Rede · 06.10.2010 Gesetzentwürfe zur Änderung des Schulgesetzes sowie Anträge zur Schulpolitik
Für Neuwagen gilt grundsätzlich, dass die ersten drei Jahre „TÜV-frei“ sind. Erst danach greift das normale Verfahren, um die Fahrtüchtigkeit des Wagens zu erhalten. Es ist daher nur logisch und richtig, dass das Schulgesetz drei Jahre nach seiner Verabschiedung in 2007 einmal durchgecheckt wird. - Dass Unklarheiten beseitigt und Formulierungen den geänderten Rahmenbedingungen angepasst werden. So weit, so gut, könnte man meinen.
Mit der vorliegenden Schulgesetz-Novelle geht es aber nicht darum, einen Ölwechsel vorzunehmen. Mit ihrem Entwurf für ein neues Schulgesetz streut die Landesregierung ganz einfach so viel Sand ins Getriebe unserer Schulpolitik, dass nichts mehr läuft. Kein Wunder also, dass der Gesetzentwurf von Anfang an im Hagel der Kritik stand. „Unsere Schulen brauchen jetzt produktive Ruhe“, sagte der Ministerpräsident am 21.9.2009 in den Kieler Nachrichten. Die „produktive Ruhe“, die auch den Gemeinschaftsschulen zugesprochen war, bedeutet aber de facto deren Begräbnis erster Klasse. Für den SSW sage ich daher klar und deutlich: Die geplante Schwächung der Gemeinschaftsschule - die sich seit 2007 landesweit als Erfolgsmodell bewiesen hat - ist eine bittere Pille, die wir nicht bereit sind zu schlucken.
- Dabei geht es erstens um die §§ 42 und 43 des neuen Schulgesetzes, weil sich die Landesregierung dort von den Vorstellungen eines binnendifferenzierten Lernens verabschiedet. Begründet wird dieses Vorgehen damit, dass Regional- und Gemeinschaftsschulen angeglichen werden sollen, um sie irgendwann zusammenzulegen. Aus Sicht des SSW wird hier aber vielmehr das dreigliedrige Schulsystem durch die Hintertür wieder eingeführt.
- Zweitens dürfen nach § 43 die Gemeinschaftsschulen nur noch Oberstufen einrichten, wenn ein „öffentliches Bedürfnis“ festgestellt werden kann. Damit wird es den Schulen so gut wie unmöglich gemacht, eine gymnasiale Oberstufe einzurichten. Insbesondere in ländlichen Regionen werden damit ganze Zukunftsplanungen zunichte gemacht. Hier hat man mit viel Mühe die Gemeinschaftsschulen aufgebaut, um jetzt feststellen zu dürfen, dass die Landesregierung diese Schulart hintenrum wieder abschaffen will.
- Und drittens schafft die Einführung des Y-Modells in § 44 - also das beliebige Angebot von G8 oder G9 an den Gymnasien - eine unnötige Konkurrenz zwischen Gemeinschaftsschulen und Gymnasien. Auf die Kritik der Eltern an G8 hat der Bildungsminister jetzt auch G9 an den Gymnasien zugelassen. Damit wird aber das Problem von G8 - nämlich die Überlastung der Kinder - nicht gelöst. Eigentlich müssten nämlich die Lehrpläne dringend überarbeitet werden und nicht die Schulstruktur der Beliebigkeit überlassen werden. Hier sind die Eltern und die Kinder die großen Verlierer, weil sich ihr G8-Schulalltag nicht verbessern wird.
Die Schulpolitik der schwarz-gelben Landesregierung ist eindeutig rückwärtsgewandt. Sie ist geprägt von Beliebigkeit, weil nicht mehr klar ist, warum die Schulen eigentlich G8 oder G9 anbieten und welche Unterrichtsform sie bevorzugen. Insgesamt macht dieser Gesetzentwurf die Orientierung an einer ständischen Gesellschaft deutlich, in der für eine frühzeitige Selektierung der Kinder gesorgt wird. Für eine zukunftsweisende Bildungspolitik ist aber wichtig, dass alle Kinder die Chancen erhalten, die sie verdient haben, um sich zu entwickeln. Es geht um Chancengleichheit und Gleichbehandlung - was das heißt, scheint die Landesregierung vergessen zu haben.
Deutlich wird dies neben der Schwächung der Gemeinschaftsschulen auch in der Streichung der Schülerbeförderungskosten. 6,5 Mio. Euro will das Land hier einsparen, und die Kosten auf die Kreise und die Eltern abwälzen. Schon 2007 gab es diesen Vorstoß, und damals waren die Proteste so laut, dass der Vorschlag zurück genommen wurde. Die Verantwortung, ob alle Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft die Bildung erhalten, die sie wollen, hängt also in Zukunft von den Kreisen und Gemeinden und deren Einführung von Sozialstaffeln ab. Schon jetzt ist allerdings absehbar, dass mehr denn je das Portmonee der Eltern darüber entscheiden wird, ob Kinder den langen Schulweg zu den höheren Schulen antreten oder nicht.
Chancengleichheit gibt es auch nicht bei den Kindern der dänischen Minderheit. Die Kürzungen von 4,7 Mio. Euro und der Wegfall der Schülerbeförderungskosten sind schwerwiegende Einschnitte, die nicht aufgefangen werden können, sondern Schulschließungen mit sich führen werden. Es ist daher unerträglich ist, dass die Landesregierung - anders als in Stellungnahmen von 2006 - heute nicht mehr dazu steht, dass die dänischen Schulen für die Minderheit alternativlos sind und daher mit den öffentlichen Schulen in der Finanzierung verglichen werden müssen. Tut man dies nicht, missachtet man nicht nur einen Teil der Bevölkerung, die in diesem Land lebt und Steuern zahlt, man missachtet auch die minderheitenpolitischen Grundsätze, die dieses Land bisher in Sachen Minderheitenpolitik zu einem Vorreiter gemacht haben. Für den SSW möchte ich daher ganz klar sagen, dass die Proteste und Kundgebungen in den letzten Wochen und nicht zuletzt die 50.000 gesammelten Unterschriften gegen die geplanten Kürzungen bei der dänischen Minderheit deutlich gemacht haben, dass alle Kinder unseres Landes gleich viel wert sind.
Die Schulen der dänischen Minderheit sind rechtlich gesehen als Privatschulen organisiert. Dass dies so ist, ist historisch begründet. Inhaltlich gesehen sind sie es nicht. Ein Blick auf die Schullandschaft in Schleswig-Holstein genügt aber, um zu verstehen, wie wichtig auch die freien Schulen für die Weiterentwicklung des schulischen Angebots sind. Daher unterstützen wir auch den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zur besseren finanziellen Ausstattung der freien Schulen.
Die vorliegende Schulgesetznovellierung kritisiert der SSW vor allem, weil wir plötzlich an einem Punkt angekommen sind, der eigentlich schon überwunden schien. Es gibt aktuelle Probleme, auf die reagiert werden muss - z.B. dürfen die Gemeinschaftsschulen nach § 24 jetzt zuständige Schule sein. Obwohl dieser Vorschlag erst einmal positiv wirkt, weil die Bedeutung der Gemeinschaftsschule als „Regelschule“ anerkannt wird, führt auch diese Änderung durch die Abschulung der Gymnasien zu einer weiteren Selektierung der Kinder. Auch muss die Berechnung des Schullastenausgleichs aufgrund der schwierigen Datenermittlung und der nicht ausreichenden Finanzierung neu geregelt werden. Dieser Vorschlag birgt mit der Spitzabrechnung einige Tücken für die Schulträger und die Gemeinden. Hier ist noch nicht klar, in wie weit weitere Konkurrenz geschürt und Verwaltungskosten einfach vom Land auf die kommunale Ebene verlagert werden.
Der vorliegende Schulgesetzentwurf ist so konfliktträchtig wie ein Minenfeld. Dabei gilt gerade für die CDU, dass sie in Sachen Schulpolitik schon einmal weiter war. Für die FDP gilt, was der Bildungsforscher Prof. Klaus Klemm zur Fachtagung „Bildung im ländlichen Raum“ im April sagte: „Die FDP ist schulpolitisch bundesweit die rückständigste Partei.“ Vor diesem Hintergrund diskutieren wir heute eine Schulgesetznovellierung, die der Arbeit und dem Alltag an den Schulen hinterher hinkt und ihm auch nicht gerecht wird. Zwar möchte die schwarz-gelbe Landesregierung mit ihrer Gesetzesnovelle für Schulfrieden und eine Weiterentwicklung an den Schulen in Eigenverantwortung sorgen. Schöne Worte, die den Test mit der Wirklichkeit aber in keinster Weise standhalten können. Denn Fakt ist, dass der Gesetzentwurf für eine unnötige Konkurrenz zwischen den Schulen und für eine strukturelle sowie pädagogische Beliebigkeit sorgt - Verlässlichkeit in der Schulpolitik sieht anders aus! Und das ist aus Sicht des SSW der eigentliche Skandal: die Schulreform 2007 war keine Reform aus einem Guss. Sie war aber ein Anfang und sie wurde mit der großen Mehrheit der Großen Koalition beschlossen. Und wäre die CDU nach der Landtagswahl im letzten Jahr nicht vor der FDP eingeknickt, bestünde die Möglichkeit einer behutsamen Weiterentwicklung. Wir hätten den Schulfrieden gehabt, der nun von allen Seiten eingefordert wird!
Die Landesregierung weiß sehr wohl, dass sie mit einer Stimme die Mehrheit im Landtag hat. Sie hat in den vergangenen Monaten gezeigt, dass sie nicht an breiten politischen Lösungen interessiert ist, sie wird also das Schulgesetz im Alleingang durchziehen. Fest steht aber auch, dass Schleswig-Holstein damit ein Schulgesetz mit stark begrenzter Haltbarkeit bekommt. Das darf nicht sein. Ein Neuanfang ist geboten; wenn dies in Form eines Runden Tisches geschehen kann, dann sind wir dabei.