Meldung · 26.03.2019 „Wohnen minus Freiheit“ ist der blanke Hohn

Wir finden, dass es für Menschen, die sich einfach nichts haben zu Schulden kommen lassen, immer mildere Mittel als die Abschiebehaft geben muss.

Lars Harms zu TOP 5 - Gesetz über den Vollzug der Abschiebungshaft in Schleswig-Holstein (Drs. 19/939 und 19/1354)
 
(Nr. 090-2019) Ich muss schon sagen, die gesamte Anhörung zum Abschiebehaftvollzugsgesetz war fordernd und widersprüchlich. Ich habe Fragen gestellt und Verbesserungsvorschläge für ein Instrument überdacht, dass ich aus tiefster Überzeugung ablehne. Ich habe es in diesem Zusammenhang schon oft gesagt; für mich bleibt es einfach logisch, dass ein vergebliches Asylgesuch nicht zum Freiheitsentzug führen darf. Menschen, die nichts verbrochen haben, gehören nicht in Haft. 

Vor ziemlich genau einem Jahr hat die Landesregierung begonnen, die Abschiebehafteinrichtung mit den Schlagworten „Wohnen minus Freiheit“ zu bewerben. Als wäre Freiheit ein Faktor, auf den man dann im Zweifelsfall auch mal verzichten kann. Dem ganzen Unterfangen sollte dadurch ein humaner Anstrich verliehen werden. Mittlerweile klingt das in meinen Ohren fast höhnisch. 

In Schleswig-Holstein wird eine Abschiebehafteinrichtung eingerichtet, die der Strafhaft viel zu ähnlich ist. Wir bekommen in Glückstadt eine Einrichtung, in der ein ganz bestimmtes Klima vorherrschen wird. Eines, das es notwendig macht, per Gesetz ausdrücklich festzuhalten, dass die Untergebrachten Zigaretten rauchen und Kaffee trinken dürfen. Eine Einrichtung, in der den Untergebrachten das Bargeld erstmal abgenommen wird. In der die freie Bewegung auch innerhalb der Einrichtung eingeschränkt werden kann. Eine Einrichtung, in der es möglich ist, Ordnungsmaßnahmen gegen die Untergebrachten auszusprechen, die die Nutzung von Telefon und Telekommunikation beschränkt, Besuche eingrenzt, Einkäufe untersagt und schließlich sogar den Einschluss möglich macht. 
Wie das noch mit „Wohnen minus Freiheit“ vereinbar sein soll, entzieht sich meinem Verständnis.    

Zum Vorgehen der Koalitionäre im Innenausschuss sei gesagt: Das war vom demokratischen Vorgang her echt bitter. Zwei Stunden, bevor der Ausschuss begann, bekamen wir den Änderungsantrag der Koalitionäre, der sechs volle Seiten Änderungen umfasst, zugeschickt. Wir in der Opposition haben deutlich gemacht, wie irritiert wir über dieses Vorgehen sind. Und ich denke ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass es nicht zu diplomatischen Verwerfungen mit Niedersachsen und Hamburg geführt hätte, wäre dieses Gesetz erst im Mai-Plenum von Ihnen beschlossen worden. Unsere Partner hatten ja den Letter of Intent. 
Wir als Opposition hatten vor der Abstimmung weder die Gelegenheit, die aktuellen Änderungen rechtlich zu prüfen, noch sie angemessen politisch zu bewerten. 
Änderungen, die so einschneidend in die Freiheitsrechte eingreifen, wie es irgendwie nur geht, wenn man bedenkt, dass sich eine dieser sechs Seiten der Fixierung der Inhaftierten – Entschuldigung – der Untergebrachten widmet. 
Unser Flüchtlingsbeauftragter ist in seinem Urteil in dieser Sache übrigens auch völlig klar. Da es sich um Zivilgefangene und nicht um Strafgefangene handelt, sollte es gewisse Instrumente in einer Abschiebehafteinrichtung einfach grundsätzlich nicht geben und dazu gehören eben die isolierte Unterbringung, Fesselungen und Fixierungen. 

Abschiebungshaft soll, auch die Landesregierung beteuert das immer wieder, das letzte Mittel zur Sicherung der Abschiebung sein. Beim SSW finden wir, dass es für Menschen, die sich einfach nichts haben zu Schulden kommen lassen, immer mildere Mittel geben muss. Die Rückkehrbeihilfe für Personen, die freiwillig ausreisen, an erster Stelle. Deutlich kostengünstiger wäre die Stärkung der Rückkehrbeihilfe statt dem Ausbau der Abschiebehaft ohnehin. Mit einer fast schon lächerlich anmutenden Summe von durchschnittlich 1000 Euro pro Person können Sie gegebenenfalls mehr erreichen, als mit dem Umbau einer gesamten Hafteinrichtung, über deren Kosten Sie immer noch keine belastbaren Angaben gemacht haben. Sie würden damit tatsächlich Ausreisen umsetzen und das, während Sie den Ausreisenden eine Perspektive in den Ankunftsländern ermöglichen. 

Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben das Abschiebehaftgesetz durchgedrückt. Sie können das nicht schönreden. Es ist mehr als deutlich, dass das nicht dem Bild entspricht, dass Sie selbst so angestrengt zu zeichnen versuchen. Das der Besonnenheit, der Vernunft, der Sorgfältigkeit. Sie haben einst argumentiert, Sie würden sich einer bundesweiten Verantwortung stellen, dabei aber dafür sorgen, dass Ihre eigenen humanitären Zielvorstellungen das Leitbild bei der Unterbringung werden. Aber ich muss gestehen, nach den Debatten, die wir hier geführt haben, kann ich das nicht erkennen. Dieses Gesetz führt nicht zu einer humanen Abschiebehaft, sondern zu einem klassischen Abschiebeknast. Und das, obwohl es mildere Mittel gibt!

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