Rede · 17.11.2011 Regierungserklärung zur Bundeswehrstrukturreform

Die Bundeswehrstrukturreform ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits befürworten wir natürlich die Bestrebungen, die Truppe zu verkleinern. Sie wird in der Größe nicht mehr gebraucht und es gibt genügend andere Bereiche, in denen das Geld besser ausgegeben werden kann. Andererseits ist die Bundeswehr, dort wo sie angesiedelt ist, eine Wirtschaftskraft und ein Standortfaktor. Zehntausende Menschen im Land leben unmittelbar von Lohntüten der Bundeswehr, die so jährlich fast eine Milliarde Euro nach Schleswig-Holstein trägt, und viele Menschen mehr verdienen ihren Lebensunterhalt, indem sie Waren und Dienstleistungen an Bundeswehrangehörige und an die Bundeswehr verkaufen. Deshalb ist es ein tiefer Einschnitt, wenn 8 von 31 Standorten und 10.700 von 26.000 Dienstposten in Schleswig-Holstein künftig wegfallen sollen.

Man kann diskutieren, ob ein so harter Schlag für den Norden unausweichlich war, oder ob die Landesregierung möglicherweise schlecht verhandelt hat. Der Ministerpräsident hat in seiner Argumentation für die Schleswig-Holsteinischen Standorte offensichtlich stark auf die Folgen für den Katastrophenschutz fokussiert, der für unser Land von großer Bedeutung ist. Immerhin ist es auch gelungen, das Spezialpionierbataillon in Husum zu erhalten, das für den Küstenschutz von großer Bedeutung ist. Ob diese starke Fokussierung insgesamt optimal gewesen ist, ist aber eine andere Sache. Es war von vornherein klar, dass Schleswig-Holstein vor tiefen Einschnitten steht, weil der Anteil der Soldaten an der Bevölkerung in unserem Land bundesweit Spitze ist. Trotzdem stellt sich die Frage, weshalb dann nicht in Mecklenburg-Vorpommern genauso gekürzt wird, wo es eine ähnlich hohe Dichte an militärischen Dienstposten gibt.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Strategie der Landesregierung nicht ganz aufgegangen ist. Aber Verteidigungsminister de Maiziere hat am 26. Oktober seine Entscheidung verkündet und nun ist es die wichtigste Aufgabe der Landespolitik, zu sehen, wie wir mit den Tatsachen umgehen. Insbesondere in der nördlichen Hälfte Schleswig-Holsteins reißt der Schwerthieb des Bundesverteidigungsministers gewaltige Wunden, von denen die strukturschwachen Regionen sich erst in Jahrzehnten vollkommen erholt haben werden, wenn überhaupt. Bekommt der Norden jetzt nicht die erforderliche erste Hilfe, wird er ausbluten.

Die kommende Neustrukturierung der Bundeswehr ist nicht die erste Bundeswehrreform, die wir erleben, und wir kennen die Therapieverfahren zur Konversion von militärischen in zivile Standorte mittlerweile ganz gut. Unsere wichtigsten Instrumente sind die Unterstützung der betroffenen Kommunen bei der Neuorientierung, die Wirtschaftsförderung, die Nutzung von Förderprogrammen für Städte- und Wohnungsbau und Naturschutz sowie die Vermarktung der Liegenschaften. Aber auch wenn diese Heilmittel gut bekannt sind, gibt es kein Patentrezept dafür, was lokal wirklich Heilung bringt.

Welche Ideen Kommunen und Investoren für die Nutzung der verlassenen Bundeswehrstandorte haben und ob es überhaupt realistische Alternativen gibt, ist von Fall zu Fall ganz unterschiedlich. Es liegt noch auf der Hand, ein früheres Munitionsdepot als Lager für Feuerwerkskörper oder eine frühere Kaserne für den Wohnungsbau zu nutzen. Aber was macht man mit atomwaffensicheren Kommandobunkern 30 Meter unter der Erde? Große Kreativität ist gefragt. Das Land hat durch frühere Bundeswehrreformen insbesondere im Zuständigkeitsbereich des Wirtschaftsministeriums das Knowhow und die Infrastruktur dafür entwickelt, die Kommunen bei der Entwicklung neuer Nutzungskonzepte zu unterstützen. Entscheidend ist in dieser Phase, dass den klammen Gemeinden dabei geholfen wird, solche Planungen zu finanzieren. Wirtschaftsminister de Jager hat zugesagt, dass die Mittel für Entwicklungsgutachten, Machbarkeitsstudien etc. noch aus dem laufenden Zukunftsprogramm Wirtschaft geschöpft werden können. Daran werden wir die Landesregierung messen.

Weit größere Sorgen bereitet uns die zweite Phase der Konversion, nämlich die Umsetzung der Pläne. Der Wirtschaftsminister hat mit seinem Aktionsplan eine Liste mit „Best Practice“-Beispielen vorgelegt, die sich allesamt dadurch auszeichnen, dass neben der Förderung für die Planung keine weiteren öffentlichen Mittel erforderlich waren. In vielen Fällen wird die Konversion ohne die Hilfe von Förderprogrammen für die Umsetzung aber nicht realisiert werden können. Wir brauchen dafür Geld, das wir nicht haben. Die Mittel des schleswig-holsteinischen Zukunftsprogramms Wirtschaft reichen nur noch für Planungen und Konzepte und angesichts der Schuldenbremse ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Landtag im Doppelhaushalt 2013/ 2014 wesentlich mehr Geld für das Zukunftsprogramm zur Verfügung stellen kann, um den neuen Konversionsstandorten erhöhte Förderquoten zu gewähren. Deshalb begrüßen wir die Forderung der Ministerpräsidenten nach einem Bundeskonversionsprogramm, das die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen in den betroffenen Regionen retten soll. Schleswig-Holstein muss sich in Berlin vor allem auch dafür stark machen, dass die BundLänder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ nach 2014 weiter geführt wird und Konversionsstandorten uneingeschränkt offen steht. Sowohl für die Bundes- wie für die Landesförderung gilt: alle Konversionsstandorte müssen Priorität haben, das ist noch entscheidender als eine erhöhte Förderquote. In diesem Sinne muss die Landesregierung sich beim Bund auch dafür einsetzen, dass ein GA-Ansatz für Konversion eingerichtet wird, der nicht auf die allgemeine Quote der betroffenen Länder angerechnet wird.
Sehr skeptisch stimmen den SSW die Aussagen im neuen Aktionsplan Konversion der Landesregierung, dass künftig nur Standorte förderfähig sind, bei denen es sich um Komplettschließungen handelt und wo Liegenschaften noch nicht vermarktet wurden. Für die bisherigen Konversionsstandorte mögen diese Kriterien noch in Ordnung sein, auf die neuen dürfen sie auf keinen Fall angewandt werden. Es gibt mehrere Standorte, die nicht komplett verlassen aber trotzdem massiv zu Ader gelassen werden. Gemeinden wie Boostedt, wo von 1980 Dienstposten nur 40 übrig bleiben, oder Oldenburg, wo 500 von 750 Stellen entfallen, werden auch erheblich geschwächt und müssen ebenso die Chance haben, Hilfe zu bekommen.

Die bisherigen Konversionserfahrungen haben gezeigt, dass eine der größten Komplikationen vom Staat selbst verursacht wird. Wie hinderlich es ist, wenn der Bund noch versucht, jeden Euro aus den ExKasernen zu pressen, haben wir auf Sylt und in Schleswig erlebt. Wir haben Verständnis dafür, dass sich die Bundeswehr reformiert und dabei Standorte geschlossen werden müssen. Es kann aber nicht sein, dass der Bund noch versucht, sich mit den verlassenen Kasernen und Bunkern eine goldene Nase zu verdienen und damit lokale Lösungsansätze behindert. Die geschlossenen Bundeswehrgelände müssen den betroffenen Kommunen weit unterhalb des Verkehrswerts, am besten nur zu einem symbolischen Betrag, zur Verfügung gestellt werden, um vor Ort einen Neuanfang zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang begrüßen wir auch die Forderung der Landesregierung, dass die Bundesagentur für Immobilienmanagement (BImA) die Kommunen dabei unterstützen soll, schwer vermittelbare Liegenschaften anzukaufen, indem sie Planungskosten, Gutachterkosten oder kommunale Förderanteile übernimmt.

Zu einem ordnungsgemäßen Rückzug der Bundeswehr aus ihren Liegenschaften gehört natürlich auch, dass sie sie nicht nur besenrein, sondern wirklich sauber hinterlässt. Deshalb unterstützen wir die Forderung der Ministerpräsidenten, dass die Bundeswehr die gesundheits- und umweltgefährdenden Altlasten in Kasernengeländen, Munitionsdepots oder Truppenübungsgeländen befinden, auf eigene Rechnung beseitigen muss. Dies gilt ebenso für die Forderung, dass die BImA Liegenschaften zurückbauen muss, die nicht für eine Folgenutzung geeignet sind.

Der Abzug der Bundeswehr hat einschneidende Folgen für die betroffenen Kommunen. Deshalb stehen sie im Zentrum der Konversionsstrategien. Bei der Bundeswehrreform geht es aber um mehr als die Bedeutung für das regionale Wirtschaftsleben. Es geht um zahllose Einzelschicksale. Die Reform ist eine tiefe Zäsur im Leben vieler Arbeitnehmer und Familien, die ihren Lebensmittelpunkt in Schleswig-Holstein haben. Die Soldaten und vor allem die Zivilbeschäftigten müssen möglichst eine Zukunft in der Region bekommen. Wenn dies durch die Verkoppelung mit Maßnahmen zur Behebung des Fachkräftemangels erreicht werden kann, wie der Wirtschaftsminister angeregt hat, ist es gut. Die meisten Zivilangestellten dürften davon aber kaum profitieren. Für sie muss es sozialverträgliche Lösungen geben. Wie in früheren Konversionsrunden wird der SSW darüber hinaus auch darauf aufmerksam machen, dass es für die Angehörigen der Minderheiten besonders fatal ist, wenn sie in andere Regionen ziehen müssen. Außerdem liegt es uns besonders am Herzen, dass die Bundeswehr ein wichtiger Ausbildungsbetrieb ist. Gerade für die strukturschwachen ländlichen Regionen war es eine große Hilfe, dass die berufliche Ausbildung am Bedarf der Region ausgerichtet wurde. Wir fordern, dass die Bundeswehr auch in Zukunft diese gesellschaftliche Aufgabe wahrnimmt und über den eigenen Bedarf hinaus ausbildet. Da über die Ausbildungsstandorte noch nicht endgültig entschieden ist, muss die Landesregierung in dieser Frage noch einmal in Berlin vorstellig werden.

Für die vielen betroffenen Arbeitskräfte ist es entscheidend, dass sich allgemein in der wirtschaftlichen Entwicklung der betroffenen Landstriche etwas tut. Die Bundeswehr wurde vielfach gezielt in den wirtschaftlichen Randlagen des Landes angesiedelt. Deshalb wird die Bundeswehrreform Schleswig-Holstein eine noch stärkere Schlagseite geben, die sich durch Konversion allein nicht auffangen lässt. Denn trotz aller Best-Practice-Vorbilder ist es offensichtlich, dass die bisherigen Konversionsrunden für viele ehemalige Bundeswehrstandorte keine Heilung gebracht haben. Ihnen ist allein durch eine ganzheitlichere Medizin zu helfen, die nicht nur lokal auf einzelne Standorte und Liegenschaften ausgerichtet ist. Die Landesregierung will dem Ungleichgewicht begegnen, indem sie „soweit möglich“ nicht Landesbehörden in den betroffenen Regionen schließen will. Das ist richtig so, reicht aber nicht aus. Der SSW fordert eine eigenständige, gezielte wirtschaftspolitische Strategie der Landesregierung für diese Randlagen, die sich auch keine Hoffnung machen können, künftig von der wirtschaftlichen Dynamik in und um Hamburg zu profitieren. Wenn das nördliche Schleswig, das östliche Holstein und die Westküste nicht zu abgelegenen Landstrichen werden sollen, wo man allenfalls noch Touristen, Windräder und bedrohte Vogelarten unterbringt, dann muss es eine neue Wirtschafts- und Regionalpolitik für diese Regionen geben. Ansonsten droht eine Spaltung, bei der die Randlagen ganz von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt werden.

Ein zentrales Element, wenn nicht gar DER zentrale Bestandteil einer solchen Strategie, ist eine Hochschul- und Bildungspolitik, die ihre regionalpolitische Verantwortung annimmt. Bildungs- und Forschungseinrichtungen, die eng mit den Betrieben und Arbeitskräften verbunden sind und die eine Rolle als regionale Wachstumsmotoren übernehmen können, sind das Fundament einer nachhaltigen regionalen Entwicklung. – Das gilt übrigens nicht nur für Hochschulen, sondern auch für Berufsschulen. – Bildungseinrichtungen sind die Hefe, die Wirtschaft und Arbeitsmarkt zum Gären bringt. Deshalb fordert der SSW, dass die Hochschulen auch außerhalb Kiels in ihrer Existenz gesichert und weiter entwickelt werden. Etwas Besseres kann die Landesregierung kaum tun, um die Wunden des Truppenabbaus dauerhaft zu heilen.

Gerade weil der Werkzeugkasten für die Konversion überschaubar ist, ist der Dissens der Parteien in diesen Fragen relativ gering. Diese Chance sollten wir nutzen, denn Geschlossenheit ist die beste Medizin. Entscheidend ist jetzt vor allem, dass das Land sich auf Bundesebene Gehör verschafft. Gerade weil wir gewisse Zweifel an der Durchschlagskraft des Ministerpräsidenten und seiner Landesregierung im Bund haben, sollten wir nun die Kräfte im Land bündeln und gemeinsam die Interessen unseres Landes in Berlin vertreten. Das ist der beste Beitrag den Regierungsparteien wie Opposition leisten können, um den betroffenen Menschen und Kommunen zu helfen.


Rest:
Die Investitionsbank Schleswig-Holstein berät zwar alle Kommunen bei der Prüfung von allgemeinen Nutzungsvorhaben, stellt ihnen aber die Beratungskosten in Rechnung, wenn das Finanzministerium eine Förderung ablehnt. Auch hier wäre eine „kommunalfreundlichere“ Lösung doch sehr wünschenswert.

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