Pressemitteilung · 12.03.2014 Lars Harms zur Ausstellungseröffnung: "Ströntistel en Dünemruusen" Das Leben des friesischen Dichters Jens Emil Mungard
12. März 2014
„Ouerseeten önj e tjüsche spräke as ferbin!“ Dåt as wälj dåt mååst brükd sitaat, wan huum am Jens Mungard snååket. Än oofting wårt dåtdeer sitaat aw äädergrün foon Jens Mungards erfååringe önjt konsäntratsjoonslooger nåmd unti önjt manst deerma önj ferbining broocht. Ouers di äädergrün as was briidjer as huum dåt aw e jarste schuchte schucht. Jüdeer hüüljing klångt jarst iinjsen bili radikaal, ouers flicht hiirt dåt je uk tu e tid. Deerfor hiire jam diling foon me uk ai åltufoole am e laawensluup foon Jens Mungard, ouers mör deerfoon, wat et friisk önj jüdeer tid bedjüset heet än hüdänji struuminge, wat uk Jens Mungard tuschraawen wårde, dåt friisk årbe bit diling prääged hääwe.
„Übersetzen in die deutsche Sprache ist verboten!“ Das ist wohl das meist gebrauchte Zitat, wenn man über Jens Mungard spricht. Und oft wird dieses Zitat in Zusammenhang mit Jens Mungards Erfahrungen im Konzentrationslager gebraucht oder zumindest damit in Verbindung gebracht. Aber der Hintergrund ist wohl breiter, als man es auf dem ersten Blick sieht. Diese Haltung wirkt erst einmal sehr radikal, aber vielleicht gehört das ja auch in die Zeit. Deshalb hören Sie heute von mir nicht sehr viel zum Lebenslauf von Jens Mungard, sondern mehr davon, was das Friesische in dieser Zeit bedeutet hat und wie Strömungen, die auch Jens Mungard zugeschrieben werden, die friesische Arbeit bis heute geprägt haben.
Um zu verstehen, was Menschen wie Jens Mungard und auch sein Vater Nann Mungard geprägt haben, muss man sich ein wenig in der Zeit zurückversetzen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts blühten die nationalen Bewegungen auf. Hier im heutigen Grenzland entwickelte sich ein nationaler Gegensatz zwischen Deutsch und Dänisch, der so nie zuvor von den einfachen Menschen so wahrgenommen wurde. Für kleine Minderheiten ohne Staat, war in solchen epochalen Entwicklungen kein Platz. Nur „große“ Völker konnten sich emanzipieren und strebten nach einem eigenen Staat. Erst später, nach diesen Staatsbildungen, emanzipierten sich auch kleinere Völker.
Genau dieser Zeitraum prägte das Leben und die Weltsicht von Jens Mungard und seinem Vater. Das Friesische hatte im gesamten nahen und auch ferneren Umfeld zu dieser Zeit eine starke Stellung. Deutsch war „nur“ die Schul- und Kirchensprache und dänisch war das Staatsgebilde zu dem man gehörte. Das Leben fand aber auf Friesisch statt und es war friesisch. Und weil das so war, entwickelten sich durchaus ein Selbstbewusstsein und auch ein Eigensein, das vielleicht sogar bis heute erhalten ist und das in jedem Fall wohl auch ein hervorzuhebendes Element des Selbstverständnisses der Mungards war. Deswegen waren die deutsch-dänischen Auseinandersetzungen für Nann Mungard auch nicht verständlich und Jens Mungard wurde schon in einen Zeitenwandel hinein geboren.
Man war deutsch geworden und das „größere“ Vaterland streckte seine Fühler nun auch nach Nordfriesland und nach Sylt aus. Ganz im Stil der Zeit fokussierte man sich auf den Nationalstaat als Kristallisationspunkt und somit auch auf eine „einzige“ Staatskultur. Am deutschen Wesen sollten somit auch die Friesen genesen. Und oft meinten sie es auch selbst so. Da erscheint es schon verständlich, dass sich der eine oder andere Friese an die gute alte Zeit im dänischen Gesamtstaat erinnerte, wo das Friesische wie selbstverständlich das für alle prägende Element war. Nun war es offensichtlich nicht mehr so und so begann der eine oder andere gegen den Strom zu schwimmen – vielleicht auch, um zu retten, was noch zu retten ist.
Genau hier mag auch ein Teil des Mungardschen Eigenseins verborgen liegen. Schon in der Kaiserzeit wird deutlich, dass eine kleine Kultur wie die friesische es in Zukunft schwer haben würde, noch zu bestehen. Und genau das, so würde man es vielleicht heute formulieren, braucht Menschen mit Eigensinn und Eigensein.
Entsprechend entwickelt sich Jens Mungard – im Übrigen, wie gesagt, ganz im Gegenteil zu den Strömungen seiner Zeit. Zwar gibt es auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts Vereine, die sich der Pflege des Friesischen widmen, aber hier ging es vorwiegend um das Konservieren von Althergebrachtem. An eine Belebung oder gar dem Ausbau der Sprache und Kultur der Friesen war noch nicht zu denken. Jedenfalls war das nicht Mainstream. Und Mainstream war es deshalb auch nicht, dass sein Vater neben seinem Beruf als Landwirt auch schrieb und sich auch als Sprachforscher betätigte und damit den Sohn entscheidend prägte.
Das Sylter Friesisch wurde von den Mungards als mehr wahrgenommen, als nur eine sprachliche Randerscheinung – einer Art Dünenplatt. Vielmehr war es identitätsstiftend und es war Teil, wenn man so will, der entscheidenden Identität. Man war Friese und versuchte diese Identität auch zu erhalten. Neben der nationalen deutschen Strömung, die überall hineinwirkte, war Sylt auf schon damals vom aufkommenden Fremdenverkehr geprägt. Und auch diese neue Entwicklung konnte dem Friesischen gefährlich werden. Und wenn wir heute mit Syltern sprechen, dann hören wir sehr oft von den Segnungen, aber eben auch von den Nachteilen, die der moderne Tourismus so mit sich bringen kann.
Genau dieser Hintergrund führte dazu, dass man sich um die Jahrhundertwende auch seiner nahen Verwandten in Westfriesland in den Niederlanden besann. Dort gab es eine kraftvolle regionale Bewegung und dieser „große“ Bruder sollte auch Inspiration für die Nordfriesen sein. Wenn man so will, erlebten einige Friesen, darunter auch die Mungards, zum ersten Mal, dass es noch mehr gab, als nur Sylter Friesen oder Nordfriesen zu sein. Dies prägte sicher die Identität noch stärker, als sie ohnehin schon ausgeprägt war.
Brachial griff dann der 1. Weltkrieg in die Lebenssituation der Menschen ein. Am Ende stand die erste große Katastrophe in der neueren Geschichte und bei uns hier stand dieses Ende im Zeichen des Abstimmungskampfes. Wieder konnte nur zwischen Deutsch und Dänisch entschieden werden und wieder blieb das Friesische quasi auf der Strecke. Jens Mungards Vater bezieht deutlich Stellung und wird damit zitiert, dass im toleranten Dänemark die Sache der Friesen mehr als zwei Jahrhunderte gut aufgehoben gewesen sei. Dieses ist wohl auch vor dem Hintergrund der glücklichen Gesamtstaatserfahrungen zu sehen, in der das Friesische auf der Insel Sylt stark stand. Ob Jens Mungard genauso stark für Dänemark argumentierte, ist nicht überliefert. Seine friesische Haltung wird aber sicherlich sehr ähnlich gewesen sein und er hat sich zumindest nicht so stark von seinem Vater distanziert, wie es sein jüngerer Bruder getan hat.
Ein Teil der Ausstellung ist mit einem Zitat überschrieben: „Ihr werdet so deutsch werden, dass Ihr vergesst, Friesen zu sein.“ Dieser Satz kann als ein Satz gelten, der für Teile der friesischen Bewegung als Leitmotivation für die Abstimmungszeit und die Zeit danach gelten könnte. Nicht nur auf der Insel Sylt, sondern auch auf anderen Inseln und auf dem Festland sind Menschen für einen Anschluss an Dänemark eingetreten. In Nordfriesland vorwiegend nicht, weil man eine besondere nationaldänische Gesinnung hatte, sondern wohl eher, weil man sich – ähnlich wie Nann Mungard es formuliert hatte – an die gute alte Zeit erinnert fühlte, in der es – zumindest subjektiv – dem Friesischen besser gegangen ist. Diese scheinbare Erkenntnis - früher war alles besser und heute muss um friesische Sprache und Identität gerungen werden – führte nach der Grenzabstimmung zu einem Aufkeimen einer nationalen friesischen Bewegung. Diese Bewegung war keineswegs in der Mehrheit, aber es war eine Bewegung, die auch auf dem Gedankengut der Mungards beruhte – nämlich, dass das Friesische ein prägendes Element der eigenen Identität ist und um seiner selbst willen zu schützen und zu fördern ist. Im Jahr 1923 wird von Johannes Oldsen in Klockries bei Lindholm der Friesisch-Schleswigsche Verein, heute Friisk Foriining, gegründet und man kann behaupten, dass auch die Ideen und das Handeln der Mungards hier als geistige Grundlage herangezogen werden können. Auch wenn sich weder Nann noch Jens Mungard von wem auch immer vereinnahmen lassen würden, so kann man schon sagen, dass deren Abweichung vom Mainstream durchaus auch bedeutend für andere war.
Zum ersten Mal bekamen die Gedankengänge, die nicht nur die Mungards formulierten, ein Sprachrohr. 1925 trat man als Liste Friesland bei Kreistagswahlen an und es etablierte sich auch eine Zusammenarbeit mit der anderen Minderheit im Land, der dänischen Minderheit. Und politisch gesehen, wurde das, was sich vorher als vielleicht eher loser Gedankengang in den Köpfen bewegte, in eine Forderung gegossen: die Anerkennung der Friesen als nationale Minderheit in Deutschland.
Heute mag diese Forderung auf dem ersten Blick anachronistisch wirken. Aber bis zum heutigen Tag streben die Friesen nach der gleichen Anerkennung, wie sie für nationale Minderheiten mit einem Bezugsstaat selbstverständlich sind. Listet man die Nordfriesen, die Saterfriesen in Ostfriesland und die Westfriesen in den Niederlanden gemeinsam mit den Bretonen, den Walisern, den Katalanen, den Samen in Skandinavien, den Ladinern in Italien oder auch den Sorben in Deutschland auf, so kann man durchaus sehen, dass die Friesen mit ihrer Situation nicht alleine dastehen. Und im heutigen Europa liegen sicherlich auch viele Chancen für die Friesen, anerkannt zu werden. Aber damals war diese Forderung nach Anerkennung als nationale Minderheit wohl mehr als radikal.
Und sie blieb radikal und passte später auch nicht ins Bild der Nationalsozialisten. Wie auch Jens Mungard nicht ins Bild der Nationalsozialisten passte, was Ommo Wilts unter anderem der Persönlichkeitsstruktur und dem ausgeprägtem Einzelgängertum und weniger einer dezidierten politischen Haltung zuschreibt. Trotzdem kritisiert er die Machthaber scharf, was zu Schutzhaft, Schreibverbot, Haft und Konzentrationslager führt. Ob und inwiefern sich hierdurch auch eine besondere friesische Haltung zugrundelegen lässt, wäre gewagt zu spekulieren. Wahrscheinlich würde dies der Persönlichkeit Jens Mungards auch nicht gerecht werden. Aber ein Fitzelchen wird auch dies Teil der Wahrheit sein.
Und ehrlicherweise muss man sagen, dass Menschen wie Jens Mungard die friesische Bewegung auch nach Ende des zweiten Weltkrieges – also nach seinem Tod – stark beeinflusst haben. Die Eigenständigkeit des Friesischen, die Gleichberechtigung der drei Kulturen im Grenzland und die Förderung des Friesischen um seiner selbst willen. Das sind Dinge, die sicherlich auch Jens Mungard gefallen hätten. Diese Gedanken wurden vom Friesisch-Schleswigschen Verein auch nach dem Krieg wieder aufgegriffen und sind noch heute der eigentlich wichtigste Teil der Identität derjenigen, die sich in der heutigen Friisk Foriining zusammen gefunden haben. Und auch meine eigene Partei, der SSW, ist auf Grundlage genau dieser Gedanken von Dänen und Friesen gegründet worden.
Diese Grundgedanken von Eigenständigkeit und Gleichberechtigung haben dazu geführt, dass die Friesen als eigenständige und gleichberechtigte Größe in die Landesverfassung aufgenommen wurden, wir heute ein Friesisch-Gesetz haben und auch der Friesischunterricht im Schulgesetz abgesichert ist und – so hoffe ich – auch in der Verfassung verankert werden wird.
Mit alledem hat auch Jens Mungard etwas zu tun – nicht immer direkt, aber doch mittelbar. Und somit ist der Satz „Ouerseeten önj e tjüsche spräke as ferbin!“ - „Übersetzen in die deutsche Sprache ist verboten!“ nicht nur vor dem Hintergrund seiner schrecklichen Erfahrungen im Konzentrationslager zu sehen, sondern eben auch als Bekenntnis zur Gleichberechtigung der friesischen Sprache und Kultur.
Vielleicht ist das eine gewagte These, aber vielleicht steckt da auch ein wenig Wahrheit drin.
Foole tunk, dåt jam me tuhiird hääwe.