Rede · 16.09.2015 Der Staat hat sich aus den Redaktionen herauszuhalten

Lars Harms zu TOP 4 - Stärkung der inneren Pressefreiheit

Presseinformation 

Kiel, den 16. September  2015

Es gilt das gesprochene Wort

Drs. 

„!“

Der Satz: „Journalisten arbeiten frei von Zwängen“ gilt genauso wie der Satz „Die Erde ist eine Scheibe“. Jeder Journalist und jede Journalistin bringt eigene Meinungen, persönliche Lebenserfahrung und Voreingenommenheit mit. Presseleute sind keine Maschinen. Schon vor zwanzig Jahren hat der Journalist Hans-Joachim Friedrich seine Kollegen gewarnt, sich nicht gemein zu machen mit einer Sache, „auch nicht mit einer guten.“ 

Das Ringen um professionelle Distanz kostet allerdings Zeit und Geld und droht daher im Wettbewerb um Quoten und Klicks unterzugehen. Billige Leserreporter mit dem allseits schussbereiten Handy sind inzwischen in vielen Redaktionen zum Standard geworden. Schnelle Meinungen herauszuschießen, hat aber überhaupt nichts mit professionellem Journalismus zu tun. 

Probleme der inneren Pressefreiheit, die sogenannte Schere im Kopf, werden schon seit Jahrzehnten beklagt. Korrumpierter oder schlichtweg unfähiger Journalismus gibt es schon immer; allerdings spielte das in einer bunten, abwechslungsreichen Presselandschaft keine so große Rolle. Es gab genug Gegengewichte. Trotz des aktuellen Titelbooms an Kiosken und im Internet verfällt die veröffentlichte Meinung zunehmend und verliert an Farbe: immer die gleichen Treffen werden zwar von mehr Kamerateams abgelichtet, aber der Zuwachs an Informationen ist dabei gleich Null. Viel hilft also nicht viel.

In Brandenburg ist es bereits gesetzlich geregelt, dass kein Redakteur gegen seine eigene Meinung publizieren muss. Das wurde vor mehr als zwanzig Jahren nach heftigen Auseinandersetzungen mit den Verlegern verabschiedet. Dort war im Zuge der Privatisierung durch die Treuhand ein Medien-Oligopol weniger Großverleger entstanden. Man geht inzwischen davon aus, dass in über 70% der Landkreise in Ostdeutschland nur eine einzige Lokalzeitung erscheint. In Schleswig-Holstein haben wir es im lokalen Bereich ebenfalls mit Konzentrationsprozessen zu tun. Ob diese allerdings mit dem vorliegenden Entwurf beizukommen ist, wage ich zu bezweifeln; schließlich funktioniert in den meisten Zeitungsverlagen die innere Pressefreiheit bereits jetzt. Der Verleger legt die grundsätzliche Haltung der Zeitung fest, die die Redaktion eigenverantwortlich ausformt.     

In der Begründung stellen die Piraten fest, dass durch die geplante Gesetzesänderung die Vielfalt an veröffentlichten Meinungen innerhalb ein und derselben Redaktion gewährleistet werden soll, solange die Konkurrenz fehle. Wie habe ich mir das vorzustellen? Werden politische Ereignisse zukünftig in zwei oder mehreren Artikeln in derselben Zeitung dargestellt werden? Oder werden immer mehrere Kollegen einer Zeitung an einer Sache dran sein? Ich glaube nicht, dass so eine Art interne Meinungsvielfalt auch nur ansatzweise in der Praxis funktionieren kann. Oder soll solange diskutiert werden bis so eine Art amtlicher Verlautbarung mit einer nichtssagenden Faktenauswahl dabei herauskommt? 

Sogar in den Reihen der antragstellenden Piratenfraktion gibt es Zweifel, ob das Gesetz zur Stärkung der inneren Pressefreiheit in der Realität überhaupt umsetzbar sei; also einen messbaren Niederschlag erwirken kann. Nachzulesen sind die Zweifel des Presssprechers der Piraten im Fraktionsprotokoll vom 30. Juni. Kann der Gesetzgeber überhaupt in die Redaktionen hineinregieren? Was er kann, ist Rahmenbedingungen schaffen. Letztlich weiß doch jeder Journalist, der beispielsweise bei der „Welt“ oder der „taz“  anheuert, auf was er bzw. sie sich da einlässt. 

Der Gesetzentwurf möchte etwas ausgleichen, was nach meinem Dafürhalten gar nicht gesetzlich geregelt werden kann. Darüber hinaus bin ich der festen Überzeugung, dass er das auch nicht regeln sollte. Die Landesregierung kann keine Pressevielfalt schaffen. Wenn die Leserzahlen sinken, kann eine Zeitung eben nicht mehr erscheinen. Da kann auch die Landesregierung nicht eingreifen. Die Landesregierung kann via Medienrat Privatsender bei der Lizenzvergabe zu regionalen Berichterstattung verpflichten, aber natürlich nicht die inhaltliche Ausrichtung kontrollieren. Der Staat hat sich aus den Redaktionen herauszuhalten. Und das ist auch gut so. Natürlich rege auch ich mich auf, wenn ein Journalist bereits beim Pressegespräch seine Voreingenommenheit erkennen lässt oder wenn Berichte tendenziell sind. Aber das kann ich nicht per Gesetz verhindern. 

Allerdings ist zu überlegen, ob wir das Problem nicht woanders zu suchen haben. Der DJV-Schleswig-Holstein weist darauf hin, wo es bei den Strukturen in den Redaktionen tatsächlich hapert. Innere Pressefreiheit könne nämlich nur gelebt werden, wenn es in den Redaktionen genug Personal gibt. Und, das möchte ich ergänzen, wenn das Personal, das es denn gibt, vernünftig bezahlt wird. Tatsächlich haben wir es mit immer mehr freien Mitarbeitern und so genannten Praktikanten zu tun, die aufgrund geringer Zeilengelder prinzipiell korrumpierbar sind. Teilweise werden die Honorare für Freie sogar gekürzt, was die Situation weiter anspannt.  Die Verleger haben allerdings schon in Sachen Mindestlohn gezeigt, dass sie gewillt sind, ihre ganze publizistische Macht einzusetzen. Sie werden ihre Honorarstruktur sicherlich ebenso vehement verteidigen. Aber ich denke, dass sich diese Auseinandersetzung lohnt.

Es ist richtig, dass wir uns mit dem Prinzip der inneren Pressefreiheit auseinandersetzen. Wir tun das viel zu selten. Darum schlägt ver.di vor, dass sich der Landtag regelmäßig über die Medienlandschaft berichten lassen sollte. Mecklenburg-Vorpommern habe damit gute Erfahrungen gemacht. 

Zunächst allerdings sollten wir den vorliegenden Entwurf im Ausschuss diskutieren.

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