Anpassung wird erhebliche Investitionsmittel erfordern, die Schleswig-Holstein wohl aber allein nicht aufbringen kann. Werden dann noch mehr Krankenhäuser von Konzernen übernommen werden? Bereits jetzt mischen immer mehr Konzerne im Krankenhaussektor mit und schöpfen den Rahm ab. Sie verrücken das Gesamtgefüge, indem sie vermeintlich teure Patienten ins öffentliche System abschieben. Eine Zwei-Klassen-Medizin zeichnet sich ab, indem Extraleistungen extra abgerechnet werden. Das Personal in diesen privaten Kliniken wird dagegen finanziell an der kurzen Leine gehalten. Reinigungskräfte berichten über Vorgaben und Reinigungsintervalle, die über ihre Kräfte gehen. Im medizinischen und pflegerischen Bereich ist es nicht anders. Laut einer aktuellen Umfrage des DGB haben sich die Arbeitsbedingungen in der Krankenpflege weiter verschlechtert. Alles im Namen der Rendite. 

Gleichzeitig geraten die öffentlichen und freigemeinnützigen Träger immer mehr in Schieflage. Dieses Problem muss gelöst werden. Aber die privaten Trägerstrukturen sind ja ein Elefant im Raum. Alle wissen, dass sie den Wettbewerb im Gesundheitswesen vorantreiben, und trotzdem redet niemand über sie. Genauso wenig wie über teure Doppelstrukturen im ambulanten und stationären Bereich oder die unzureichende Verzahnung der Fachbereiche bei multimorbiden Patientinnen und Patienten. Kommunale Krankenhäuser haben einen hohen symbolischen Status; deren Kontrolle und Aufsicht überfordert aber oftmals die Kommunalpolitik. Die Lobbygruppen im Gesundheitswesen sind sehr stark und versuchen, alle Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Jedes einzelne dieser Probleme ist bekannt, sie werden aber verschwiegen. 

Die Debatte um eine zukunftsfeste Krankenhauslandschaft spart also zu viele Sachen aus und wurde jahrzehntelang ausschließlich ideologisch geführt. Es darf aber nicht nur um eine Umsteuerung von diagnosebezogener Abrechnung hin zu einer Mischung von Vorhaltfinanzierung und Behandlungsfinanzierung gehen. Wir brauchen eine offene Debatte darüber, wie wir die stationäre Versorgung der nächsten Jahre absichern können; und zwar für Alle und nicht nur für die gutverdienenden und reichen Patienten. Leider fehlt bisher eine Vision von einer wohnortnahen Versorgung der Zukunft. Runde Tische helfen da wenig, weil das Vertrauen in die Politik sinkt. 

Ich denke, dass man vermutlich nicht nur in Eckernförde unserer Debatte mit besonderer Aufmerksamkeit zuhört. Aber hier herrscht natürlich weiterhin große Unsicherheit. Und es stellt sich die ganz grundsätzliche Frage, wie der Standort zukünftig in der Krankenhausinfrastruktur eingebettet sein wird? In Pinneberg und Flensburg stehen Neubauten an. Hier stellt sich die Frage, ob diese Projekte finanziell abgesichert sind oder ob wir uns an abgespeckte Krankenhäuser gewöhnen müssen? Wie ist die Versorgungslage überhaupt regional abgesichert? Gibt es Fachbereiche, die besonders unter Personalproblemen leiden? Das sind eine Reihe von Fragen, die beantwortet werden müssen. 

Ein Fachbereich, der in den letzten Jahren besonders oft die Schlagzeilen beherrschte, ist sicherlich die Geburtshilfe. Das Finanzierungsmodell, nach dem die Krankenhäuser abrechnen und arbeiten müssen, benachteiligt vor allem die geburtshilflichen Stationen. Sie müssen Kapazitäten vorhalten, ohne dass ihnen das gänzlich erstattet wird. Denn Geld kommt nur rein, wenn auch eine Geburt erfolgt. Wir haben hier im Landtag diesen Missstand angeprangert. Wiederholt. Jetzt sind wir mit der Geduld am Ende. Wir legen jetzt einen Antrag vor, der die stationäre Geburtshilfe wirtschaftlich stützen soll. Noch müssen die Krankenhäuser als Einzelkämpfer um jeden Cent ringen. Die Landesregierung ist jetzt am Zug und muss die Sicherstellungspflicht endlich mit Leben erfüllen. 

Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass viele Hebammen und Frauenärzte in den Kliniken bis weit über die eigenen Belastungsgrenzen gehen müssen. Das ist gefährlich. Wenn aber immer mehr Fachleute entnervt das Handtuch schmeißen und Berufsanfänger diese Berufe gar nicht mehr in Betracht ziehen, bekommen wir erhebliche Probleme. Darum müssen wir die Situation ändern. Die Absicherung der Geburtshilfe durch das Land würde nicht nur dem Personal Sicherheit bringen, sondern vor allem den Gebärenden und ihren Familien. Das Wissen, dass belastbare Strukturen zur Verfügung stehen, die rund um die Uhr 365 Tage im Jahr sichere Geburten gewährleisten, bedeutet eine enorme Sicherheit für die Familien. Beratung, Betreuung und Nachsorge dürfen nicht aus Kostengründen auf irgendwelchen Streichlisten landen. Darum muss das Land von der Seitenlinie endlich aufs Spielfeld und die Sicherstellungsverpflichtung umsetzen. Die Versorgungsstrukturen müssen gesteuert werden. Die Gesundheitsministerin hat die Bündelung und die Versorgungsgarantie ausdrücklich für Geburtskliniken als ihre Kompetenz reklamiert. Jetzt müssen den Worten Taten folgen. 

Eine sichere und wohnortnahe Geburtshilfe ist eigentlich in einem modernen Industrieland eine Selbstverständlichkeit. Aber im Gesundheitswesen ist eben alles ein bisschen besonders. Darum haben wir es auch mit einem weiteren Antrag zu tun, der die Tarifabschlüsse für die Krankenhäuser übernommen wissen möchte. Das ist eigentlich eine reine Selbstverständlichkeit. Ich finde es problematisch, wenn eine Situation droht, in der die Krankenhäuser die Tarifanpassung nicht hinkriegen könnten. Selbstverständlich ist es richtig, dass die Krankenhäuser unterstützt werden. Wenn sie aber durch eine Tariferhöhung drohen, in die Knie zu gehen, müssen keine Zuschüsse her, sondern grundsätzlich eine auskömmliche Finanzierung.

Der SSW unterstützt die Bemühungen zu einer Krankenhausreform, vermisst aber den Mut, eine grundsätzlichen Neuanfang zu wagen. Bund und Länder müssten gemeinsam planen, wie die Krankenhauslandschaft aussieht. Das Verhältnis von Krankenhäusern und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten muss dringend neu geregelt werden. Nur so können wir Zentren schaffen, wo alles von der Erkältung über eine ausgekugelte Schulter und einen einfachen Armbruch bis zur Blinddarmentzündung behandelt werden kann. Langfristig können wir nur mit Mischformen die Versorgungssicherheit gewährleisten. Die Arbeitsteilung im Gesundheitswesen wird sich ganz grundsätzlich ändern. Die Professionalisierung der Pflegekräfte ist dabei nur der erste Schritt. Aber in der Politik reden wir immer noch von Abrechnungen und Vorhaltekosten; während sich die Behandlungsformen allmählich verändern.

Hauptsache gesund. Das ist das, was sich die meisten Menschen wünschen. Dabei sollten wir sie unterstützen. Die Zeit drängt: auch ohne Krankenhausreform stellt die demographische Entwicklung die Politik vor große Herausforderungen: immer mehr Personal geht in den Ruhestand, während nur wenige nachkommen und gleichzeitig das Durchschnittsalter der Patienten zunimmt und damit die Wahrscheinlichkeit, ein Krankenhaus in Anspruch nehmen zu müssen. Darum ist es gut, dass wir über Krankenhäuser reden. Noch besser ist es allerdings, sie zu unterstützen.

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