Rede · 14.11.2001 Milzbrand-Verdachtsfälle
Alle Menschen sind klug - die einen vorher, die anderen nachher und die dritten zumindest vom Namen her. Hinterher weiß man immer alles besser, und die Kollegen Kalinka und Klug wissen es offensichtlich am besten. Wirklich weiter gebracht hat es uns aber nicht, dass CDU und FDP kurz nach der erfreulichen Entwarnung gleich unterstellt haben, die Landesregierung habe unseriös und hysterisch gehandelt.
Selbstverständlich macht es Sinn nachher zu fragen, ob man hätte besser reagieren können und was man in Zukunft besser machen sollte. Eine vernünftige Selbstkritik ist die einzig sinnvolle Grundlage für eine Weiterentwicklung der Politik. So etwas kann man allerdings nur seriös betreiben, wenn man die Regierung im damaligen Zusammenhang bewertet und nicht anhand dessen was wir heute wissen.
Wenn man den Ablauf der Geschehnisse Revue passieren lässt, wie es die Ministerin bereits getan hat, dann kommt man ohne viel Verstand zu dem Schluss, dass man gar nicht anders handeln konnte. Eine frühere Veröffentlichung wäre wirklich Panikmache gewesen, und das verschweigen eines 98prozentig positiven Befundes wäre ein Entlassungsgrund. Am 2. November nachmittags waren die Milzbrand-Verdachtsfälle zudem in aller Munde und auf allen Kanälen. Dem Interesse an einem möglichst sicheren Befund stand das Interesse der Öffentlichkeit an einer möglichst frühzeitigen Warnung gegenüber. Ich finde, dass die Gesundheitsministerin es gut gehandhabt hat. In der schwierigen Abwägung zwischen Information und Sicherheit hat sie richtig entschieden.
Vielleicht waren die Worte der Ministerpräsidentin etwas voreilig gewählt. Aber es war sicherlich auch schwierig, aus dem fernen China die Lage in Kiel zu bewerten. Für mich ist nicht ersichtlich, dass die Regierung in der aktuellen Situation Fehler gemacht hat. Für mich ist nur offensichtlich, dass zwei Politiker der Opposition danach außerordentlich unseriös reagiert haben.
Entscheidend ist, dass wir uns darauf konzentrieren, was beim nächsten mal anders gemacht werden sollte auch wenn wir hoffen, dass es niemals eintrifft. Wir haben gelernt, dass zwei positive Tests allein noch nichts über die konkrete Gefahr aussagen. Und wir wissen jetzt mehr darüber, wie wir in Deutschland mit solchen Verdachtsfällen umgehen sollten. Wir können jetzt in Schleswig-Holstein selbst den PCR-Test durchführen, es wird ein bundeseinheitliches Verfahren bei Verdachtsfällen entwickelt und andere wichtige Maßnahmen ergriffen. Besonders gefällt mir aber, dass in Zukunft ein Weg gefunden werden soll, der parteipolitisches Geplänkel in so wichtigen Situationen von vornherein vermeidet. Ich bin zuversichtlich, dass die Verantwortlichen ihres dafür tun, um möglichst viel aus den Milzbrand-Verdachtsfällen in Thüringen und Neumünster zu lernen.
Letztlich kann man für eine solche Situation aber nie ganz vorbereitet sein. Deshalb möchte ich abschließend den Herren Kalinka und Klug einen Vers von Friedrich Rückert ans Herz legen:
Am Abend wird man klug
für den vergangnen Tag,
doch niemals klug genug
für den, der kommen mag.