Rede · 09.07.2014 Der Verfassungsentwurf schafft mehr Bürgernähe, setzt Meilensteine in der Minderheitenpolitik und ist ein echtes Stück Schleswig-Holstein
Vor uns liegt ein umfassender Vorschlag der sechs Fraktionen im Landtag zur Änderung der Landesverfassung. Dieser Änderungsvorschlag ist keine Selbstverständlichkeit, sondern Ausfluss einer breiten Kompromisssuche in vielen Bereichen. Für diese Kompromissfähigkeit möchte ich allen Fraktionen hier im Hohen Hause danken. Wie gesagt, ist dieses nicht selbstverständlich. Vor einigen Jahren hatten wir eine Enquetekommission eingesetzt, die über Verfassungsänderungen beraten sollte, aus der heraus es nur wenige kleine Änderungen bis in die eigentliche Landesverfassung geschafft haben. Die meisten Änderungswünsche scheiterten damals an den verschiedenen Mehrheiten, die fast immer eben nicht eine Zweidrittel-Mehrheit abbildeten. Dieses Mal sind wir mit einer ausgesprochenen Kompromissbereitschaft in die Beratungen gegangen, was dazu geführt hat, dass es eben nicht nur bei marginalen Änderungen blieb.
Trotzdem gibt es einen markanten Punkt, an dem eine breite Einigung nicht möglich war: nämlich beim Gottesbezug in der Präambel. Rein rechtlich gesehen, hätte ein Gottesbezug nur die Auswirkung, dass auf die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahrhunderte und der daraus hervorgegangenen Wertvorstellungen hingewiesen werden würde und damit kein religiöses Bekenntnis des Staates oder gar des Einzelnen an sich verbunden wäre. Dies haben auch die Beratungen im Ausschuss deutlich gemacht. Gleichwohl hat diese Bestimmung natürlich auch eine emotionale Komponente. Vor diesem Hintergrund hat der SSW auch einen Kompromissvorschlag in die Beratungen eingebracht, der darauf abzielte, einerseits das humanistische Erbe zu achten und andererseits den Respekt vor dem Glauben an Gott zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitsfähig war auch dieser Vorschlag nicht, so dass wir im Gesetzesvorschlag der CDU nur deren Ursprungsvorschlag vorfinden. Dieser Vorschlag, „in Verantwortung vor Gott und den Menschen“, hat wie gesagt rechtlich nur die Funktion, auf unsere Wertvorstellungen als Rahmen des Staates hinzuweisen. Allerdings hat diese Formulierung natürlich auch darüber hinaus eine moralisch-emotionale Komponente. Dies führt dazu, dass jeder Abgeordnete über diese Frage nach seinem eigenen Gewissen abstimmen wird.
Es ist aber nach unserer Auffassung wichtig, zu erwähnen, dass der Gottesbezug in der Verfassung nicht das entscheidende Element war, wenn es um eine Präambel geht. Das entscheidende Element für uns war die Präambel selbst. Zum ersten Mal gibt sich das Land eine Präambel, die zweierlei deutlich macht. Erstens wird zum ersten Mal in der Geschichte des Landes Schleswig-Holstein der Rahmen deutlich gemacht, auf dem sich die Verfasstheit unseres Bundeslandes gründet. Das heißt, die Präambel umrahmt die Verfassungsbestimmungen als solches. Und zweitens wird mit der Präambel die Eigenstaatlichkeit und Eigenständigkeit des Landes Schleswig-Holstein deutlich gemacht. Gerade das war für den SSW wichtig, weil unsere Eigenstaatlichkeit ein entscheidendes Element unseres eigenen Selbstverständnisses ist. Deshalb ist es auch nur folgerichtig, dass sich diese Eigenstaatlichkeit und der Rahmen auf dem diese Eigenstaatlichkeit beruht, auch auf festen regionalen Pfeilern stehen. Neben den unveräußerlichen Menschenrechten und Werten wie Demokratie, Freiheit, Toleranz und Solidarität sind insbesondere die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und der Wille, die kulturelle und sprachliche Vielfalt in unserem Land zu bewahren, in der Präambel als fester Rahmen allen staatlichen Seins zugrunde gelegt. Damit bekennen wir uns zum ersten Mal gemeinsam als Mehrheit und Minderheiten zu einem gemeinsamen Schleswig-Holstein als gemeinsame Basis für unser gemeinsames Land.
Ich betone das deshalb, weil dies auch minderheitenpolitisch in unserem Land nicht immer selbstverständlich war und in anderen Ländern immer noch nicht selbstverständlich ist. Wir schreiben also schon ein wenig europäische Geschichte, in dem wir die kulturelle Vielfalt der Deutschen, der Dänen, der Friesen sowie der Sinti und Roma als auch die sprachliche Vielfalt, die mit diesen Bevölkerungsgruppen verbunden sind, als gemeinsame Grundlage in der Präambel festschreiben und diese Grundlage auch gemeinsam bewahren wollen.
Überhaupt ist die neue Landesverfassung minderheitenpolitisch ein riesiger Fortschritt – nicht nur für die Minderheiten im Land, sondern eben auch als Vorbild in Europa. Der besondere Status der Schulen der dänischen Minderheit wird in der Landesverfassung festgeschrieben und die finanzielle Gleichbehandlung in Bezug auf öffentliche Schulen in den Verfassungsrang erhoben. Grundlage hierfür ist das, was wir schon einfachgesetzlich in den Paragrafen 121 und 124 Schulgesetz zu den dänischen Schulen festgelegt haben. Damit wird eine Frage auch verfassungsrechtlich geklärt, die im Prinzip die letzten fast 70 Jahre immer wieder umstritten war. Das ist ein großer minderheitenpolitischer Schritt, der nicht unterschätzt werden darf. Wir orientieren uns bei diesem Schritt im Übrigen auch an dem, was für die sorbischen Schulen in Brandenburg und Sachsen gilt. Die dortigen sorbischen Schulen sind öffentliche Schulen und somit automatisch dem deutschen Schulsystem gleichgestellt. Die dänischen Schulen sind formal privatrechtlich organisiert; dienen aber ausdrücklich als Regelschulen für den dänischen Bevölkerungsteil im Land. Diese Sonderstellung führt zu der Regelung, die wir nun auch in der Landesverfassung verankern wollen. Und das grenzt die Minderheitenschulen auch von freien Schulen ab, die eben nicht diesen völkerrechtlichen Sonderstatus haben.
Im Übrigen muss man hier auch noch einmal anmerken, dass wir bei den Beratungen zur Landesverfassung immer davon ausgegangen sind, welche Forderungen und Wünsche die Minderheiten selbst an uns als Staat haben. Das heißt, dass andere Minderheiten – also in diesem Fall die Friesen und die Sinti und Roma – durchaus anders behandelt werden können. Gleichwohl müsste man, wenn diese Minderheiten ebenfalls eigene Schulen betreiben wollten, die Verfassungsbestimmung zu den dänischen Schulen entsprechend anwenden oder den Verfassungsartikel eines Tages auch anpassen. Zumindest ist das die breite Meinung unserer juristischen Berater gewesen.
Aber wie gesagt, haben wir uns am hier und jetzt orientiert und nicht an dem, was sein könnte. Deshalb sind die Sinti und Roma überhaupt nicht im Schulartikel erwähnt, weil es von Seiten der Sinti und Roma keine Bestrebungen gibt, eigene Schulen zu gründen und sie es auch ablehnen, dass ihre Sprache in öffentlichen Schulen gelehrt wird. Das ist anders bei der friesischen Volksgruppe. Diese Minderheit wünscht Friesischunterricht an den öffentlichen Schulen und deshalb werden hier auch der Schutz und die Förderung des Friesischunterrichts festgeschrieben. Dieser Schutz und die Förderung beziehen sich hier logischerweise nur auf Nordfriesland und Helgoland, wo die friesische Sprache beheimatet ist. Hier muss also in Zukunft etwas getan werden und hier wird ja auch durch die Landesregierung schon etwas getan, in dem in Wyk und in Niebüll Schwerpunktunterricht an weiterführenden Schulen eingerichtet wird.
Und von diesen Minderheitenrechten profitiert nun auch die Regionalsprache Niederdeutsch, für die ebenso der Schutz und die Förderung des Unterrichts in der Landesverfassung festgeschrieben werden. Und auch hier sind wir ja als Koalition mit der konkreten Förderung auch schon angefangen.
Noch ein Wort zur Gleichstellung als Grundprinzip. Es ist das erste Mal, dass die Gleichstellung oder Gleichbehandlung als Grundlage für die Ausrichtung eines wichtigen Bereiches der Minderheitenpolitik explizit genannt wird. Wir als SSW verbinden damit die Hoffnung, dass sich die Sichtweise, dass Mehrheit und Minderheit in allen Lebenslagen gleich behandelt werden sollten, auch auf alle anderen Bereiche des täglichen Lebens ausgeweitet wird. Hier hat nicht nur das Land, sondern auch die kommunale Ebene natürlich eine große Verantwortung. Unser Schritt im wichtigen Feld der Schulen soll auch ein Anstoß sein, dass man uns auf anderen Ebenen nachfolgt.
Wenn wir heute über die Landesverfassung debattieren, dann will ich nicht verhehlen, dass ein Bereich nach unserer Auffassung fehlt. Es fehlt ein Verfassungsartikel zum Bereich „Wirtschaft und Arbeit“. Die natürlichen Grundlagen des Lebens, die Kultur und auch die Grundrechte sind schon Teil unserer Verfassung. Aus den grundlegenden Lebensbereichen der Menschen fehlen nur noch die Wirtschaft und Arbeit, die noch nicht in der Verfassung genannt sind. Die CDU hatte einen Vorschlag in die Beratungen eingebracht, den wir als SSW unter Zustimmung der CDU ergänzt haben. Leider hat dieser Vorschlag keine entsprechende Mehrheit finden können. Der Vorschlag enthielt das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft, zu den selbständigen Betrieben, zur Arbeitskraft als persönliche Leistung und grundlegender Wirtschaftsfaktor, zur genossenschaftlichen Selbsthilfe und zur Weiterentwicklung der Daseinsvorsorge. Für uns als SSW ist die soziale Marktwirtschaft der Gegenentwurf zum radikalen Marktliberalismus und ein Bekenntnis hierzu eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Auch hätten wir es gerne gesehen, dass die menschliche Arbeitskraft als Wert an sich und als Grundlage jeden Wirtschaftens anerkannt wird. Vor dem Hintergrund der Mindestlohndebatten und der Debatten zur Tariftreue, fehlt es nämlich oft auch gerade an dieser Anerkennung der Arbeitsleistung. Auch das Genossenschaftswesen ist bei der Frage nach bezahlbarem Wohnraum unverzichtbar und die Daseinsvorsorge darf auch nicht aus Kostengründen immer wieder in Frage gestellt werden. Hier hätten wir uns ein breites politisches Signal gewünscht, aber leider ließ sich das nicht machen.
Kommen wir aber doch noch zu weiteren wichtigen Bestimmungen, die in die neue Landesverfassung aufgenommen werden sollen. Da ist zum einen die Inklusion, die nun Verfassungsrang erhält. Wichtig ist hierbei festzuhalten, dass sich Inklusion nicht nur auf den Schulbereich bezieht, sondern auf alle Lebensbereiche. Deshalb ist der Artikel zur Inklusion auch bewusst nicht in Nachbarschaft zum Schulartikel aufgeführt. Trotzdem verweise ich natürlich darauf, dass wir gerade auch im Schulbereich vorbildliches leisten, wenn nun 314 Assistenzstellen an Schulen eingerichtet werden, die genau dieses Verfassungsziel dort besser umsetzen sollen. Gleichwohl ist es dann aber mit der Inklusion nicht zu Ende, sondern wir stehen hier erst am Anfang zur Lösung einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die wir immer wieder weiterentwickeln müssen.
Die Menschen in Schleswig-Holstein bekommen wesentlich umfangreichere Beteiligungsrechte. Hier setzen wir einen Beschluss der Koalition konkret um und wir haben auch hier eine parteiübergreifende Einigkeit. So braucht es jetzt weit weniger Stimmberechtigte, um ein Volksbegehren zu initiieren und auch das Zustimmungsquorum für Volksentscheide wird markant von 25% auf 15% gesenkt. Das heißt in Zahlen, dass bei diesem Quorum nicht mehr rund 520.000, sondern nur noch 330.000 Stimmberechtigte notwendig sind. Das ist ein riesiger Schritt für mehr Bürgerbeteiligung. Die Regelungen für Verfassungsänderungen bleiben dabei gleich, obwohl der SSW auch hier einen Kompromissvorschlag eingebracht hatte. Vom Grundsatz her werden Verfassungsänderungen aber auch in Zukunft höheren Anforderungen unterlegt, weil erstens dies für das Parlament auch gilt und zweitens die Grundlagen des Staates nicht ständig Änderungen und Stimmungen unterworfen sein sollten.
Doch was nützen all diese ausgeweiteten Rechte, wenn es an der Information hapert. Wir haben deshalb in unserem Gesetzentwurf eine Bestimmung aufgenommen, die die Behörden des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände grundsätzlich verpflichtet, amtliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Im bisherigen Informationsfreiheitsgesetz ist die Freigabe von Informationen grundsätzlich nicht möglich, es sei denn, bestimmte Kriterien werden erfüllt. Durch die neue Verfassungsbestimmung würde es zu einer Beweislastumkehr zugunsten der Bürgerinnen und Bürger kommen. Das seinerzeit vom SSW initiierte Informationsfreiheitsgesetz müsste dementsprechend angepasst werden. Wir hätten also auch hier eine konkrete Verbesserung für die Bürgerinnen und Bürger.
Das gilt im Übrigen auch für die digitalen Basisdienste von Behörden und Gerichten, also das Vorhandensein von digitalen Informationen und Plattformen. Der Aufbau, die Weiterentwicklung und auch die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an digitalen Basisdiensten werden durch den Staat gewährleistet. Hier entsteht ein mehr an Beteiligungs- und Informationsmöglichkeiten. Gleichzeitig - und das war dem SSW sehr wichtig – sollen die Bürgerinnen und Bürger, die sich auf herkömmliche Weise an Behörden und Gerichte wenden, nicht benachteiligt werden.
Meine Damen und Herren, der Verfassungsentwurf aller im Landtag vertretenen Parteien beinhaltet eine Verfassung mit mehr Bürgernähe und mehr Einflussmöglichkeiten für unsere Bürgerinnen und Bürger. Er setzt Meilensteine in der Minderheitenpolitik, die nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Ländern Beachtung finden werden. Und er hat seine Grundlage in Spezifika, die es nur hier bei uns in Schleswig-Holstein gibt. Der Verfassungsentwurf ist ein ausgewogener Verfassungsentwurf, der auf breit getragenen Kompromissen beruht, für die ich allen hier im Hohen Hause danke. Der Verfassungsentwurf ist ein echtes Stück Schleswig-Holstein und damit identitätsstiftend für unser ganzes Land.