Rede · 29.09.1996 Enquetekommission Gentechnologie

Es ist gar nicht so lange her, da war die Welt noch viel einfacher und unproblematischer. Ärztinnen und Ärzte hatten die Aufgabe, Leben zu retten, und im Dialog mit Patienten Not und Schmerzen zu lindern. Landwirte haben im Dialog mit dem Boden und ihren Geräten, den bestmöglichen Ertrag gesucht. Diese Dinge standen fest. Nichts und niemand hat daran gerüttelt und konnte daran rütteln.

Das hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert. Heute können wir durch die Gentechnik menschliche Embryonen klonen. Heute können wir bei Tieren und Menschen Artengrenzen überschreiten, die in der Natur unüberwindbar sind. Wir haben heute Wahlmöglichkeiten, die der Natur versagt worden sind. Wir müssen Entscheidungen fällen, die uns bisher die Natur oder das Schicksal abgenommen haben. Selbst die Wahl, diese Möglichkeiten nicht zu wählen, müssen wir treffen.

Es gibt Menschen, die sich die „unschuldige“ Natur zurückwünschen. Aber dieser fromme Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen. Andere verschließen die Augen vor dieser unglaublich schwierigen Entscheidung, wie Kinder, die sich die Realität wegwünschen. Aber wie bei dem Sündenfall der Bibel wird es nichts nützen. Die Option ist da und sie verlangt nach einer Wahl.
Dritte begegnen dieser Herausforderung, indem sie die Augen zwar nicht verschließen, sich aber eine verengte ökonomische Sichtweise aneignen. Dieses ist ebenso kindlich. Wir können auch nicht so handeln, als hätten wir es mit kalkulierbaren Größen zu tun, wie es das Wort Risiko vorgaukelt. Es geht hier nicht um Eintrittswahrscheinlichkeiten, sondern um Gefahren, deren Konsequenzen für das komplexe Ökosystem nicht berechenbar sind.

Gentechnik geht viel weiter als alle Entscheidungen, die die Menschheit bisher treffen mußte. Sie verwischt endgültig die ursprünglich enge Beziehung von Ursache und Wirkung. Der Bauer von früher hat die Konsequenzen seines Handelns hautnah erfahren und konnte aus seinen Fehlern lernen. Diese Überschaubarkeit und Kontrolle gilt heute nicht mehr. Der Dialog ist gebrochen und die Rückmeldung geht ins Leere.

Die Wahlen, die wir in Verbindung mit der Gentechnik zu treffen haben, gehen weit über das hinaus, wovor wir bisher gestanden haben. Sie stellen uns vor ein Dilemma. Einerseits sind vorschnelle Entscheidungen in Anbetracht der Komplexität der Materie unverantwortlich. Andererseits droht der Markt jegliche politische Steuerung zu verhindern, wenn wir ihn weiter gewähren lassen.
Angesichts der einschneidenden Bedeutung der Gentechnik ist eine Steuerung der Technik notwendig. Angesichts der tiefgreifenden Operationen an der Natur und der nicht-kalkulierbaren Konsequenzen stellt sich die Frage der Ethik. Die Ethik gehört nicht zu jenen Bereichen, die durch den Markt erfaßt werden und die Zahl jener Institutionen, die sich dieser Frage annehmen, ist rar. Die Kirche hat schon im Jahre 1277 bei einem Streit an der Pariser Universität ihr Gottesbild von der Natur getrennt - und sich so weitgehend aus der Verantwortung gezogen. Die Forscher selbst ziehen sich - auch schon seit 500 Jahren - in die vermeintliche Unschuld der objektiven Naturwissenschaften zurück. Ihrem Selbstver-ständnis nach sind sie eben nur da, um grundlegende Informationen zu beschaffen. Das Normative bleibt Sache der Gesellschaft.

In einer solchen Situation ist es an der Politik, Fragen zu stellen und Entscheidungen zu fällen - eine Pflicht, um die keiner sie beneidet. Manchmal mutet es wie ein Kampf gegen Windmühlen an, denn der Markt dominiert, und er wünscht keine politisch-ethische Steuerung einer so kapitalträchtigen Technologie. Aber die Wahlen müssen getroffen werden, und es erscheint völlig vermessen - ja nahezu wahnsinnig - so folgenschwere Entscheidungen allein der Logik des Geldes zu überlassen.

Um die für diese Wahlen notwendige Wissensbasis zu schaffen, sollen wir heute eine Enquetekommission einrichten. Auch wenn die Bewegungsfreiheit des Landes in Punkto Gentechnik wesentlich eingeengt ist, so bleiben dem Land doch kleinere Gestaltungsspielräume. Die Ergebnisse einer Kommissionsarbeit können auch jenen Bürgerinnen und Bürgern helfen, die vor die Entscheidung gestellt werden, Gentechnik zu nutzen oder nicht. Zum Beispiel müssen in der medizinischen Forschung Patientinnen und Patienten nach den Helsinki-Deklarationen selbst entscheiden, ob sie an gentechnischen Versuchen teilnehmen wollen.
Voraussetzung für eine solche breite Verwendbarkeit der Kommissionsegebnisse ist allerdings, daß ein diffenzierter Bericht vorgelegt wird, der nicht durch simple Schwarz-Weiß-Schemen und vorschnelle Urteile als Entscheidungsgrundlage unbrauchbar gemacht wird. Die letzten Wahlen über die Verwendung von Gentechnik in Schleswig-Holstein muß dem Landtag vorbehalten werden. Deshalb stimmt es mich etwas bedenklich, daß eine parlamentarische Kommission mit Proporzbesetzung dieses sensibles Thema angehen soll. Die Erfahrung hat gezeigt, daß in solchen Besetzungen die Suche nach objektiver Realität schnell mit Parteitaktik verquickt wird. Es steht zu befürchten, daß am Ende der Kommis-sionsarbeit ein Gentechnik-Bericht steht, der nur die bereits vorhandenen Parteien-meinungen widerspiegelt. Wenn er am Ende nur die Machtverhältnisse des Landtages widergibt, dann war der Aufwand umsonst. Es bleibt also der Appell an die Kommissionsmitglieder, möglichst unvoreingenommen an die Arbeit zu gehen, damit wir am Ende eine vielseitig verwertbare Dokumentation über Ethik in der Gentechnik haben.

Wie sie sicher schon festgestellt haben, hat der SSW einen Änderungsantrag gestellt. Wir würden ebenfalls gern an der Kommissionsarbeit teilnehmen, um die Grundlage für so wichtige Entscheidungen zu haben.

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