Rede · 27.11.2020 Schwangerschaftsabbruch ist kein Verbrechen
„Der § 218 kriminalisiert Frauen und darum muss er weg. Das wäre der entscheidende Schritt, damit Frauen nicht das Gefühl haben, dass sie auf ihrem schweren Weg allein gelassen werden.“
Jette Waldinger-Thiering zu TOP 03 - Frauen nicht allein lassen - Versorgungsangebot für einen sicheren Schwangerschaftsabbruch in Schleswig-Holstein sicherstellen (Drs. 19/2544)
Bevor ich auf die Details des Antrags eingehe, möchte ich ganz grundsätzlich noch einmal feststellen: Schwangerschaftsabbruch ist kein Verbrechen. Darum gehört er auch nicht ins Strafgesetz. Der §218 kriminalisiert Frauen und darum muss er weg. Das wäre der entscheidende Schritt, damit Frauen nicht das Gefühl haben, dass sie auf ihrem schweren Weg allein gelassen werden.
Ich hatte mir nicht vorstellen können, dass ich überhaupt noch einmal über diese Grundsätze sprechen müsste. Doch ausgerechnet ein Flensburger Krankenhaus zwingt mich dazu. Dort will ein Träger seinen stationären Auftrag nicht weiter erfüllen. Frauen aus der Region wären in Zukunft gezwungen, nach Schleswig zu fahren oder nach Heide. Dieser Schwangerschaftstourismus, dachte ich, wäre für alle Zeiten Geschichte. Nicht zuletzt die Beratung im Petitionsausschuss hat mich eines Besseren belehrt. Darum gilt mein ausdrücklicher Dank an die antragstellende Fraktion, das Thema der wohnortnahen Sicherung des Angebotes auf die Tagesordnung dieser ganz besonderen Sitzung gesetzt zu haben. Das ist das richtige Signal an die Frauen, die sich in den letzten Monaten sehr engagiert haben.
Allerdings zeigt der Antrag, wie wenige Instrumente wir tatsächlich zur Verfügung haben, um das wohnortnahe Angebot wirksam und zukunftsfest sichern zu können. Der Hinweis auf den entsprechenden Versorgungsauftrag im Schwangerschaftskonfliktgesetz führt ja leider nicht dazu, dass entsprechenden Strukturen auch wirklich vorgehalten werden. Ohne konkrete Sanktionsmöglichkeiten läuft die entsprechende Formulierung nämlich ins Nichts. Die Krankenhäuser bzw. deren Träger haben keine Konsequenzen zu fürchten, wenn sie dem Versorgungsauftrag nicht nachkommen.
Der Versorgungsauftrag ist auch nicht mit einer Finanzierungszusage unterfüttert. Weigert sich also ein Krankenhaus, einen Schwangerschaftsabbruch anzubieten, was in Flensburg gerade passiert, gibt es keine Finanzierungsmöglichkeiten für alternative Anbieter. In Flensburg scheint sich eine entsprechende Lösung abzuzeichnen, wonach die Kommunen, also Flensburg und die umliegenden Landkreise ein stationäres Angebot anbieten wollen, aber der Finanzierung dürften sie wohl hinterherlaufen. Die Krankenhausplanung muss das berücksichtigen und neue Angebote mit entsprechenden Mitteln unterfüttern.
Ich räume ein, dass das alles nur ein Herumdoktern ist, um mal zu einem naheliegenden Wortspiel zu greifen. Die Gesundheitspolitik ist an dieser Stelle einfach noch von vorgestern. Die Frauen in der Konfliktsituation baden dieses Defizit aus. Das empfinde ich als besonders hart, weil wir ihnen wenig belastbare Entscheidungen anbieten können. Vor diesem Hintergrund rückt die Facharztausbildung in den Fokus. Die Bundesregierung wollte diese eigentlich im Zusammenhang mit der Neuregelung des vermaledeiten Paragraphen 219a neu regeln. Doch bislang gibt wohl nur ein inoffizielles Eckpunktepapier zur Änderung der Appro¬bationsordnung, wonach Aufklärung und Bera¬tung der Frauen im Studium intensiviert werden sollen.
Die Bundesärztekammer hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die praktischen Grundlagen zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs in der Regel erst in der Facharztausbildung vermittelt werden. Darum müssen wir schleunigst dafür Sorge tragen, dass sie ein verpflichtender Bestandteil wird. Ohne eine entsprechende Ausbildung wird es nämlich keine Schwangerschaftsabbrüche mehr geben; was den Versorgungsauftrag noch einmal von einer ganz anderen Seite aushöhlt. Der schönste Versorgungsauftrag ist nämlich nichts wert, wenn es keine Ärztinnen und Ärzte mehr gibt, die fachlich überhaupt in der Lage sind, einen Abbruch durchzuführen. Genau diese Entwicklung befürchte ich. Der medikamentöse Abbruch ist zwar als Methode auf den Vormarsch; in Schleswig-Holstein wird aber überwiegend die Kurettage angewendet. Diese Methode muss erlernt werden. Darum ist die Weiterbildungsordnung von zentraler Bedeutung.
Aber auch mit einer entsprechenden Verankerung in der Weiterbildungsordnung bleibt das Problem der Schmutzkampagnen von so genannten Lebensrettern. Aus Angst davor bieten immer weniger Ärztinnen und Ärzte Schwangerschaftsabbrüche an. Darum läuft übrigens auch die Liste mit den Adressen ins Leere. Viele Praxen trauen sich einfach nicht, ihre Adresse preiszugeben. ProFamilia gibt - wie früher auch - die Adresse vertraulich weiter. Das ist der traurige Stand 2020!
Ich hätte mir angesichts dieser Situation gewünscht, dass die SPD nicht vorgeprescht wäre. Ein von allen Fraktionen getragener Antrag wäre das stärkere Signal gewesen. Nichtsdestotrotz muss eine sichere, fachlich begleitete und wohnortnahe Versorgung unser gemeinsames Ziel bleiben.