Rede · 23.03.2023 Kinderarmut beenden!

„Wir müssen endlich handeln, statt nur wieder weitere Daten zu sammeln“

Christian Dirschauer zu TOP 20+45 - Kinderarmut beenden – gesellschaftliche und soziale Teilhabe von Kindern und jungen Menschen gewährleisten und kontinuierliche Weiterentwicklung der Sozial- und Armutsberichterstattung (Drs. 20/781(neu) und 20/833)

Wir haben es in unserem Antrag ganz nach vorn gestellt: Rund 100.000 Kinder und Jugendliche sind arm oder armutsgefährdet. Und zwar nicht etwa bundesweit, sondern allein bei uns in Schleswig-Holstein. Das ist eine unfassbar hohe Zahl und aus meiner Sicht einfach nur beschämend. Es mag nach Floskel klingen, aber wir müssen uns bewusst machen, dass wir hier nicht über irgendeine abstrakte Größe reden. Wir reden über eine riesige Gruppe junger Menschen, die in ihren Entwicklungs- und Lebenschancen beeinträchtigt sind. Wir reden über 100.000 Kinder und Jugendliche, die nicht nur mit Blick auf ihren Bildungsweg, sondern auch auf ihre gesellschaftliche Teilhabe und ihre körperliche und geistige Entwicklung benachteiligt sind. Noch dazu hat ein Aufwachsen in Armut oft lebenslange Folgen. Denn wer als junger Mensch in Armut aufwächst, leidet nicht nur täglich unter Mangel, Verzicht und Scham, sondern hat zugleich eben auch deutlich schlechtere Zukunftschancen.

Ich will hier niemandem absprechen, dass sie oder ihn das Thema Kinderarmut nicht bewegt. Entsprechende Äußerungen von Politikerinnen und Politikern finden sich jedenfalls zur Genüge. Und Bekenntnisse für den Kampf gegen Kinderarmut finden sich in den Programmen fast aller Parteien. Rein theoretisch teilen also fast alle die Einschätzung, dass es Kinderarmut in einem so reichen Land wie Deutschland eigentlich gar nicht geben dürfte. Und rein theoretisch sehen längst nicht nur Parteien links der Mitte die Notwendigkeit, dass der Staat Verantwortung für diese Kinder übernimmt und eine stärkere finanzielle Unterstützung für arme oder von Armut bedrohte Familien organisiert. 

Auf der theoretischen oder der Verlautbarungsebene sind wir uns also sehr schnell einig: Kein Kind sucht es sich aus, in arme Verhältnisse geboren zu werden. Kein Kind möchte freiwillig ausgegrenzt werden oder in den Tag starten, ohne zu wissen, ob es etwas Warmes zu essen gibt. Alle haben vielmehr ein Recht auf gesundes Aufwachsen und auf ein gutes Leben. Aber wenn wir ehrlich sind, dann ist daraus doch rein praktisch bis heute erschreckend wenig gefolgt. Gerade von Seiten der Politik ist viel zu wenig passiert. Statt Tempo zu machen, wirkt das, was bisher aus Berlin aber auch hier aus Kiel im Kampf gegen Kinderarmut kommt, mutlos und zögerlich. Dabei ist längst klar, welches Ausmaß und welche Auswirkungen Armut hat. Und es ist als bitterer Fakt bekannt, dass die Zahl der Betroffenen Kinder und Familien sogar noch weiter zu- statt abnimmt.

Aus Sicht des SSW steht fest, dass wir endlich handeln müssen. Alle staatlichen Ebenen sind dringend aufgefordert, ihren Einsatz gegen Kinderarmut deutlich zu erhöhen. Es reicht nicht, das Thema nur theoretisch zu bewegen und zum Beispiel Umfang, Ausprägungen oder Ursachen von Armut zu erforschen. Wir wissen doch um das Problem. Und wir haben valide Zahlen. Durch das Sammeln weiterer Daten oder durch neue Statistiken ist niemandem, der Arm ist, geholfen. Daher greift auch der Antrag der Koalition zu diesem Thema zu kurz. Wir brauchen konkrete Maßnahmen und neue Lösungen. Und gerade, weil der Weg aus der Armut schwierig ist und Kinder aus armen Familien oft arm bleiben, brauchen wir eine substanzielle, niedrigschwellige und verlässliche Unterstützung für die Betroffenen. 

Wenn wirklich alle Kinder gleiche Chancen auf Bildung und Gesundheit haben sollen, müssen wir auch ihre materiellen Lebensbedingungen verbessern. Dafür reicht es nicht, an kleinen Stellschrauben zu drehen. Wir brauchen eine einfach handhabbare und sozial gerechte Kindergrundsicherung. Ziel muss sein, dass kein Haushalt weniger hat, aber arme oder armutsgefährdete Haushalte deutlich bessergestellt werden als bisher. Das wird einige Milliarden Euro jährlich kosten und tut dem Bundesfinanzminister offenkundig weh. Aber hierzu gibt es doch keine Alternative. Die Tatsache, dass manche in Berlin den Bedarf kleinrechnen, ist in meinen Augen wirklich nur noch peinlich. Neben einer Kindergrundsicherung, die so ausgestaltet sein muss, dass sie auch wirklich etwas bewirkt, müssen aber auch wir als Land mehr tun. Und zwar nicht nur bei der wichtigen Frage der Bildungskosten, sondern auch bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen in den Bereichen Gesundheit, Mobilität, Freizeit und soziale Teilhabe. 

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