Rede · 20.02.1997 Kommunalwahlrecht ab 16 (2. Lesung)
Ich möchte mich heute nicht noch einmal mit den Argumenten auseinandersetzen, die gegen das kommunale Wahlrecht für 16jährige vorgetragen worden sind. Das habe ich bereits in der ersten Lesung getan, und seit dem sind keine neuen und mehr überzeugende Gegenargumente eingeführt worden. Der einzige Einwand, den man gegen die Wahlrechtsänderung einbringen könnte, ist nicht, daß es zu weit führt, sondern daß sie nicht weit genug geht.
Ich habe bereits in der August-Tagung erwähnt, daß Wahlrecht nur dann sinnvoll ist, wenn es von weiteren Mitbestimmungs- und Beteiligungsmöglichkeiten flankiert wird; daß es ein Windei bleibt, wenn wir nur sagen: jetzt dürft ihr uns wählen. Die Reaktion der Mehrheitsfraktionen auf den SSW-Antrag im Januar hat mich überzeugt, daß die Abgeordneten von SPD und Bündnis90/DieGrünen zu weiteren Schritten durchaus bereit sind. Damit ist eine der Grundvoraussetzungen für meine Zustimmung zur Wahlrechtsänderung gegeben.
Im August habe ich übrigens für meine Bemerkungen regen Beifall von der rechten Seite des Hauses empfangen. Auch Frau Röper hob hervor: Junge Leute wollen nicht neue anonyme Rechte, sondern sie wollen ganz konkrete Mitwirkungsmöglichkeiten bei den Entscheidungen, die ihr Lebensumfeld betreffen. Bei der Januar-Tagung, als es dann um Mitbestimmung im Alltag ging, hat dann die selbe Seite des Hauses gezeigt, daß sie doch keine weitere Teihabe will. Jene, die von davon sprechen, daß der SSW rot-grünen Spinnereien und Spielwiesen unterstützt, wollen offensichtlich Kinder und Jugendliche in den Sandkasten verbannen, um selbst zu entscheiden, was für diese am besten ist. Jedenfalls ist mir bis jetzt nicht klar geworden, welche Alternativen CDU und F.D.P. anbieten.
Ein ganz gewichtiges Argument, daß in der Anhörung nochmals deutlich herausgestellt wurde, ist der demographische Aspekt, der für eine Wahlrechtsänderung spricht. Bekanntlich verschiebt sich die Bevölkerungsstruktur gerade erheblich. In den nächsten Jahren wird die Zahl der Jugendlichen zugunsten der Senioren an Gewicht verlieren. Wir müssen uns eingestehen, daß Parteien in erster Linie auf Wählermehrheiten gucken. Eine logische Folge dessen ist, daß im Jugendbereich dringender Handlungsbedarf besteht; daß das Gewicht der Jugendlichen heute aufgewertet werden muß, damit sie auch morgen noch mit ihren Anliegen gehör finden.
Allgemein würde uns die selbstkritische Reflektion unserer eigenen Rolle gut zu Gesicht stehen. Einer der Ausgangspunkte für die Diskussion um die Senkung des Wahlalters ist ja gerade die alarmierend geringe Akzeptanz der herkömmlichen Rolle der Politikerinnen und Politiker. Vor allem die Bedeutung der Parteien in unserer Demokratie verlangt nach einer Auseinandersetzung, der sich bisher die wenigsten Politiker gestellt haben. Parteien sollen Instrumente sein, organisatorische Einheiten, die den Ablauf der parlamentarischen Demokratie strukturieren. Dementsprechend sollen Politikerinnen und Politiker moderierend tätig sein und die Meinungen kanalisieren. In der Praxis haben Parteien und ihre Politiker aber eine Eigendynamik entwickelt, bei der nicht mehr die Demokratie sondern sie selbst im Zentrum stehen. Während die Parteien hauptsächlich an Wahlen denken, rückt ihre Ursprungsaufgabe der Mitwirkung an der Willensbildung immer mehr in den Hintergrund. Mittlerweile beansprucht sogar die BILD-Zeitung für sich, diese Aufgabe übernommen zu haben. Bild Dir Deine Meinung, das müßte von den Parteien kommen.
Ich möchte mit dieser Kritik auf keinen Fall jene unterstützen, die meinen, Politiker wären nur Abzocker. - Ein Bild übrigens, das von eben jenem selbsternannten Organ der Meinungsbildung gefördert wird. - Dem widerspreche ich vehement. Es wird aber Zeit, daß wir die Nachkriegsdemokratie renovieren und verlorenes Vertrauen wiedergewinnen. Ich möchte mich da selbst gar nicht ausnehmen. Auch der SSW wird seine Schulaufgaben machen müssen, wenn er in den kommenden Jahrzehnten für jüngere Leute attraktiv sein will.
Und gerade hier sehe ich eine wichtige Funktion des Wahlrechtes für Jugendliche. Es zwingt uns, uns mit ihren Vorstellungen von Politik und Demokratie auseinanderzusetzen. Und es verschafft uns vielleicht ein bißchen mehr Gehör bei jungen Menschen, damit auch wir unsere Vorstellungen von einem demokratischen Zusammenleben an die Frau und den Mann bringen können.
Bei den Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis90/Grüne ist im Verlauf der Diskussion durchgeschienen, daß auch sie die Problematik sehen. Leider haben CDU und F.D.P. bisher nicht erkennen lassen, daß sie das drohende Legitimationsproblem der Politik irgendwie wahrnehmen. Anders kann ich es mir nicht erklären, daß sie die geringe Wahlbeteiligung der 18-bis 25jährigen immer wieder als Argument gegen die Herabsetzung des Wahlalters anführten. Diese niedrige Wahlbeteiligung sollte doch eigentlich zum nachdenken anregen. Sie sollte ein Herausforderung sein.
Die Antwort von CDU und F.D.P. ist lediglich eine Kapitulation. Natürlich könnte auch ich mir viel mehr Politik für Jugendliche wünschen. Das habe ich ja auch schon bei den Haushaltsberatungen deutlich gemacht. Aber sich wie die CDU in der ersten Lesung hier hinzustellen, und zu sagen, wir wollen lieber mehr Geld für Jugendpolitik und Lehrstellen statt einem symbolischen Wahlrecht, das ist nun wirklich heuchlerisch. Sie wissen genau, daß sie keine andere Haushaltslage vorfinden würden, wenn sie hier die Mehrheit hätten. Dafür sorgen schon allein ihre Freunde in Bonn.
Wenn die übrige Opposition hier im Hause wenigstens andere Wege aufgezeigt hätte, wenn sie sich konstruktiv mit dem Thema Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auseinandergesetzt hätte, dann hätten wir vielleicht noch eine wirkliche Diskussion um dringende Probleme gehabt. Sie hat er aber vorgezogen, eine Spielwiese aus der Diskussion zu machen. Eine Debatte, deren hochnotpeinliche Polemik zur Politikerverdrossenheit beitragen könnte, wenn diese Debatte wirklich an jugendliche Ohren dringen würde.
Abschließend möchte ich nochmals wiederholen, was ich in der ersten Lesung gesagt habe: Jugendliche brauchen nicht Parteien, um persönlich glücklich zu werden, aber die Parteien brauchen die Jugendlichen. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen intensiv darüber nachzudenken. Wenn wir hier nicht bald wirklich weiterkommen, dann setzen wir alles auf´s Spiel, was politisch in den letzten 50 Jahren aufgebaut worden ist. Für uns alle gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben - sei es nun mit einer apathischen Jugend oder einer undemokratischen.