Rede · 11.10.2007 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Als der SSW die Frage nach Zahl und Schicksal minderjähriger Flüchtlinge stellte, rechneten wir mit bedrückenden Zahlen. Was uns aber der Bericht liefert, ist ein gesellschaftliches Armutszeugnis: Es werden bürokratisch Kompetenzprobleme geschildert, in denen sich tagtäglich Kinder und Jugendliche verheddern. Selten habe ich in einem Bericht der Landesregierung so viel darüber gelesen, wo das Land überall nicht zuständig ist, wie im vorliegenden. Die Lektüre des Berichtes hat ein sehr ungutes Gefühl bei mir hervorgerufen. Hinten den Zahlen stehen nämlich Kinder und Jugendliche. Sie drohen in Schleswig-Holstein über eine besondere Form der Nichtbeachtung zu stolpern, so dass ihnen der Start in ein Leben in Deutschland verbaut wird.
Wenn Kinder und Jugendliche ohne Begleitperson die Grenze überschreiten, haben sie automatisch Anspruch auf besondere Schutzmaßnahmen. Die Bundesrepublik hat eine Vielzahl internationaler Abkommen unterzeichnet, die das Kindeswohl in den Vordergrund staatlichen Handelns stellen. Dazu gehört unter anderem die UN-Kinderrechtskonvention, die ausdrücklich eine Diskriminierung bestimmter Gruppen von Kindern verhindern soll. Die Konvention und nationale Rechtsvorschriften erzwingen einen Handlungsbedarf. Wegschauen, missachten oder ignorieren, kommen überhaupt nicht in Frage.
Tatsächlich ist genau das an der Tagesordnung. Das zeigen bereits die Probleme bei der Datenerhebung. Wie kann ich mir das im Einzelnen vorstellen: werden gar keine Akten von den Kindern angelegt, weil die zuständigen Behörden sowieso von nicht rechtmäßigen Motiven der Kinder ausgehen, die ihnen anvertraut werden? Der elementare Grundsatz behördlichen Vorgehens, nämlich der der Schriftlichkeit, gilt offensichtlich für diese spezielle Klientel nicht. Im Bericht heißt es an einer Stelle lapidar Fehlanzeige (Tabelle 1), als es um die genaue Zahl betroffener Kinder geht. Dabei hat die Sozialministerin letztes Jahr in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Kollegen Hentschel (Drucks. 16/1058) ausdrücklich ein individuelles Verfahren hervorgehoben. Trotzdem verschwinden Kinder und es kümmert sich niemand darum. Da muss man schon ein Jugendlicher aus einem Krisengebiet sein, um das in Deutschland hinzubekommen.
Meines Erachtens lässt der Bericht nur einen Schluss zu: die Situation unbegleiteter Flüchtlinge in unserem Land entspricht nicht den Grundsätzen, die wir ansonsten an Kinder- und Jugendpolitik stellen. Die Personengruppe junger unbegleiteter Flüchtlinge wird nicht mit der gleichen Achtung behandelt, wie es für Kinder und Jugendliche in Deutschland Standard ist. Auf diese Weise hat sich langsam und stetig eine Zwei-Klassen-Behandlung etabliert. Da spielen sicherlich Finanzierungserwägungen eine Rolle, die aufgrund einer fehlenden zentralen Kontrolle die Oberhand gewinnen können. Der Innenminister wird nämlich erst zur anordnenden Behörde, wenn die Härtefallkommission in Sachen Aufenthaltsrecht angerufen wird.
Diese Situation muss sich schleunigst ändern. Der bestehende Handlungsdruck ist übrigens auch dem Berichterstatter aufgefallen, der den Ausbau der Interessen unbegleiteter Flüchtlinge zumindest auf EU-Ebene gefördert wissen möchte. Der Flüchtlingsrat hat bereits im letzten Jahr die Einrichtung einer Clearing-Stelle gefordert. Das geschah aus dem Wissen heraus, dass Kinder und Jugendliche ohne Begleitung einer besonderen fachlichen Begleitung bedürfen. Der SSW fordert die Jugendbehörden des Landes auf, umgehend eine Clearingstelle zu organisieren oder einen freien Träger damit zu beauftragen.
Darüber hinaus muss umgehend die Praxis des Umgangs mit den minderjährigen Flüchtlingen überdacht werden. Eine gemeinsame Unterbringung mit Erwachsenen ist unbedingt zu vermeiden. Das muten wir nicht einmal minderjährigen deutschen Kriminellen im Gefängnis zu aber bei unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen ist das immer noch Standard; auch und gerade in Abschiebehaft, wo die jugendlichen Häftlinge durchschnittlich vier bis fünf Wochen verbringen müssen.
Der SSW hofft, dass wir im Ausschuss gemeinsam zu einem Lösungsmodell kommen, um zukünftig genau die Zahl der Betroffenen beziffern zu können und mit einer systematischen Flüchtlingspolitik beginnen zu können. Wir erwarten noch im Laufe des Jahres eine Umsetzung insbesondere in Hinblick auf die Clearing-Stelle.