Rede · 08.06.2000 Videoüberwachung in öffentlichen Räumen
Der SSW sieht in der elektronisch-optischen Überwachung öffentlicher Räume nicht ein geeignetes Mittel, um Kriminalität vorzubeugen und die Strafverfolgung zu unterstützen.
Die bisherigen Erfahrungen aus dem Ausland oder aus dem vielgepriesenen Leipziger Versuch können nicht zuverlässig eine längerfristige Wirkung der Überwachung belegen - weder als Kriminalitätsvorbeugung noch als Mittel zu deren Aufklärung und auch nicht zur Steigerung des subjektiven Sicherheitsgefühls.
Wir sind der festen Überzeugung, dass die Videoüberwachung allenfalls zur Verdrängung und Verlagerung von Kriminalität dienen kann. Es wäre naiv anzunehmen, eine solche Maßnahme nähme in größerem Umfang den Anreiz und die Gelegenheit zu Straftaten. Nicht zuletzt in Bezug auf die in Leipzig besonders ins Visier genommenen drogenbezogenen Delikte wie illegaler Betäubungsmittelhandel oder Beschaffungsdelikte ist es sehr naiv, davon auszugehen, diese ließen sich durch punktuelle Beobachtung ersatzlos unterbinden. Sie werden über kurz oder lang eben woanders verübt werden.
Der Nutzen der Videoüberwachung ist derart zweifelhaft, dass er keinen solch drastischen Einschnitt in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger rechtfertigen kann. Denn der angeblichen Wirkung der Videoüberwachung stehen noch zweifelhaftere Nebenwirkungen gegenüber.
- Erstens meinen wir analog zum Verfassungsgerichtsurteil zur Volkszählung, dass es grundrechtlich nicht vertretbar ist, dass Menschen öffentliche Räume meiden müssen, wenn sie nicht videoüberwacht werden wollen.
- Zweitens kommen erfahrungsgemäss vor allem Minderheiten in das Fadenkreuz solcher Überwachungsmaßnahmen, was auch nicht wünschenswert ist.
- Und drittens muss auch längerfristig eine negative Entwicklung der Überwachung befürchtet werden. Im Mutterland" der Videoüberwachung, in Großbritannien, wird die großflächige öffentliche Überwachung bereits mit biometrischen Verfahren verknüpft. Das sind Computerprogramme, die Gesichter und Bewegungsabläufe erkennen können. Da reicht bereits eine unnormale" Bewegung oder unkonventionelle Kleidung, um in das Raster zu kommen und weitere Kontrollmaßnahmen auszulösen.
Das mag für uns jetzt weit weg klingen, ist es aber nicht. Denn Sicherheitsmaßnahmen wie die Videoüberwachung können zu einer Aufwärtsspirale führen, weil sie selbst neue, erhöhte Sicherheitsbedürfnisse erzeugen. In den Worten des amerikanischen Professors Robert Sommer lautet das so: Anfangs fühlt eine Person sich unwohl bei der Anwesenheit von bewaffneten Polizisten im Busbahnhof oder dem Einkaufszentrum. Später fühlt sie sich unwohl, wenn sie keinen Polizisten sehen kann. Das selbe geschieht mit den Videokameras im Flur der Postfiliale und in einigen öffentlichen Toilettenanlagen. Zu Beginn werden sie als ein Angriff auf die Privatheit angesehen, aber später fühlt sich eine Person unwohl, wenn Big Brother nicht zuschaut."
Ohne hier amerikanische Verhältnisse heraufbeschwören zu wollen, wir können nicht ignorieren, was mit dem sozialen Miteinander passiert, wenn Sicherheit zur Droge wird: Menschen fühlen sich nicht mehr sicher und rüsten technisch auf. Solchen Auswüchsen des Misstrauens und der Abschottung dürfen wir hier keine Chance geben, denn sie sind Gift für unsere Gesellschaft.
Dabei wollen auch wir nicht bestehende Ängste ignorieren. Das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger ist wichtig. Gerade deshalb sollte es aber auch nicht zum Spielball für politischen Aktionismus werden. Wir werden nicht akzeptieren, dass Freiheitsrechte, die mit einer leidensvollen Geschichte dieses Landes erkauft worden sind, populistischen Strategien geopfert werden.
Der SSW hat sich in diesem Hause gegen den Grossen Lauschangriff gewendet, und wir wehren uns auch massiv gegen die Spähattacken, die uns die CDU vorschlägt. Sollten in Schleswig-Holstein wirklich Brennpunkte vorhanden sein, die beobachtet werden müssen, dann ist das einzig vernünftige Mittel hierzu, die Präsenz von Polizeibeamten vor Ort zu stärken.