Rede · 12.03.1997 Familienbericht - Familien in Schleswig-Holstein
Es gibt mehr als reichlich zu tun in der Familienpolitik: Erziehungsurlaub für Väter, Teilzeitarbeit für Männer, rechtliche Absicherung nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften, Sorgerecht für Unverheira-tete, verbesserte steuerrechtliche Regelungen für Partnerschaften, Kinderarmut, gerechterer Famili-enlastenausgleich, volle Berücksichtigung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung, Kinder-betreuungsurlaub für Eltern, verbesserte Ausbildungsförderung, verbesserte Gesundheitsförderung...
Aber alle diese Dinge haben ein großes Manko: Ihre Veränderung liegt nicht unmittelbar in unserem Zuständigkeitsbereich. Sie sind vorrangig Angelegenheiten des Bundesgesetzgebers.
Trotzdem ist die CDU-Initiative sinnvoll. Es ist an der Zeit, daß sich der Landtag wieder damit beschäftigt, was er tun kann. Defizite sind in unserem Kompetenzbereich allemal noch vorhanden.
Worüber ich mich gewundert habe, ist, daß der CDU-Antrag einen Bereich ausläßt, in dem es familienspezifische Probleme gibt, und in dem das Land relativ viel Gewicht hat. Ich möchte daher anregen, daß in dem Antrag noch der Punkt Wohnsituation der Familien aufgenommen wird. Es gibt noch gewaltige Defizite in Bezug auf die Wohnraumversorgung, die offensichtlich abhängig sind von Kinderzahl, familiären Einkommensverhältnissen und dem Alter der Eltern. Außerdem besteht - und das hat die CDU wiederum in ihrem Antrag berücksichtigt - ein enormer Nachholbedarf in bezug auf die Berücksichtigung von Kinderinteressen im Wohnungsbau. Gerade in diesem Zusammenhang erscheint es mir vielversprechend, daß unsere Wohnungsbauministerin, Frau Birk, den Kontakt nach Skandinavien sucht. Dort haben die Familien nämlich eine wesentlich bessere Wohnsituation. Es wäre schön, wenn wir dort Inspiration für unser Land finden könnten. Außerdem lohnt sich sicher ein Blick nach Schweden, wo man gesetzliche Baustandards für Mehrfamilienhäuser hat, die explizit zur Berücksichtigung von Kindern zwingt. Aber jetzt spreche ich eigentlich schon wieder von Bundeskompetenzen...
Wenn der Bericht vorliegt, bleibt uns hoffentlich mehr Zeit, auf die Probleme hierzulande einzugehen. Bis dahin sollten wir auch über die Anregung der Wohlfahrtsverbände nachdenken, ein explizites Leitbild für die Familienpolitik des Landes zu definieren.
Das vorrangige Ziel der Familienpolitik in Schleswig-Holstein kann aber nur die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sein. Wenn wir als Ziel wirklich eine symmetrische Familie haben, in der im Idealfall zwei Partner sich gleichberechtigt um Beruf und Familie kümmern, dann muß als erstes die gigantische Lücke im Kinderbetreuungsbereich geschlossen werden. Dann reicht es noch lange nicht aus, wenn demnächst alle 3- bis 6jährigen ein paar Stunden am Tag in einer Betreuungseinrichtung unterkommen können. Ohne eine noch größere Kraftanstrengung in diesem Bereich (und die Landesregierung hat durchaus etwas getan), kommen wir an dem grundlegenden Problem nicht vorbei, daß viele junge Menschen heute lieber keine oder wenige Kinder bekommen. Angesichts der Tatsache, daß das durchschnittliche Lebenseinkommen von Müttern in Deutschland im Vergleich zu kinderlosen Frauen sich beim ersten Kind um ein Drittel, beim zweiten Kind um die Hälfte und beim dritten Kind schon um 2/3 reduziert, darf es nicht verwundern, wenn viele junge Frauen heute schwer in Konflikt mit sich selbst geraten. Zum Vergleich: In Frankreich bedeutet ein Kind einen halben Prozent weniger, zwei Kinder 1 Prozent und drei Kinder 38 %. Deutschland bildet mit England die absolute europäische Spitze, wenn es um den Einkommensverzicht von Müttern geht. Bevor wir das nicht geändert haben, sollten wir uns alle Sonntagsreden über die Bedeutung der Familie verkneifen.