Rede · 30.09.2022 Im Land zwischen den Meeren muss jedes Kind schwimmen lernen

„Wenn es um die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler geht, dann sind zwei Faktoren besonders gesundheitsschädlich: Stress und Armut.“

Jette Waldinger-Thiering TOP 7 - Verbindlichen Schwimmunterricht in der Schule sicherstellen (Drs. 20/129)

„Schwimmunterricht an Grundschulen in Schleswig-Holstein I & II“, „Flächendeckende Schwimmausbildung sicherstellen“, „Schwimmausbildung in Schleswig-Holstein fördern“, „Zugang zu Schwimmunterricht in Schleswig-Holstein stärken“, „Schwimmen auch in Corona-Zeiten“, „Jedes Kind muss schwimmen können“ oder „Schnellstmöglich mit der Schwimmausbildung beginnen“. 

Dies sind nur einige der Berichte, Kleinen Anfragen, Anträge und Alternativ-Anträge, die wir in der letzten Legislatur neben entsprechender Haushaltsanträge zum Thema „Schwimmen“ diskutiert haben. 
Wir haben beratschlagt, wie wir die Träger der Schwimmbäder am besten unterstützen können, wie wir qualifizierte Schwimmlehrer:innen gewinnen, die Wasserrettung vor Ort sicherstellen, den Bustransport aus den Schulen organisieren, Schwimmbäder sanieren, und und und.  
Dabei hat jede Fraktion oder eben Koalition ihre eigenen Initiativen eingebracht und wir haben eigentlich bewiesen, dass in dieser Frage nun wirklich fraktionsübergreifend große Einigkeit besteht. 

Klar ist: die Kinder in Schleswig-Holstein müssen dringend schwimmen lernen. 
Klar ist auch: das klappt nicht so, wie es sollte. 

Wir hatten ohnehin schon lange Wartelisten für Schwimmkurse und müssen nun mit den Lücken umgehen, die uns Corona durch Zwangspausen in Schulen und Schwimmbädern beschert hat. Wir hatten im Laufe der Pandemie nach Schätzungen der DLRG über 30.000 Kinder in Schleswig-Holstein, die nicht schwimmen lernen konnten. 

Und jetzt ist der Betrieb in den Schwimmbädern durch die unsichere Gasversorgung gefährdet. 
DLRG und Bäderallianz verschicken bereits offene Briefe und fordern dazu auf, die Schwimmbäder aufgrund ihrer Energieverbrauche nicht per se zu schließen. 
Den kommenden Herbst und Winter im Blick habend, finde ich die Ausgestaltung des ersten Schwimm-Antrags dieser Saison daher etwas merkwürdig. 
Schwimmunterricht ist bereits jetzt fester Bestandteil des Sportunterrichts an den Grundschulen und im Lehrplan Sport festgeschrieben. Mehr „verpflichtende Umsetzung“ geht ja nun mal nicht. 
Ich zweifele außerdem noch an der Sinnhaftigkeit, die Schwimmfähigkeit im Übergangszeugnis zur weiterführenden Schule zu vermerken. Als eine Art Kästchen „hat Schwimmunterricht erhalten“ möglicherweise, als Note jedoch nicht. Schwimmen bleibt für uns Teil des Sportunterrichts. 

Schwimmen als lebensrettende Fähigkeit, ja! Schwimmen im Rahmen der Gesundheitsförderung, ja! Aber Schwimmen als Maßnahme gegen „Übergewicht“, einfach nein! 

Das sogenannte Übergewicht referiert ja immer auf den Body Mass Index, den BMI. Es lohnt sich, sich einmal mit der Geschichte des BMI auseinander zu setzen. Unsere heutige Wahrnehmung von Übergewicht lässt sich auf eine Konferenz der Weltgesundheitsorganisation von 1997 zurückführen. Hier schuf die WHO eine weltweit einheitliche Definition für Gewichtskategorien und berief sich dabei auf den BMI. Untergewicht, Normalgewicht, Übergewicht und Adipositas wurden festgeschrieben und als allgemeingültig erklärt. 
Allerdings stammt der BMI nicht aus der Medizinforschung, sondern ist eine Erfindung des Sozialstatistikers Adolphe Quetelet, der Ende des 19. Jahrhunderts den „Durchschnittsmenschen“ berechnen wollte und dabei auf unzureichende statistische Daten zurückgriff und des Versicherungsangestellten Louis Dublin, der innerhalb der hauseigenen Versicherten, in den 1940ern auf der Suche nach dem „idealen Versicherungsnehmer“ war.  Beide Berechnungen ignorierten ganze Bevölkerungsschichten. Seit Jahrzehnten wird der BMI stark kritisiert, weil es sich schlicht nicht eignet, das Gewicht von Einzelpersonen zu beurteilen. Der BMI interessiert sich weder für den individuellen Körperbau, noch Muskel- oder Fettmasse, Alter, Geschlecht oder soziale Stellung. 

Ich bin absolut für gesunde Ernährung. Nicht umsonst war mir eine warme Mahlzeit für alle in den Schulen immer besonders wichtig. Ich finde, man sollte Kinder schon so früh wie möglich dazu befähigen, frisches und vollwertiges Essen zuzubereiten. 

Aber wenn es um die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler geht, dann sind zwei Faktoren besonders gesundheitsschädlich: Stress und Armut. Zu den Folgeerscheinungen von Stress gehören Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck und hohe Cholesterinwerte. 
Armut sorgt für eine geringere Lebenserwartung. Geringere Bildung, niedriges Einkommen und Berufsstatus führen zu einem zwei- bis dreifach erhöhten Risiko, an Diabetes oder Krebs zu erkranken, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bekommen. 
Ich freue mich also auf Anträge, die Armut und Stress bekämpfen sollen. 

Denn ganz ehrlich, das letzte, was Kinder gerade brauchen sind irgendwelche Politiker:innen, die sich nach zweieinhalb Jahren Pandemie öffentlich darüber auslassen, dass sie zu dick geworden seien. 

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