Rede · 08.06.2007 Modellversuch Bürgerarbeit

 
Die Diskrepanz zwischen gesellschaftlich notwendiger Arbeit, die liegen bleibt und der hohen Zahl von Arbeitslosen ist nicht nur an den Stammtischen aufgefallen. In einigen Städten wuchert tatsächlich das Unkraut in den Parks, weil sich die Kommunen eine regelmäßige Rasenpflege nicht mehr leisten können. Gleichzeitig schlagen auf den Parkbänken Arbeitslose die Zeit tot. Da liegt es doch nahe, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Entsprechende Überlegungen zur Überwindung dieser Lücke werden bereits seit mehr als zehn Jahren angestellt. Doch so einleuchtend das Modell auf den ersten Blick ist, so schwierig ist der Gedanke beim zweiten Hinsehen.

Erst einmal spricht die Konkurrenz zur bezahlten Arbeit gegen so genannte Bürgerarbeit. Viele Gartenbaubetriebe können ein Lied davon singen, was gut gemeinte Arbeitsbeschaffungspolitik anrichten kann bzw. konnte. Den Gartenbaubetrieben brach der Umsatz ein, weil ihnen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ein wichtiges Standbein weg hauten, nämlich die Grünpflege. Kunden und Kommunen, die sich ihre Garten- und Flächenpflege für kleines Geld von Arbeitslosen erledigen lassen konnten, lösten keine Aufträge mehr bei ihrem Gärtner aus. Aus diesen Fehlentwicklungen, die zugegebener Weise schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben, hat die Arbeitsverwaltung gelernt. Konkurrenz durch subventionierte Arbeit gibt es heute kaum noch, wenn man von der Einstiegsqualifikation absieht, die in manchen Betrieben Vollzeitstellen gekostet hat, weil der Unternehmer mit dem von der Arbeitsagentur finanzierten Praktikanten mehrere tausend Euro im Jahr spart.

Bei der Bürgerarbeit befürchte ich ähnliches, wenn sie, wie vom Antragsteller gefordert wird, irgendwann flächendeckend in Schleswig-Holstein eingeführt wird. In Sachsen-Anhalt hat man das Projekt nicht zufällig auf eine Kommune beschränkt. Ein flächendeckender Einsatz erhöht die Gefahr, dass preisgünstige Arbeit Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt verdrängt, weil die Kontrolle, ob eine Tätigkeit zusätzlich ist oder nicht, schwierig zu handhaben ist. Ich bezweifle, ob die Agentur für Arbeit dazu in der Lage ist. In Bad Schmiedeberg, dem Projektort in Sachsen-Anhalt, wird ein Lohn von zirka 5 bis 5,50 € brutto bezahlt. Damit werden zum Beispiel Verwaltungstätigkeiten bei der Feuerwehr entlohnt, für die eigentlich ein höherer Tariflohn fällig wäre. Hier ist also der erste Arbeitsmarkt durchaus betroffen. Je nachdem, wie der „gemeinnützige Bereich“ definiert wird, wird hier mehr oder weniger Arbeit durch Billiglöhne verdrängt. Genau dies darf aber nicht geschehen.

Die Erfahrungen mit der Ich-AG haben darüber hinaus gezeigt, dass pfiffige Unternehmernaturen durchaus in der Lage sind, neue Geschäftsfelder dauerhaft zu etablieren, wenn sie denn nur die nötige Anfangsfinanzierung hin bekommen. Ob diese dann auch ohne Unterstützung erhalten bleiben oder nicht, war damals egal. Inzwischen sind viele mobile Kosmetikstudios oder schnell eröffnete Imbisse schon wieder Vergangenheit. Das ist ein Beispiel dafür, wie nicht-gewollte Effekte auf dem Arbeitsmarkt wirken; solange der Zuschuss stimmt, freut´s die freie Wirtschaft und danach bricht das ganze dann wieder zusammen.
Es ist eine Illusion zu glauben, dass eine flächendeckende Bürgerarbeit keinerlei Auswirkungen auf den ersten Arbeitsmarkt hätte. Eine Chance auf die Integration der Bürgerarbeiter auf dem regulären Arbeitsmarkt gibt es wiederum nicht. Zwar ist ein Bildungsgutschein vorgesehen, doch dessen Inanspruchnahme ist freiwillig und es erfolgt keine systematische Qualifizierung. Dass in Sachsen-Anhalt Gelder aus dem Bereich Qualifikation zur Finanzierung des Projekts genutzt wurden, halte ich für einen Skandal.

Die Agentur für Arbeit hat in den letzten Jahren ihre Weiterbildungsangebote systematisch zurückgefahren. Dänisch-Kurse, derzeit sehr begehrt, werden nicht finanziert. Es sei denn, der Arbeitslose hat bereits eine Zusage eines Arbeitgebers in der Tasche. Arbeitslose müssen in den Stand gesetzt werden, eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu finden. Sie müssen durch Qualifikation fit gemacht werden für die Ansprüche des Arbeitsmarktes.
Dazu trägt die Bürgerarbeit nicht bei. Sie ist also eine reine Beschäftigungsmaßnahme. Das mag für einige Langzeitarbeitslose durchaus der richtige Weg sein, um sich wieder in den Arbeitstag einzufinden. Doch bezweifle ich, dass damit allen Arbeitslosen geholfen ist. Zumal man dann für diese sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeit auch einen entsprechenden vernünftigen Lohn zu zahlen hat – auch wenn es sich um Arbeit auf dem zweiten Arbeitsmarkt handelt.

Dies führt mich zum weiteren Gegenargument: Bürgerarbeit darf keine Arbeit zweiter Klasse sein. Zur Entlohnung schreibt der Antrag lediglich eine Untergrenze, nämlich den Leistungsbezug nach SGB II, fest. Wir können nicht einerseits über Mindestlöhne streiten und das dann bei der Bürgerarbeit außer Acht lassen. Bei einem Mindestlohn von 6,50 Euro und einer 40-Stunden-Woche sind wir bei knapp 1.100 Euro. In Sachsen-Anhalt liegt die Vergütung bei 900 Euro. Das ist schon wenig genug und nicht ausreichend für einen Vollzeitjob. Für eine Vergütung in dieser Höhe sehe ich aber derzeit überhaupt keine Mittel, die die öffentliche hand zur Verfügung stellen könnte. Alles drunter ist aber nur ein Ein-Euro-Job mit anderen Namen.

Neben den bisher genannten inhaltlichen Problemen, die wir sehen. Gibt es aber auch Probleme in der konkreten Umsetzung, wenn man über den Radius einer kleinen überschaubaren Kommune hinaus blickt. Wer übernimmt überhaupt bei den gemeinnützigen Projekten und Vereinen die Einweisung und Anleitung, die Arbeitskontrolle und Abrechnung? Diese Frage lässt der Antrag offen. Der SSW wird keinesfalls einer Belastung durch Ehrenamtliche zustimmen.
Zusammenfassend sehe ich im Projekt Bürgerprojekt keine Anknüpfungspunkte für eine Wende in der Arbeitsmarktpolitik. Der SSW wird das Wuchern neuer nebeneinander her existierender Projekte nicht unterstützen und lehnt den Antrag ab. Was wir brauchen sind keine neuen Billiglohn-Projekte, sondern eine Evaluation der bisher durchgeführten Projekte und dann eine Arbeitsmarktpolitik aus einem Guss, die über Projekte weit hinausgeht.

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